Bärbel Bas (MdB) – Gesundheitsreform richtig rum
Stichwort: Gesundheitsreform richtig rum – Präsident Obamas Versuch, allen Amerikanern einen bezahlbaren Krankenversicherungsschutz zu geben.
von Bärbel Bas, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Duisburg
Wir haben in Deutschland das viertteuerste Gesundheitssystem der Welt. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt liegt bei 10,6% (Quelle: OECD 2006). Pro Kopf geben wir im Schnitt rund 2350 Euro im Jahr für unsere Gesundheit aus. Dafür haben heute fast alle 82 Millionen Deutsche eine Krankenversicherung. Dass es auch Reformbedarf gibt, ist bekannt. Die Bürgerversicherung ist dabei der Leitgedanke meiner Partei. Sie erhält den Solidargedanken und bezieht alle Bürger und Einkommensarten ein. Dagegen steht die Kopfpauschale aus dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag, die sozial blind ist, und etwa in der Pflege noch durch eine private Kapitaldeckung ergänzt werden soll. Bevor der politische Streit um den Umbau des deutschen Gesundheitssystems voll entbrennt, lohnt sich – gerade in der etwas ruhigeren Zeit um den Jahreswechsel – der Blick auf eine andere Gesundheitsreform, die gerade Formen annimmt.
Das teuerste Gesundheitssystem der Welt leisten sich die Vereinigten Staaten von Amerika (15,3% vom BIP laut OECD). 70% der Amerikaner haben eine private Krankenversicherung. Diese ist in der Regel an ihren Arbeitsplatz geknüpft – verlieren sie ihre Arbeit, ist meist auch die Krankenversicherung weg. Die Prämien der privaten Krankenversicherung sind in den vergangen 10 Jahren vier mal schneller gestiegen als die Löhne. Das hat zu Folge, dass sich immer weniger Amerikaner – besonders im Alter – einen angemessenen Gesundheitsschutz leisten können.
Dagegen haben knapp 30% der Amerikaner Anspruch auf die staatliche Gesundheitsfürsorge für Bedürftige und Rentner (Medicaid und Medicare). Da immer mehr Amerikaner von dieser Fürsorge abhängig werden, explodieren die Kosten für den Staat. Hinzu kommt, dass Gesundheitsleistungen in Amerika extrem teuer sind – über 6000 Dollar (fast 4200 Euro) gibt ein US-Bürger im Schnitt pro Jahr dafür aus. Krankheit ist in Amerika bis weit in die Mittelschicht hinein zum Armutsrisiko geworden.
Präsident Barack Obama ist mit dem Versprechen angetreten, insbesondere Familien den Zugang zum Versicherungsschutz zu erleichtern. Außerdem sollen die Kosten in der Gesundheitsversorgung gesenkt, sowie die Ausgaben langfristig verringert werden. Dafür plant Obama unter anderem den Versicherungsschutz besonders für Familien durch einkommensabhängige staatliche Subventionen erschwinglich zu machen und den Anspruch auf die Gesundheitsfürsorge auszudehnen.
Die deutschen Berichterstattung über die Reform wird vornehmlich von den für unsere Verhältnisse eher bizarren historischen Vergleichen der Gegner Obamas beherrscht. Einer der für uns Deutsche besonders interessanten Streitpunkte in der amerikanischen Debatte hingegen ist die Frage nach der allgemeinen Versicherungspflicht. Obama verzichtet bisher darauf. Zu groß ist der Widerspruch zum freiheitlichen Staatsverständnis vieler Amerikaner. Eine Versicherungspflicht will Obama daher höchstens für Kinder einführen. Um dennoch die Zahl der Nichtversicherten zu senken, sollen mit massiven staatlichen Subventionen – die Rede ist derzeit von 450 Milliarden Dollar (312 Mrd. Euro) in den nächsten 10 Jahren – die Prämien der privaten Krankenversicherungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber erschwinglich werden.
In der Diskussion steht auch, den Prämienkauf an einer zentralen Stelle zusammenzufassen und den privaten Versicheren mit einer staatliche Krankenversicherung Konkurrenz zu machen. Gleichzeitig soll dem Geschäftsgebaren der Versicherungen beim Ausschluss von Vorerkrankungen – einem massiven Problem für viele Versicherte – ein Riegel vorgeschoben werden. Obama wie seine Gegner setzen zudem große Hoffnungen auf die Entfesselung des Wettbewerbs und der damit verbundenen Hebung von Effizienzreserven und Einsparpotentialen. Damit sollen die enormen Kosten der Reform getragen werden. Ähnliches wird seit Jahren auch bei uns gepredigt. Die bisherigen Erfahrungen lehren uns aber, dass Leistungserbringer Wettbewerb, Konkurrenz und Einsparungen eher scheuen.
Auch wenn die Gesetzgebung in Washington noch nicht abgeschlossen ist und es starken politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Widerstand gibt, lässt sich die Stoßrichtung der amerikanischen Gesundheitsreform klar erkennen. Präsident Obama will das teure und ineffiziente private Gesundheitssystem weiterentwickeln zu einer in Teilen solidarisch (durch Steuermittel) finanzierten Krankenversicherung für alle Bürger mit einer staatlichen Komponente. In Deutschland hingegen will Schwarz-Gelb mit aller Macht in die entgegengesetzte Richtung.