Duisburg: Zum 11. Jahrestag der Loveparade-Katastrophe
Die Loveparade-Katastrope jährt sich zum 11. Mal. Auch in diesem Jahr kamen Angehörige, Hinterbliebene, Verletzte und Traumatisierte zusammen. Zunächst kamen zahlreiche Menschen am Vorabend zur „Nacht der 1.000 Lichter“ an der Gedenkstätte im Duisburger Karl-Lehr-Tunnel zusammen. Um Punkt 18 Uhr wurde der Tunnel für den Autoverkehr gesperrt. Wie auch all die Jahre zuvor übernahm der Verein „Bürger für Bürger“ die Ausrichtung der würdevollen Veranstaltung. An dem Ort, an dem vor 11 Jahren 21 Menschen ihr Leben verloren haben.
Hunderte Grablichter wurden von Helfern an der Gedenkstätte aufgestellt. Die „Nacht der 1.000 Lichter“ selbst ist eine Veranstaltung die ausschließlich dem stillen Gedenken an die Opfer diene. An diesem Abend kommen direkte oder indirekte Betroffenen, aber auch Bürger an den Ort des Geschehens zusammen, um dort nochmal innezuhalten.
Am heutigen Samstagnachmittag fand die Andacht für die Angehörigen in der Salvatorkirche statt, anschließend gab es ein gemeinsames öffentliches Gedenken gegen 16.45 Uhr am Unglücksort. Der Duisburger Musiker Philipp Eisenblätter gestaltet den musikalischen Rahmen, die Ansprache hielt der Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung, Jürgen Thiesbonenkamp. Der Fernsehsender „Studio 47“ übertrug die Gedenkveranstaltung zusätzlich per Livestream. In diesem Jahr wurde auch den Toten und Überlebenden der Hochwasser-Katastrophe gedacht.
22 Mal erklang die Glocke. Jeder Glockenschlag steht für einen der Menschen, die vor genau elf Jahren, an diesem Tag, an diesem Ort, ihr Leben verloren. Der 22. Glockenschlag wurde allen Verletzten und Traumatisierten gewidmet. In diesem Jahr ertönte ein 23. Glockenschlag, der allen Opfern der Hochwasser-Katastrophe gewidmet wurde. Doch nicht nur diese Änderung gab es in diesem Jahr.
In diesen Jahr kamen viele Überlebende nicht mehr zusammen. Während man im letzten Jahr Corona als Argument vorschob, sieht man seit Ende des Loveparade-Prozesses keinen Sinn mehr darin zusammen kommen zu wollen. Rund 50 Personen kamen an diesem 11. Jahrestag zusammen. Die Hälfte von ihnen vom Unglück persönlich betroffene Menschen. Wer aber einen Blick hinter die Kulissen wagt, erkennt, dass das Leid noch enorm und die Fronten verhärtet sind.
Doch wo sind sie alle hin? Diejenigen, die die Katastrophe überlebt haben? Nur, wenn man richtig hinschaut, dann sieht man sie. Sie fehlen nicht wirklich. An diesem Jahrestag findet man einige der Verletzten, Traumatisierten und Überlebenden, wenn man sie sucht. Der größte Teil von ihnen hat ein vernichtetes Urteil gefasst und möchte mit der Stadt Duisburg nichts mehr zu tun haben. Sie fühlen sich allein gelassen, um die Wahrheit betrogen und erklären klar, das sie nie wieder im Leben diese Stadt betreten wollen. Ein gutes Dutzend findet sich noch zum Jahrestag ein. Nur um „Präsenz“ zu zeigen, aufzuzeigen, das sie auch noch da sind. Sie zeigen mit ihrer Anwesenheit die Mißstände auf, die diese Stadt versprach aufzuklären und Hilfe leisten zu wollen. Doch heute fühlen sie sich von der Stadt nicht mehr willkommen, eher störend. Und dann gibt es noch die wenigen unter ihnen, die sich lieber im kleinen Kreis untereinander treffen. Sie kommen zusammen mit Menschen, die sie verstehen; die das Gleiche erlebt haben und das Erlebte nur für sich untereinander aufzuarbeiten. Einige von ihnen treffen sich am Jahrestag zum Essen mit Alt-Oberbürgermeister Adolf Sauerland.
Zum Treffen mit Alt-Oberbürgermeister Adolf Sauerland kommen jährlich mehrere Opfer, Verletzte und Traumatisierte zusammen. Sie tauschten sich aus. Erzählten, wie sie die letzten 364 Tage verbracht haben. Es sind Überlebende der Duisburger Katastrophe, die sich gegenseitig stützen und helfen. In diesem Jahr wagte es sich auch Rosalinda B. an diesem Treffen teilzunehmen. Rosalinda war mit ihrer Schwester auf der Loveparade und brach im Gedränge zusammen. Nur durch eine Reanimation überlebte sie die Katastrophe. Bis heute leidet sie unter den Folgen.
Zunächst zeigte sie sich bei dem Zusammentreffen verhalten. Sie saß dem Mann gegenüber, dem die meisten für das Unglück mit verantwortlich machen. Irgendwann brach sie ihr Schweigen und sagte: „Ich habe mich jahrelang gegen ein Zusammentreffen dieser Art verweigert. Habe immer wieder die Einladung abgelehnt. Heute bin ich froh, hier zu sein“. Es ist ihr erstes Zusammentreffen mit Adolf Sauerland. Auf einmal begann sie ihr Erlebtes allen Anwesenden zu erzählen. Sie war mitten in der Menschenmenge, musste einem Mädchen unten an der Treppe beim Sterben zusehen. „Ich sehe heute noch ihre Augen vor mir“, sagte sie mit gedrückter Stimme. Die Erinnerung an sie lässt sie nicht los. „Und dann habe ich meinen letzten Herzschlag gespürt“, sagte Rosalinda. Noch heute habe sie unter den Folgen der Loveparade-Katastrophe zu leiden. Sie zahle immer noch die Kosten ab, die ihr durch dieses Unglück auferlegt wurden.
Ganz ähnlich ist es Can K. ergangen. Er war erst 23 Jahre alt, als sich sein Leben schlagartig ändern sollte. Auch er hat die Massenpanik überlebt; er wurde schwer verletzt und ist seither traumatisiert. Er verlor erst seine Arbeit und geriet daraufhin in die Obdachlosigkeit. Lange Zeit lebt er in seinem Auto. Das einige, was ihm geblieben sei. Hilfe von offiziellen Stellen bekam er keine. Er wendet sich an den Verein „LoPa2010“ und erhält Hilfe. Seit gut einem Jahr habe er wieder Arbeit und auch eine kleine Wohnung. Führt wieder ein eigenständiges Leben. Stabilität im Alltag erfährt er nur durch regelmäßige Unterstützung des Vereines.
Während des Treffens überlegen einige, ob sie zur Gedenkveranstaltung an den Ort einkehren sollen, an dem ihr Leben eine drastische Wendung genommen habe. Einige der Anwesenden entscheiden sich dagegen, denn die Stiftung habe sie nicht kontaktiert. Sie fühlten sich unerwünscht und blieben der Gedenkfeier fern. Andere wiederum wollten es sich nicht nehmen lassen und wagten sich ihre Anreise anzutreten. „Wir haben überlebt, dennoch ein Recht darauf an den Ort wiederzukehren, an dem auch wir unser Leben verloren haben“, sagen sie.
Unter den Überlebenden der Katatrophe gibt es auch „Ausreißer“, die darum kämpfen, das in Duisburg aus dem 24.7. wieder einen Tag ohne Bedeutung gemacht werden soll. Sie messen dem Jahresgedenken keinerlei Bedeutung mehr zu. Sie fahren entweder in den Urlaub oder haben anderen Betroffenen mitgeteilt, das sie am heutigen Tag lieber in den Urlaub fahren oder zu betroffenen Gebieten der Flutkatastrophe anreisen, um den Opfern helfen zu wollen. Viele von ihnen fühlen sich von der Politik belogen, betrogen und über Jahre hinweg von der Presse ausgenutzt. Die Enttäuschung wiegt groß. Vorallem gegenüber Oberbürgermeister Sören Link, der ihnen am Anfang Hoffnung gemacht habe. Doch nun fühlen sie sich nur ausgenutzt. Ebenfalls durch Jürgen Widera, dem Ombutsmann der Stadt. „Wir finden es nicht in Ordnung, das er sich herausnimmt in unserem Namen zu sprechen, obwohl von unserer Seite her schon lange keine Kontakte mehr bestehen“, sagt ein Sprecher des Vereins LoPa 2010 e.V. Es seien nicht nur Überlebende, die den Kontakt nicht mehr wünschen. Sogar ein großer Teil der Angehörigen reagiere wohl nicht mehr auf Anschreiben der Stadt Duisburg oder ihrer Stiftung „Duisburg 24.07.“, heißt es.
Viele Opfer erhielten bis heute keine Unterstützung im Alltag. Im Fazit ist die Aufarbeitung des Unglücks genau so gescheitert, wie eine ehrliche Nachsorge. Will man es den Opfern wirklich verübeln, an einem Tag wie diesem nicht mit den Vertretern der Stadt zusammen kommen zu wollen? Immer wieder fragen sie sich, ob die Stadt je die wirkliche Absicht hatte, sich um die Opfer zu sorgen. Die Stiftung erkläre wohl immer wieder, sie hätten Kontakt zu den Opfern. Man habe sie aufgesucht, mit ihnen kommuniziert. Doch die Überlebenden identifizieren sich nicht mit der Stiftung. Wenn sich denn mal ein Kontakt zwischen den Überlebenden der Katastrophe und der Stiftung ergäbe, dann dient dieser nur zum Informationsaustausch, der sich auf deren eigenen Pläne beschränkt, wie sie selbst ihren Jahrestag an dem einstigen Unglücksort organisieren. Doch seit einiger Zeit werden ihre Interessen und Wünsche nicht mehr berücksichtigt. Dies teilte Jürgen Widera in einem Interview der Rheinischen Post mit. Der vor elf Jahren versprochene „Neuanfang“ den Opfern gegenüber, blieb bisher aus. Wie diese Stadt mit diesem historischen Unglück weiterhin umgehen wird, steht in den Sternen. Die Opfer, Verletzten und Traumatisierten werden nicht weniger und man kann sie sich nicht weg wünschen. Nein, sie sind nicht weg. Man sieht sie nur nicht mehr bei all den feierlichen Veranstaltungen, die für sie kein Grund zum feiern sind. Auch wenn sie nicht zugegen sind, wollen sie nicht vergessen werden.