Duisburg: Von der Realität auf die Bühne – „Die Wiedergutmachung“ von Multicultural City e.V.
Am heutigen Abend zeigte die Jüdische Gemeinde das Theaterstück „Die Wiedergutmachung“ von Multicultural City e.V. Die Inszinierung basiert auf wahre Begebenheiten im damaligen Skandal im Streit um die Ghetto-Rente und die demütigende Behandlung der antragstellenden Opfer.
Auf der dunklen Bühne – zwei Menschen. Hinter ihnen, von Kinderhand an die Schultafel gekritzelt- wurden zwei Worte die an die Wand projiziert: Richter und Zeuge zeigen. Richter: „Wann genau begann und endete die Beschäftigung im Warschauer Ghetto?“ Der Zeuge kann keine genauen Angaben machen. „Die Zeit war für uns nicht wichtig“, sagte er. Die Fragen werden immer mehr: „Gab es Entscheidungsfreiheit bei der Wahl der Arbeit? Hat man dafür nur Suppe oder auch Geld bekommen? Hätte man nicht auch mal Nein sagen können?“ Der alte Mann stützt sich auf seinen Gehstock. Er ist sichtlich überfordert und verzweifelt. Zermürbt von der deutschen Bürokratie. Alles, was er aus seiner Kindheit im Ghetto vorweisen kann, ist sein gelber Judenstern aus Stoff. Nun steht er aber als Zeuge vor Gericht, um zu beweisen, dass er Anspruch auf Rente aus diesem System in Deutschland habe. Für Gänsehaut sorgte eine ganz markante Szene des Stückes. Hierbei standen Kinder im Mittelpunkt, die die einstigen damaligen jungen Arbeiter der Fabriken und KZ´s des Dritten Reichs symbolisierten. Es hallte die Frage der Richterin durch den Saal: „Können noch weitere Zeugen für die Arbeitszeiten im Ghetto benannt werden?“ – Die Kinder riefen der Reihe nach die Namen großer deutscher Unternehmen auf: „Astrawerke! Ostindustrie GmbH! AEG! Neckermann!“
Das minimalistisch gehaltene Bühnenbild, die Zeichnungen des Berliner Künstlers Yukihiro Ikutani, die live auf einer Rückwand projiziert werden, alte Filmaufnahmen und die tiefgehende Musik des polnischen Geigers Adam Baldych sorgten von Anbeginn an für Beklemmungen im Saal. Die Schauspieler schlüpften in unterschiedliche Charakteren, die mit russischem oder polnischem Akzent sprechen um das Ganze realer wirken zu lassen. Künstlerisch wurde hier lebendiges Theater mit dokumentarischen Charakter geschaffen. Als Zuschauer durchlebt man ein Wechselbad der Gefühle zwischen Beklommenheit, Scham und Entsetzen.
Der Anspruch auf die sogenannte Ghetto-Rente wurde den Holocaust-Überlebenden im Jahr 2002 vom Gesetz her zugesprochen. Doch kaum jemandem war bewusst, welch perfiden Dinge einst im Hintergrund abliefen. Den Überlebenden wurden die Zahlungen vorenthalten. Die einstigen jüdischen Kinder und Jugendliche kämpften damals in den Ghettos des NS-Terror-Regimes um Ihr Überleben. Sie mussten sich ihren Teller Suppe oder Essensmarken unter unmenschlichen Bedingungen erarbeiten. Obwohl ihnen kaum etwas übrig blieb, waren sie gezwungen in die Rentenkassen, wie zum Beispiel über den Judenrat, ihren Beitrag einzuzahlen. Als dann 2002 der Bundestag ein entsprechendes Gesetz verabschiedete, das ihnen somit eine Art „Rentenanspruch“ zusprach, versuchten einige der Überlebenden von ihrem guten Recht Gebrauch zu machen. Dabei ging es vor allem um die Anerkennung ihrer Erlebnisse, geleistete Arbeit und auch Lebensgeschichte. Denn sie wurden ausgebeutet und litten extrem unter Hitlers Schergen. Einst mussten sie ums Überleben kämpfen, wurden ihrer Kindheit beraubt. Und mit der Einführung der Ghetto-Rente wurden sie erneut einem Kampf ausgesetzt. Der Kampf um die Anerkennung ihrer Arbeit vor den deutschen Sozialgerichten. Richter Jan-Robert von Renesse setzte sich besonders für diese Menschen und gegen die behördliche Ungerechtigkeit derer sie ausgesetzt waren, ein. Aus seinen eigenen Reihen erfuhr er im Anschluss daran massiven Widerstand. Dennoch setzte er sich weiterhin unermüdlich für die Menschen dahinter ein. Denn die Rentenbehörde verschickte unverständliche Formulare. Viele Antragsteller lebten oder leben im Ausland, sind der Deutschen Sprache nicht mehr mächtig. Mehrere tausend gestellte Anträgen wurden auf Grund von „fehlender Mitwirkung“ und Unvollständigkeit durch die Antragsteller abgewiesen. Dem einst hierfür eingesetzten Richter am Sozialgericht in Nordrhein-Westfalen in Essen war über die Vorgehensweisen empört und ließ historische Gutachten erstellen. Er reiste nach Israel zu Zeugenbefragungen und erreichte so, dass die Renten in über 60 Prozent der Fälle bewilligt wurden. Zuvor wurden 90% der gestellten Anträge abgelehnt. Schon bald erreichte Richter von Renesse eine Welle der Anfeindung und Widerstand aus der eigenen Behörde. Er wurde von den Ghetto-Rente-Fällen abgezogen und geriet selbst unter Beschuss der Justiz. Ihm wurde Rufschädigung der Sozialgerichtsbarkeit vorgeworfen. Das Verfahren gegen ihn wurde erst nach zwei Jahren eingestellt. Für sein Engagement wurde Jan-Robert von Renesse mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
Das Theaterstück selbst wurde von Regisseurin Monika Dobrowlanska entwickelt. Hierfür wurde ihr Einblick in frei verfügbare Akten, private Archivmaterialien und Aufnahmen gewährt. Unter anderem suchte auch sie Kontakt zu Opfern, Nachfahren und Anwälten von Antragstellern auf. Das Theaterstück basiert auf Kindheitserinnerungen der Ghetto-Überlebenden und wird mit Befragungs-Szenen aus dem Gericht verknüpft. Bedrückend, wenn man bedenkt, das diese Opfer einst unter dem SS-Regimes gedemütigt wurden und somit in Deutschland eine erneute Demütigung erfahren mussten, obwohl es um ihr gutes Recht ging.
Nach der Aufführung stellten sich alle am Theaterstück beteiligten Personen einer kurzen Diskussion.