Moses auf Modern: Die 10 Gebote – Pop-Oratorium in Dortmund
Über 2500 Sänger – eine vollbesetzte Westfalenhalle – Welturaufführung: An Superlativen war im Vorfeld wahrlich nicht gespart woren. Michael Kunzes und Dieter Falks Pop-Oratorium das heute im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010 dargeboten wurde ist als das Ereignis der Westfälischen Kirche gehandelt worden.
Der Titel lässt es schon ahnen: Das Pop-Oratorium, das halb szenisch dargeboten wurde, gründet sich auf die Mose-Geschichte der Bibel. So erzählt die Aufführung von der ersten Begegnung mit Mose und Zippora, seiner zukünftigen Frau, von seiner Berufung durch Gott, von den 10 Plagen und dem Auszug aus Ägypten und endet schließlich mit der Erteilung der 10 Gebote. Ein praller, ein voller Stoff – nicht zu Unrecht schon desöfteren von Hollywood verfilmt worden. Insofern konnte von der Geschichte an sich nichts schiefgehen, zumal sich Kunze relativ eng an die biblischen Geschehnisse hält – einige Freiheiten erlaubt sich das Oratorium dann doch, diese fügen sich aber gut in den Plot ein. So ist die Rolle von Moses Frau Ziporah etwas größer ausgebaut und mit der Figur des Naroch hat man eine dankbare Partie erfunden. Es existieren dann noch einen Erzähler und eine Erzählerin und der Chor kommentiert das Geschehen auf der Bühne so wie in einer griechischen Tragödie. So weit so gut.
Wenn da nicht die Neigung von Michael Kunze wäre bisweilen arg strapzierte Reime zu schmieden – etwas, was schon bei seinen Eigenproduktionen „Elisabeth“ oder „Mozart“ ab und an schräg ins Ohr fiel. So reimt sich dort Herr auf Meer, Pharaoh auf sowieso, Kehle auf Seele. Ab und an sind allerdings Passagen enthalten, die textlich sehr gelungen sind – so die Choreinwürfe, das Liebeslied zwischen Moses und Ziporah. Wenn nicht diese Ausrutscher wären, wäre das Ganze insgesamt wirklich ein Genuß. So muss man leider einige textliche Abstriche machen. Und die Interpretation der 10 Gebote Gottes als große Liebesgeste an die Menschen – da sollen sich Theologen mal drüber streiten, bekanntlich hat Jesus ja das Ganze in einem Satz zusammengefasst…
Wer die Musik von Dieter Falk kennt weiß, dass dieser souverän mit Pop- und Rockrhythmen umgehen kann. Insofern ist es nicht überraschend das im Stück selbst von der zarten Ballade bis zum Varietesong beim Tanz um das Goldene Kalb alles vertreten ist was zu einem Pop-Oratorium gehört. Dabei scheint Falk desöfteren in seine eigene Vergangenheit zu greifen – einige melodische Wendungen sind irgendwie sehr vertraut auch wenn man nicht genau weiß aus welchem Song sie stammen. Eindeutig ist aber das „Recyclen“ des Songs „The Best Part Of Me Is The Jesus You See“, den einst Cae Gauntt gesungen hat. Er taucht mehrmals auf und ist auch das Finale des Stücks. Desweiteren gibts viele wiederkehrende Motive – so die Einwürfe des Chores – und ein Vergleich mit „Joseph and the Amazing Technicolor-Dreamcoat“ läge durchaus nah. So wie dort spiegeln sich auch in den „10 Geboten“ die verschiedenen Stilrichtungen des modernen Pops und Rocks. Durchaus effektvoll eingesetzt – da gibts mal eine Solovioline, mal hat der Chor einen richtigen Aufschrei zu vollführen – aber beim direkten Vergleich würde „Joseph“ doch die Nase vorn haben. Denn obwohl die Musik von Dieter Falk recht schwungvoll ist, so bietet sie im Endeffekt nichts Neues. Gut, bei „Joseph“ ist das auch nicht mehr der Fall, aber „Joseph“ hat sich doch eine gewisse Frische bewahrt. Natürlich machen „Die 10 Gebote“ Spaß, natürlich klatscht man an den richtigen Stellen mit, aber nach dem Verlassen der Westfalenhallen bleibt allenfalls die Melodie von „The Best Part Of Me…“ im Gedächtnis. Kein gutes Zeichen für eine Show, die immerhin an die 2 Stunden dauert. Vor allem störend: Teilweise war das Orchester lauter als die Sänger – wenn der Text nicht stellenweise an zwei Leinwände projeziert worden wäre hätte man so einiges nicht mitbekommen. Hat man das bei der Generalprobe nicht gemerkt? Offenbar nicht.
Bei den Sängern haben vor allem Michael Eisenburger als Mose, Bahar Zikil als Ziporah, Yosefine Buohler als Erzählerin und Stefan Posvloski als Pharaoh überzeugt. Eisenburger schafft es die stimmlich anspruchsvolle Partie des Mose souverän zu spielen – Selbstzweifel inbegriffen. Eine Überraschung ist die von „Monrose“ bekannte Bahar Zikil. Darstellerisch könnte da vielleicht noch das ein oder andere Manko behoben werden, stimmlich aber jagt sie dem Hörer die Gänsehaut über den Rücken. Kräftig und frech: Yosefine Buohler. Paul Falk, ihr Partner, hatte leider ab und an Probleme bei seinen Anfängen – da mag auch die Technik schuld sein, die ersten Worte aber kamen meistens dann gar nicht an, desweiteren ist seine Stimme in den Höhen auch nicht besonders gefestigt. Poslovski ist ein herrlich grausamer Bösewicht als Pharaoh. Gesanglich nicht unbedingt brilliant dafür aber schauspielerisch überzeugend: Frank Logeman in der Rolle des Aaron. Bei Jonathan Agars Naroch war die Stimmenbrillianz zwar vorhanden, im Grunde aber fragt man sich warum man unbedingt diese Rolle erfinden musste. Das, was Schönberg in seiner Oper „Moses und Aron“ vorführte – dass nämlich das Brüderpaar sich ausgezeichnet als Charakterfiguren und auch Gegner eignen – das hätte Kunze vielleicht inspirieren können. Bei der Szene mit dem Goldenen Kalb funktionierte das ja auch.
Und Otto Sander? Dessen Stimme – wohl vom Tonband eingespielt – ist natürlich so markant, dass man keinen besseren für die Stimme Gottes gewinnen konnte. Vielleicht noch Ben Becker, aber das wäre ja irgendwie doch in der Familie geblieben. Seine Texte sind leicht modifizierte Original-Skripte – also etwas verständlichere Bibelverse.
Ist also Falk und Kunze der große Wurf gelungen, der wie „Jesus Christ Superstar“ auf Jahre hinaus noch die Bühnen der Welt bevölkern wird? Als Event sicherlich nicht, denn das was man in der Westfalenhalle sehen konnte war eine technisch durchperfektionierte Show, die mit ihrer Größe überwältigte. In dieser Hinsicht war das heute ein einmaliges Ereignis, das natürlich auf DVD festgehalten wird. Ob das Pop-Oratiorium auch in einem kleineren Rahmen seine Wirkung tun wird muss die Zukunft erweisen. Sicherlich sind einige wunderbare Songs enthalten – aber Popsongs sind in der Regel nichts, was für die Ewigkeit gemacht wird sondern für den Moment. Nein, ein neues Meisterwerk sind die „10 Gebote“ nicht, dafür ist die Musik nicht innovativ genug. Allerdings bieten die knapp 2 Stunden sehr gute Unterhaltung mit Tiefgang. Immerhin auch etwas.