Lockerungsregeln oder Herr Laschet, was ist ein Kleines Konzert?
Hurra, wir leben noch. Was mussten wir nicht alles überstehn und leben noch. Möchte man jetzt mit Milva singen. Oder vielleicht auch lieber nicht, je nachdem. Lockerungsregeln für das überstandene Leben nach Corona gibts jetzt in NRW auch. Okay, wir haben die Pandemie nicht ganz besiegt. Ein bisschen Corona ist ja noch, aber die Politik hier in NRW setzt auf die Eigenverantwortlichkeit der Menschen im Umgang mit den Lockerungsregeln. Das wird gut. Sowas von Gut. Also der Herr Laschet sagt das.
Nein, nicht dass es gut wird. Also so direkt hat er das nicht gesagt. Er hat folgendes gesagt: Mit seinen konkreten Zeitkorridoren und klaren Vorgaben steht er <der Plan für die Lockerungen> für Planungssicherheit und Flexibilität. Dabei setzen wir auch auf die Vernunft und das Vertrauen der Menschen in unserem Land. Es geht um weniger Reglementierung bei immer mehr Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger.
Genau: Eigenverantwortung. Weniger Regeln. Weniger Definieren, weniger Rahmen setzen. Einfach ein bisschen Laisser-Faire. Das regelt schon der Markt … Pardon: Es regelt der Verstand der Menschen. NRW setzt halt nur so einen Rahmen, den man dann individuell ausfüllen kann. Also bis auf die Geschäfte. Da kriegen die das hin zu definieren, dass eine Person auf zehn Quadratmetern sich aufhalten darf. Nach der Öffnung. Wir haben ja alle von Kindheit auf gelernt, was zehn Quadratmeter sind. Ein für uns normaler Abstand, das kriegen wir eigenverantwortlich schon hin, dass nicht zwei oder drei Leute an einem Regal nach den dringend benötigten Nudelprobiergabeln greifen werden …
Wird super funktionieren. Wie das mit den Masken. Also in NRW gibt es keine Mund-Nasenschutz-Verordnung, sie gilt ja nur für Geschäfte und Bus und Bahnen. Und Haltestellen. Ach, nicht gewusst? Na ja. Aber wer liest sich denn auch die Anweisungen der DVG an den Haltestellen schon durch bevor er hinstiefelt und setzt die Maske dann auf, wenn er an der Haltestelle auf den Bus wartet? Ignoriert wird die Maskenpflicht im Bahnhofsgebäude ja komplett. Auch, wenn es ab und an Durchsagen gibt, es gibt Wenige, die wirklich beim Duchqueren des Gebäudes von Neudorf in die Stadt den Mund-Nasenschutz aufsetzen. Oder ihn richtig aufsetzen. Ja, es hilft schon was, wenn der Mund verhüllt ist, aber die Nase sollte auch schon bedecket werden. Ganz groß auch: Mit Maske den Bus betreten und dann die Maske wieder runterklappen.
Der nächste Satz ist bitter, aber leider wahr: Eigenverantwortlichkeit funktioniert bei dummen Menschen nicht. Und wenn sie funktionieren würde, würde vor den Supermärkten halt nur der freundliche Hinweis stehen, man möge doch bitte eventuell mal sein Gesicht bedecken. Aber nein, hier musste die Pflicht her. Weil wir Menschen halt nicht so verständig und klug und einsichtig und eigenverantwortlich sind. Leider ist das mit der Maske ja noch schlimmer: Kaum hat man eine auf, schwuppdiwupp, verschwinden die Abstandseinhalteregeln aus dem Gehirn. Es ist wie bei Kelly Bundy, eine neue Tatsache im Gehirn schmeißt eine alte Tatsache raus, weil die Kapazität des Gehirns so begrenzt ist.
Wie man in Schwimmbädern – auch Hallenbäder später – Abstände im Wasser halten möchte? Trennt der Bademeister da Bahnen ab? Wie will man verhindern, dass Kinder halt nicht Königskinder spielen, die zusammen nicht kommen konnten? Kinder sind flink. Da ist der Abstand schnell mal unterlaufen. Bei Spielplätzen wird das ähnlich sein. Endlich haben die Helikopter-Eltern einen neuen Lebenssinn: <Sören-Benjamin, nein, du darfst nur mit der Annika spielen, aber nicht mit dem Hans-Jochen, der gehört nämlich zu einem dritten Haushalt und – FINN, WAS HABE ICH ZUM ABSTAND HALTEN GESAGT? ZWEI – METER. IST DAS DENN SO SCHWER?>>
Und was, wenn ich mal direkt fragen darf, Herr Laschet, ist eigentlich ein Kleines Konzert? Das ist öffentlich ja ab Mai wieder möglich und wenn man das Hygienekonzept einhält auch in geschlossenen Räumen – übrigens ein Wort, das häufig auftaucht, Hygienekonzept, aber was exakt das sein soll hat die Regierung auch schon vorher nicht genau erklärt, nur was mit Desinfektionsmitteln und Seife und Wasser und Abstand. Na, das klappt ja in den Schulen so großartig gut, da können sich die Theater- und Konzertveranstalter sich eine Scheibe abschneiden. Das geht sich halt schon aus. Aber mal Butter bei die Fische, Herr Laschet: Was genau ist ein Kleines Konzert?
Es wird wohl abgezielt auf die Zuschauerinnen, aber denkbar wäre auch, dass nur eine begrenzte Anzahl von Musikerinnen auf der Bühne stehen dürfen. – Symphonieorchester fallen damit wohl erstmal sowieso raus, aber wenn man den Abstand von ca. zwei Metern einhalten muss, dann passen eventuell nicht alle Musiker von The Dorf auf die Bühne … Konkret mal: Eine Orgelmatinee in der Mercatorhalle – ein Kleines Konzert? Streichquartett? Alle kammermusikalisch möglichen Zusammenstellungen? Eine Punkband mit fünf Mitgliedern? Könnte in NRW Elton John als Solokünstler auftreten? Nichts Genaues weiß ich bisher nicht, ausser der PM ist ja nichts momentan draußen, was die Fragen in NRW klären könnte. Laschet möchte sich wohl ungern die Sonne verhageln lassen.
Gute Frage, nächste Frage: Ab wie vielen Zuschauer*innen ist ein Konzert denn klein? Zehn? Zwanzig? Sind dreißig Zuschauer*innen möglich? Fünfzig? Sechzig? Mein Verstand sagt, ab einhundert Zuschauer*innen wird das wohl eher schon größer sein … So richtig geklärt ist das nicht, denn NRW setzt auf die Mitverantwortlichkeit der Menschen und dementgegen stehen ja exakt definierte … Moment, aber bei den Geschäften können die klar definieren. Aber im Land der Küchenbauer sind solche Dinge nicht wichtig.
Wichtig, wichtig, was war denn noch gleich … ach so, wie das jetzt mit den Kindergärten wird und den Kindertagesstätten, also – nun – ja – das hat man heute jedenfalls nicht geklärt. Ist auch nicht so wichtig. Die Viertklässler auf der Stelle in die Schule schicken ist natürlich wichtiger weil, weil … Ich stelle mir jetzt schon verzweifelte Lehrer vor, die über Rochade-Klassenplänen sitzen oder die von Raum zu Raum hetzen wegen der Hygiene-Konzepte. Die Jahrgänge sollen ja tageweise unterrichtet werden. Genaue Konzepte? Ach, das ist ja Sache der Kommunen, nicht wahr, Her Laschet? Haben Sie bei Anne Will doch noch gesagt. Ansonsten läuft doch alles super … Alle sind happy, alle sind froh. Und überall, wo man hinguckt, Liebe und Frieden und so. <Die Ärzte>.
Die gute Botschaft also, die parteitaktisch verkündet wird: Lockerungsregeln. Dem Corona-Virus werden die Zügel lockergelassen. War alles halb so wild. Es ist überstanden. Der Alltag kommt zurück. So denkt wohl ein Großteil der Bevölkerung. Und verhält sich so, als wäre alles vorbei: Hurra, wir leben noch. Wer aber wirklich glaubt, dass solange es keinen Impfstoff gibt wir wieder so leben können wie vor Corona täuscht sich. Jederzeit ist eine zweite Welle möglich. Und selbst, wenn wir die Lockerungsregeln ohne ein Emporschnellen der Infizierten überstehen: Das Durchdenken, ob diese Regeln wirklich umsetzbar sind, das überlässt Laschet Anderen. Wenn die Regeln ein Erfolg waren, dann kann sich Laschet darin sonnen. Wenn die Regeln ein Misserfolg werden, dann hätten die Kommunen und die Städte die Regeln strenger umsetzen sollen – und Laschet wäre aus dem Schneider und würde Mutti vom Thron stoßen … Allerdings: Bis es soweit ist, kann Laschet das alles auch wieder auf die Füsse fallen, denn wer allzu forsch nach vorne schreitet und die Umgebung nicht kennt, stolpert leicht über den kleinsten Zweig.