Die wirtschaftliche Lüge
Unsere Wirtschaft beruht auf der Instrumentalisierung von Lügen. Zu lügen ist ein alltägliches menschliches Verhalten, um in der jeweiligen Gesellschaft sozialverträglich miteinander umgehen zu können. Dieses Verhalten ist ausgiebig zu lernen, denn was als sozialverträglich gilt, ist abhängig von geltendem Recht, von Gewohnheiten, Einschätzungen und nicht zuletzt von Empfindungen.
Diese Orientierungen sind auch für ein wirtschaftliches Verhalten zu veranschlagen. Ein markantes Beispiel kann das Marketing bieten, wie es alltäglich auf Gesellschaftsmitglieder niederprasselt, gleichgültig durch welche Medien. Das Marketing dient vor allem dazu, ein Produkt oder eine Dienstleistung schmackhaft zu machen und zu verkaufen. Ein Marketing gelingt auf Massenmärkten dann am besten, wenn lediglich der Markenname kenntlich wird, der Rest bleibt eine Sache der Fantasie, der vom potentiellen Kunden beliebig zu füllen wäre, je nach den jeweiligen Bedürfnissen. Auf diese Weise können Bedüfnisprodukte geschaffen werden, oder Bedürfnisdienstleistungen für den Massenkonsum.
Besonders die Marktwirtschaft ist abhängig vom Marketing, weil relativ viele unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen auf den Märkten angeboten werden. Die Kaufkraft ist begrenzt, dadurch entsteht ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern. Kausal wäre es also vorzuziehen, zu lügen, dass sich ‚die Balken biegen‘, um von der begrenzten Kaufkraft möglichst viel auf eigene angebotene Produkte bzw. Dienstleistungen zu lenken, unabhängig von einem Nutzen für die potentiellen Konsumenten. Der Vorteil der Marktwirtschaft ist, dass kaum vorgeschrieben wird, was als ‚ein Nutzen‘ gesellschaftlich anzuerkennen ist. Dieser Vorteil erhöht jedoch die Relevanz des Marketings und die faktische Tendenz, aus rationalen Erwägungen zu lügen.
Die Tendenz zur Lüge betrifft auch die wirtschaftswissenschaftlichen Theorien. Ich wurde beispielsweise an einer deutschen Hochschule regelrecht indoktriniert, an eine Entität zu glauben, die vor aller Erfahrung (a-priori) sei. An diese gleichsam theologische Doktrin wollte und konnte ich nicht glauben (vgl. die Anekdoten in: Matern, R. 2018). Eine sachliche Erörterung hatte Kathrina Talmi entwickelt, in dem von ihr herausgegebenen Essayband „Im Wettbewerb“ (2016). Sie ging auf eine empirische experimentelle Ausrichtung der Wirtschaftswissenschaften ein, die das A-priori ebenfalls bezweifelte und empirisch überprüfte. Der klassisch angenommenen egoistischen Nutzenmaximierung wird ein empirisch ermitteltes wirtschaftlich faires Vorgehen gegenübergestellt, der klassische Homo oeconomicus erfährt eine massive Relativierung.
Bislang ist dieser Ansatz des fairen Wirtschaftens nur unzureichend in den jeweiligen Gesellschaften angekommen, obwohl diese Veränderung auch das Arbeitsangebot erhöhen könnte. Menschen lassen sich viel lieber von Fantasien (und Lügen) leiten, als von einer prüfbaren Empirie.
Literatur:
Matern, R., 2018, Kulturlos, würdelos, aber bis an die Zähne bewaffnet (eBook), Duisburg.
Talmi, K., (Hg.), 2016, Im Wettbewerb (eBook), Duisburg.