Ein Kopfschütteln und ein WTF: Boris Palmer versteht die Bahn nicht
Wenn ein Post schon damit beginnt, dass dies ja sicherlich einen Shitstrom nach sich ziehen würde, dann kann man damit rechnen, dass die nächste Sondersendung mit Anne Will im Hintergrund schon geplant ist. Oder anders: Dass diese Provokation natürlich genauso berechnet ist wie alles, was Boris Palmer in der Vergangenheit so von sich gegeben hat. Tübingens OB ist halt ein spezialgelagerter Sonderfall innerhalb der Grünen. Einer, der – wenn das so weitergeht – seine politische Zukunft sicherlich an anderen Stellen suchen können wird. Aber für diese Parteien hat er sich ja schon explizit angeboten.
Boris Palmer jedenfalls regt sich natürlich nicht darüber auf, dass bei einer Bahnanzeigenkampagne überwiegend migrantisch aussehende Menschen dargestellt werden. Das wäre ja rassistisch und rein persönlich hat er nichts gegen eine multikulturelle Gesellschaft an sich. – Wobei … Moment mal: Für mich als Betrachter sind diese fünf Bilder von Personen, die ich nicht kenne, in der Auswahl erklärungsbedürftig. Nur eine der fünf Personen scheint keinen Migrationshintergrund zu haben. Das ist ungewöhnlich und ich würde gerne die Absicht dahinter verstehen. Kurz vorher meint er noch, wenn es es eine Kampagne für Toleranz an sich wäre, ja dann …
Die Absicht hätte Herr Palmer leicht googeln können, denn die Bahn hat zum Start ihrer neuen Motivkampagne durchaus auch schon etwas veröffentlicht. Außerdem: Dass man Nelson Müller vielleicht nicht kennt, geschenkt. Aber Frau Eckes? Echt jetzt? Als Politiker mit einem Fernsehen oder zumindest Endgerät mit Internetanschluss auch Nico Rosberg nicht zu kennen? Herr Palmer, Herr Palmer, da gibt die Bahn mal nach Hilfe: Tatkräftig unterstützt wird die Kampagne als Markenbotschafter wieder durch Nico Rosberg. Er erhält dieses Mal Verstärkung von Sternekoch und Gastronom Nelson Müller und Moderatorin und Entertainerin Nazan Eckes. Als Vierte im Bunde steuert die Sängerin Hanna Batka den Song „We are“ zur Kampagne bei. Jeder von ihnen repräsentiert verschiedene Produkt-Themen der Bahn, wie zum Beispiel Schnelligkeit, digitale Services, Bordgastronomie, Service allgemein, Familie, Entertainment, Entspannung oder Nachhaltigkeit.
Na schön, ob die Gastroerfahrungen in der Bahn auf den Niveau eines Sternekochs wie Nelson Müller sind, darüber kann und mag ich nun nicht urteilen. Aber die Testimonials sind für die passenden Bereiche ausgesucht. Service allgemein. Familie. Entertainment. Nachhaltigkeit. Entspannung. Das ist in erster Linie das, was die Bahn mitteilen will: Jeder kann die Zugfahrt so gestalten, wie er mag. Sofern er anderen Leuten nicht auf die Nerven geht. Etwas, was Zeitgenossen leider nicht immer verinnerlichen. Aber nun denn. Noch etwas möchte die Bahn uns mitteilen: Seit 15. April präsentiert sich die Deutsche Bahn mit einer Neuauflage der Kampagne „Diese Zeit gehört Dir“ von einer anderen Seite – als Gastgeber der Zukunft. Boris Palmer mag da zwischen den Zeilen eine Art von Gehirnwäsche vermuten. Konjunktive kommen ja immer gut, wenn man keine Fakten und Daten hat, es bleibt ja immer etwas hängen, denn – es könnte ja so sein. <Hier bitte die Musik der X-Akten im Kopf abrufen. Danke.> Die Ziele der Bahn sind jedoch und aber ausdrücklich diese: Seit 15. April präsentiert sich die Deutsche Bahn mit einer Neuauflage der Kampagne „Diese Zeit gehört Dir“ von einer anderen Seite – als Gastgeber der Zukunft.
Wenns denn beim Konjunktiv bliebe … doch nein. Nein, er führt das wirklich weiter aus. Die Verschwörung, nach der die Bahn nur noch Kampagnen mit Menschen macht, deren Migrationshintergrund zu sehen ist. Es gibt ihm <sic> Rahmen der Debatte über Identitätspolitik und alte weiße Männer die These, man müsse denen, die bisher nicht aufgrund ihrer Identität diskriminiert wurden, eine eigene Diskriminierungserfahrung zuteil werden lassen, um sie sensibler für Diskriminierung zu machen. So könnte man es deuten, wenn alte weiße Männer in der Bildauswahl der Deutschen Bahn nicht mehr vorkommen. Boris Palmer unterstellt der Bahn hier tatsächlich eine politische Agenda. Nur: wie kommt Palmer auf die Idee, dass Menschen ohne erkennbaren Migrationshintergrund auf der Seite der Deutschen Bahn nur noch als Minderheit dargestellt werden.
Hat er persönlich die Kampagenenmotive der letzten Jahre durchgesehen, die die Bahn so geschaltet hat? Jetzt kann man fragen, wie eng der Zeitraum sein soll – vor vier Jahren jedenfalls waren die Motive für die App jedenfalls voller weißhäutiger Menschen. Offenbar sogar mehr Frauen als Männer. Aber hier, letztes Jahr noch: Zwei alte weiße Männer. In einem Werbespot. Und hier: Das Bahnjubiläum wird bebildert mit – nun, weißen Männern und Frauen. Und denen sieht man teilweise den Migrationshintergrund wirklich nicht an. Natürlich darf man Fragen stellen. Natürlich darf man auch Konjunktive verwenden. Wenn man Gehör bei Leuten finden möchte, die öfters den Begriff der Umvolkung im Mund führen, dann ist dieses Vorgehen genau das Richtige. Jedoch: Boris Palmer ist Mitglied der Grünen.
Und diese Grünen sind anderen Idealen durchaus verpflichtet, wie man unter anderem dem Parteiprogramm entnehmen kann: Menschenfeindliche Ideologien verhindern Integration und gefährden den gesellschaftlichen Frieden. Allen Versuchen, unsere Gesellschaft durch Ausgrenzung, rassistische Diskriminierung und Bedrohung von Menschen zu spalten, stellen wir uns entschieden entgegen, egal aus welcher Ecke sie kommen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe, die uns allen etwas abverlangt und von der wir alle profitieren.
Zwar sind die Grünen durchaus gut darin, Argumentationskonflikte auszuhalten – erinnert sich noch jemand an die Debatten zwischen Realos und Fundis? Da zerfetzte man sich ja wirklich ausnehmend gut. Die Frage ist, ob jemand wie Boris Palmer, der nicht zum ersten Mal mit Äußerungen auffällt, die eher in ein anderes Lager als das der Grünen gut passen würden, wirklich noch in der Partei verbleiben sollte. Denn immerhin sagt Paragraph Zehn des Parteiengesetzes:
„Ein Mitglied kann nur dann aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.“
Besonders heikel an der ganze Sache: Palmer äußert diese Dinge kurz vor der Europawahl. Er torpediert, wofür die Grünen in diesem Europwahlkampf auch stehen und fügt ihnen damit ohne weiteres Schaden zu. Es wäre höchste Zeit, dass der Vorstand der Partei sich genauer mit Palmers Querschlägen auseinandersetzt. Die allerhöchste.