Alle Jahre wieder: Luther versus Halloween
Jahrhundertelang wurde der 31.10. zumindest in den reformierten Landen als Geburtstag der Protestantischen Kirche begangen. Bis vor einigen Jahren nach und nach aus den USA das Fest „Halloween“ über den Ozean zu uns herüberschwappte. Da die Gesellschaft nicht mehr so stark mit der Kirche verbunden ist – und bei Weihnachten ist es uns allen gelungen ein Lichter-und-Konsum-Fest aus dem eigentlichem Fest der Geburt Jesu zu machen, bei Ostern arbeiten wir alle noch heftig daran – läuft Halloween dem Reformationsfest den Rang ab. Somit kommt alle Jahre wieder die Frage der Fragen auf. Nein, nicht, ob man am Karfreitag öffentlich tanzen sollte oder nicht. Es geht um die Frage: Luther versus Halloween. Entweder oder.
Halloween sei kein christliches Fest, so argumentieren die Gegner. Es hätte keltische Ursprünge und sei ja eigentlich mit den irischen Einwanderern in die USA gewandert. Es sei ein Fest des Okkulten. Kinder und Jugendliche würden zu dunklen Riten verführt werden, schwarze Messen an diesem Abend vollführt und generell ist das Fest eine reine Werbung für den Teufel und seine Dämonen. Das können Christ*innen nicht feiern. Da solle man doch lieber an Sankt Martin Süßigkeiten für die Kinder bereithalten, das hätte doch wenigstens noch einigermaßen einen Bezug zur christlichen Tugend des Teilens. – Wobei: Dass Kinder an Sankt Martin singend durch Geschäfte ziehen war mir vor meinem Umzug nach Köln nicht als gute christliche Tradition geläufig. Das ist eine typisch rheinische Tradition. Dass der 11.11. nicht nur Feiertag des Heiligen Martin ist, sondern auch Beginn des Karnevals wird gerne mal übersehen. Dass früher der 11.11. der Tag war, an dem die Bauern ihrem Lehnsherrn die Steuern darbrachten … das ist dann auch wieder Spezialwissen, erklärt aber vielleicht warum der 11.11. eher noch im Gedächtnis ist als der 31.10. Wobei der Heilige Sankt Martin ja von allen Christen gemeinsam vereinnahmt wurde. Gelebte Ökumene: Wenn der evangelischen Posaunenchor mit den Katholiken gemeinsam einem Mann auf einem Pferd hinterhergeht.
Übrigens sind Argumente gegen Halloween auch gerne im Spiel, wenn es um Karneval geht … Beide Feste haben mindestens zwei Dinge gemeinsam: Das Verkleiden, das Verteilen von Süßigkeiten. Karneval stellen wir aber kaum in Frage. Halloween schon. Dass Halloween mit dem Grauen und Schrecklichem verbunden ist, scheint das Fest allerdings eher in ein sehr suspektes Licht zu stellen. Der Vorstellung der Kelten nach wanderten in dieser Nacht Geister über die Erde, um sich die Lebenden zu krallen. Um diese zu verwirren daher die Verkleidung – analog zum Austreiben der Winterdämonen im Karneval. Und zufriedenstellen konnte man diese Geister mit Opfergaben.
Geister haben im christlichen Glauben eher nichts zu suchen. Wobei es im Alten Testament die Szene gibt, in der König Saul durch eine Hexe einen Geist beschwören lässt. Dass er damit noch tiefer in die Gottverlassenheit fällt als ohnehin schon zu diesem Zeitpunkt – dass hier natürlich Propaganda am Werk ist, damit der kommende König David strahlender dargestellt werden kann, das dürfte klar sein. Wahrsager sollte man nicht leben lassen, so steht es im Gesetz. Die Toten konnten auch gar nicht wiederkehren, weil sie im Scheol landeten. Ein trostloser Ort, aber kein Ort der Strafen. Eher sowas wie bei den Griechen der Hades. Bekanntlich hatten die Griechen noch die Inseln der Seligen für die Auserwählten. Das mit der Hölle bildete sich später heraus. Eigentlich ist die Hölle im christlichen Glauben auch ziemlich dicht. Also die Grenzen sind ziemlich geschlossen. Wer einmal drin ist, kommt nicht raus. Dass die Kirche später das Fegefeuer erfand, dass sehr wohl erreicht werden konnte – durch Gebete und Messen konnte die Zeit der Leidenden verkürzt werden – machte die Grenzen dann durchlässiger. Gespenster und Geister, deren Gewissen sie immer noch quälte, erschienen jetzt den Lebenden und konnten von ihnen erlöst werden. Vor allem, wenn ein Unrecht erfolgte. Bekanntes Beispiel: Hamlets Vater, der als Geist seinen Sohn zur Rache auffordert.
Doch die Frage ist eine Andere: Wird durch das Feiern eines Festes dem Teufel nicht zu viel Wert beigemessen? Welche Werte hat Halloween gegenüber dem Reformationsfest? Die Werte des Reformationsfestes stehen ja fest: Es sind die christlichen. Und Halloween verbreitet – die unchristlichen Werte? Allerdings ist es doch mit Halloween mittlerweile so wie mit Weihnachten: Die ursprünglichen Elemente sind längst vergessen. Genauso wie beim Weihnachtsfest ist der Kern längst überwuchert vom Konsumdenken. Und das schreckt auch vor dem Reformationsfest nicht zurück: Das Merchandising zum Thema Luther ist zwar nichts im Vergleich zu den Auswüchsen von Halloween, aber Luthersocken mit dem Slogan „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ sind auch geschmacklich nicht minder fragwürdig als manches sexistische Halloween-Kostüm. Wenngleich das Reformationsfest nicht so heftig von Merchandising umworben wird, weil das Potential des Festes wohl eher als gering geschätzt wird. Kurzfristig flammte das was 2017 auf, aber das war nur ein Strohfeuer. Luther ist nur für einen Teil der Christ*innen wichtig. Und von diesem Teil der Protestanten verirrt sich nun auch nur ein Teil in den Gottesdienst an dem Tag.
Dass alle Halloweenfeiernden automatisch den Teufel verehren – das mag eine Sichtweise der eher fundamentalen Christ*innen sein. Ebenso ist keiner, der die christlichen Feste begeht automatisch Christ*in. Was die Feiernden eint ist die Freude. Auf der einen Seite die Freude an Lichtern, an Wärme, an die Zeit für die Familie – auf der anderen die Freude am Grusel, am Schockiert-sein gewürzt mit der Erleichterung, dass man nicht selbst in dieser Situation ist. Mehr ist da bisweilen auch nicht. Die wahrhaftigen Teufelsanbeter werden wohl eher die Nase rümpfen über das, was an Halloween passiert – das wäre für sie vermutlich reiner Kinderkram. Vor allem: Wer wirklich an den Teufel glaubt und ihn anbetet, der macht das auch den Rest des Jahres. Genauso wie jemand wirklich ernsthaft Christ*in ist. (Wobei ich mich frage: Warum heißt es eigentlich Church of Satan? Und gleichzeitig die Antwort habe, dass Kirche ja nicht unbedingt das Gebäude meint.) Was an bösen Dingen und Taten in unserer Gesellschaft passiert, passiert ja nicht purge-artig nur an diesem einen Tag. Sondern das Böse und das Grauen existiert ständig und überall. Das war auch eine Überzeugung Luthers übrigens: Dass der Böse ständig darauf bedacht ist, Menschen ins Verderben zu ziehe. Da spielte jetzt der Tag an sich keine große Rolle.
Halloween zieht die Faszination daraus, dass wir für einen Tag in die Rolle des Bösen schlüpfen können ohne böse zu sein. Was auch die Faszination an Karneval ist. Im Karneval können wir hinter den Masken sündigen ohne direkt die Strafe befürchten zu müssen. Praktischerweise gibts die Vergebung der Kirche an Aschermittwoch ja direkt dazu. Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Nach Halloween ist das eher nicht so der Fall. Aber auch hier folgt auf den Rummel die Besinnung: An Allerheiligen besuchen wir die Gräber der Verstorbenen. Der Tod, der sonst eher verdrängt wird, hat zumindest an einem Tag Gewicht.
Dass die Faszination am Bösen stärker ist als die an einem Mönch, der eigentlich keine neue Kirche begründen wollte, ist irgendwie logisch. Von daher darf man auch nicht erwarten, dass der Reformationstag – der eigentlich auch ein richtiger Feiertag sein könnte, wenn denn das gewollt wäre, was ja auch schon etwas aussagt – jetzt emotionale Jubelstürme hervorruft. Deswegen wird er mehr und mehr verdrängt. Unter anderem auch, weil die Anzahl der Gläubigen weniger wird.
Aber was sollte davon abhalten, Halloween und gleichzeitig Reformationstag begehen zu wollen? Zum Thema Dämonen hat die Bibel auch Etliches zu sagen. Sie findet sie bekanntlich nicht gerade gut. Aber das Auseinandersetzen mit dem Schrecken an sich und die Zuversicht, dass Gott sämtliche Dämonen – auch die im eigenen Inneren – besiegt hat können für Christ*innen der Punkt für Gelassenheit sein. Und wenn man sich als Mönche für Halloween verkleidet … hat man dann nicht das Beste beider Welten?