Berlin direkt von der Sarrazin-Partei in die große Freiheit
Am Sonntag Abend habe ich schon wieder ferngesehen. Aber das muss zulässig sein – für politisch interessierte Menschen. Sie wissen ja: sonntags abends läuft die erfolgreichste Magazinsendung des deutschen Fernsehens. Gemessen an ihren Zuschauerzahlen. Politmagazin, versteht sich, das meistgesehene . Sie wissen schon … – Nein, nicht Anne Will! Anne Will ist doch kein Politmagazin. Anne Will ist erstens eine Frau und zweitens eine Talkshow. Eine Polittalkshow, von mir aus. Aber eben kein Politmagazin.
Ein Politmagazin – ach, was rede ich: das erfolgreichste deutsche TV- Politmagazin ist „Berlin direkt“. Jeden Sonntag Abend im ZDF, und letzten Sonntag war es ein ganz besonderer Genuss. Wenn Sie diese Sendung verpasst haben, also …
… dann können Sie sie sich diese Woche noch in der ZDF-Mediathek ansehen. Hier:
(Die Zeitangaben in Minuten beziehen sich auf diese Sendung.)
Die Sendung beginnt mit der allerorten ausgerufenen „Unzufriedenheit der Wähler“, dem konservativen Profil der CDU und dem Deutschlandlied – intoniert in Moll. Und die Sendung beginnt – und endet! – mit der Wissenschaft, also mit Wissenschaftlern, Politologen oder – wie man im Fernsehen zu sagen pflegt: „Parteienforschern“. Nein, leider nicht mit „unserem“ Karl-Rudolf Korte. Andere Unis haben auch noch schöne Forscher.
Die FU Berlin z.B. den Oskar Niedermayer, und der sagt (1:30 Min.) zu einer „Sarrazin-Partei“: „Wenn es zu einer solchen Parteigründung käme, würde sie primär mal der Union Stimmen kosten, aber nicht nur. Diese Partei könnte aus dem bisherigen Nichtwählerlager ordentlich Wähler gewinnen …“
Boah! Würde, könnte und das bisherige Nichtwählerlager, mein lieber Mann! Der Niedermayer. Woher er das weiß? Erstens weiß man sowas. Zweitens weiß Niedermayer ja gar nichts, was er drittens mit einem vor lauter Konzentration verzerrten Gesicht und einer Kanonade der Konjunktive unterstreicht.
Dieter Stein dagegen weiß etwas. Er ist seit 34 Jahren Chefredakteur der „Jungen-Freiheit“, und die macht regelmäßig Leserumfragen. „75 % der Junge-Freiheit-Leser würden eine Sarrazin-Partei befürworten“, sagt Stein (2:20 Min.). Befürworten oder gar auch wählen? Und was ist mit den restlichen 25 % der Junge-Freiheit-Leser? Sind die überhaupt nicht von der NPD wegzubekommen? Fragen über Fragen, die „Berlin direkt“ leider nicht stellt. Hinterher vergrault man noch so einen wertvollen Interviewpartner!
Die „Junge Freiheit“ wohlwollend präsentiert im meistgesehenen deutschen Fernseh-Politmagazin. Danach der Gründer einer angeblichen Sarrazin-Partei, René Stadtkewitz. Frisch aus der CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses geflogen präsentiert er seine neue Partei. Name: „Die Freiheit“. Wir merken uns: das konservative Profil besteht zunächst einmal und vor allem Anderen aus der Freiheit. Freiheit, Freiheit über alles!
Nach viereinhalb Minuten ist endlich Erika Steinbachs „angebliche Kriegsschuld-Relativierung“ (4:30 Min.) an der Reihe. Steinbach in Topform. Eine Powerfrau kämpft um das konservative Profil: „Wir haben das in der CDU, wir dürfen es nur nicht verschweigen, sondern wir müssen es deutlich artikulieren“. Noch ist Polen nicht verloren. Noch hat die CDU alle Chancen, diese Kämpferin in ihren Reihen zu halten.
Und was ihre „angebliche Kriegsschuld-Relativierung“ betrifft, um es klarzustellen: Erika Steinbach hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass Deutschland Polen angegriffen hat und nicht umgekehrt. Sie hat nur darauf hingewiesen, dass Polen schon seit einem halben Jahr gegen Deutschland mobil gemacht hatte. Es tat ihr leid, sie konnte es nicht ändern. Wir merken uns: Hitler hat zwar Polen überfallen, aber er hatte einen Grund.
Dann live im Studio: Volker Kauder, Chef der Bundestagsfraktion, auch konservativ. „Unser Markenkern ist das christliche Menschenbild“, sagt er (7:30 Min.). Und aus diesem Menschenbild ist – Gott und Kauder sei Dank – konkrete Politik entstanden. „Wir haben bspw. Multikulti abgeschafft … Schluss mit Multikulti! Das ist doch eine konservative Position.“ (8:30 Min.) Ja doch, würde ich sagen, geht in Ordnung.
Die Freiheit, die junge Freiheit. „Berlin direkt“ mach weiter mit der Freiheit der Energiekonzerne, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Stichwort: Vertragsfreiheit. Hier: die Freiheit, Steuern und Abgaben zu zahlen, oder eben auch nicht. Hat die Bundesregierung eigentlich auch mit Ihnen schon verhandelt, wie viele Steuern Sie eventuell zu zahlen bereit wären? „Berlin direkt“ zufolge hat die Regierung mit den Konzernen … – ach, sehen Sie selbst! (11.00 Min.) Stamokap im ZDF.
Wir merken uns: das konservative Profil zeichnet sich im Kern durch die Freiheit aus. Und Freiheit bedeutet zunächst einmal und vor allem, wenn schon nicht gar keine, dann immerhin ziemlich wenig Steuern zahlen zu müssen. Insofern haben wir eigentlich schon eine Partei der Freiheit. Eine Partei, die das Freie in ihrem Namen trägt und die – Polit-Insider mögen sich erinnern – das uns Bürgern so unter den Nägeln brennende Thema Steuersenkungen immer wieder auf die Agenda gesetzt hat.
Diese Partei heißt – das müssen Sie sich jetzt nicht merken – FDP und Ihr Vorsitzender – wie gesagt: unwichtig! – Guido Westerwelle. Ein Außenseiterthema, eher so etwas für Parteienforscher. Und da ist der meistgesehene im deutschen Fernsehen Jürgen Falter. Und der sagt – halten Sie sich fest (15:40 Min.): „Also die FDP leidet unter Westerwelle, das ist überhaupt keine Frage. Andererseits leidet Westerwelle selber unter der FDP in einer gewissen Hinsicht: der eine zieht die andere mit runter und umgekehrt.“
Klasse! Der eine zieht die andere mit runter und umgekehrt. Falters Hetero-Sex als dialektisches Modell eines politischen Zerfallsprozesses. Einfach nur geil! Für den unbefangenen Beobachter, versteht sich. Für Guido Westerwelle nicht so sehr. Aber der tut was und kann von einer Regionalkonferenz berichten (18.15 Min.), “dass wir die Situation der FDP zum Besseren wenden wollen, dass wir gleichzeitig aber eben auch unseren Kurs fortsetzen.“
Ob das auch Dialektik ist? Oder einfach nur dummes Zeug? Was meint der Parteienforscher? „Es gibt im Augenblick keine Alternative zu Westerwelle, so weit man sehen kann, obwohl die Liberalen im zweiten Glied außerordentlich gut aufgestellt sind.“ (18:30 Min.) Na, dann ist ja alles klar.
Das war „Berlin direkt“. Bis zum nächsten Mal! Sagen Sie selbst: gerade wenn so richtig alles den Bach runter geht, das Deutschlandlied, das konservative Profil, die Freiheit … – gerade dann macht Politik so richtig Spaß.