Der MSV darf nicht sterben! Zwangsabstieg eines Untoten
Er war keine Überraschung, dieser Zwangsabstieg. Eigentlich sind sich darin alle einig. Und doch: der Schock sitzt tief. Es tut einfach so weh, obwohl… – und auch darin sind sich eigentlich alle einig – …die Probleme, die Ursachen, die letztlich dazu geführt haben, hausgemacht waren. Oder sind. Jetzt haben wir den Salat: Zwangsabstieg. Allein schon dieses Wort! Zwangsabstieg – das hört sich so an, als würde ansonsten immer so ganz ungezwungen abgestiegen. So ein Abstieg ganz zwanglos, das wär´s doch. Bernard Dietz hat gesagt: „Absteigen kann man. Aber doch nicht so!“ Macht er aber – gezwungenermaßen. Der MSV, und deshalb irgendwie auch der Ennatz. Deshalb: Zwangsabstieg. Traurig ist das. Der MSV darf nämlich nicht untergehen. Und soll ich Ihnen auch mal sagen, warum? Äh: warum nicht?
Ach, das wissen Sie schon. Sieh mal einer an! Was meinen Sie? Der MSV dürfe nicht untergehen, weil er so ein schönes, neues, modernes und vor allem teures Stadion hat? Ätsch! Das war aber falsch. Zum Beispiel auch deshalb, weil er es gar nicht hat. Jedenfalls nicht so richtig, nicht so ganz. Ohne jetzt hier auf die Feinheiten eingehen zu wollen: am Ende zahlen ohnehin die Stadt Duisburg und das Land NRW die Zeche für den ganzen Spaß. Nein, nicht für den zukünftigen Spaß: Meidericher SV gegen den VfB Speldorf in der Oberliga Niederrhein. Fünftligaspiel in der großen Arena. Nein, so ein Tinnef spielt natürlich keine Rolle. Gezahlt werden muss aber noch für den Spaß, den man bereits hatte: sog. gehabter Spaß vor dem Zwangsabstieg. Alles Schnee von gestern.
Alles andere kommt drauf an. Mitunter haben die Hinterbliebenen Probleme. Sei es der Schmerz des Verlustes, seien es finanzielle Sorgen. Etwa, wenn der Ernährer unerwartet ausfällt. Das Positive hier: zumindest während der letzten Jahrzehnte hatte der MSV niemals auch nur einen Cent zum Gedeihen dieser Stadt beigesteuert, sondern war immer nur Kostgänger. Nicht ganz so positiv: seine Hinterlassenschaft. Kein Problem, möchte man meinen, wir kennen dies aus unserer bankrotten Verwandtschaft: eine Erbschaft kann man ohne weiteres ausschlagen. Leider zu kurz gedacht. Leider gibt es einen kleinen Unterschied zwischen unserer Tante Frieda, die in ihrer ömmeligen Mietwohnung verstarb, und einem Wirtschaftsbetrieb aus dem Segment der Unterhaltungsindustrie, dessen Unterhaltungsangebot nicht ansatzweise so interessant war wie Heino als Rocksänger.
Es geht nicht darum, eine große Sache aus dem kleinen Unterschied zwischen Tante Frieda und dem MSV zu machen. Es geht nicht darum, diese klitzekleine Differenziertheit künstlich auszuschmücken. Sie ist auch nicht prinzipieller Natur; es handelt sich eher um einen graduellen Unterschied. Nämlich um den folgenden: wir hatten Tante Frieda einfach kein Geld geliehen. Niemand von uns. Nicht, dass wir sie nicht gemocht hätten; im Gegenteil: jeder von uns wusste, dass Frieda nun einmal nicht mit Geld umgehen konnte. Da wäre es doch verantwortungslos gewesen, wenn… – ich meine: man gibt doch einem Alkoholiker nichts zu saufen. Und man leiht ihm allein schon deshalb kein Geld, weil dies doch auf dasselbe hinausliefe. Nein, nein – Tante Frieda hatte nicht gesoffen, nur ständig so beknackte Ideen. Einen kleinen Geltungsdrang und – vielleicht auch deshalb – so zweifelhafte Figuren um sich herum. Tante Frieda ist tot.
Der MSV eigentlich auch; der Unterschied: der MSV darf nicht untergehen. Er ist zwar irgendwie gestorben, irgendwie aber auch wieder nicht. Ein Untoter. Er hat eine Identität, allerdings nur eine aus längst vergangener Zeit. Aber er hat kein Spiegelbild. Und weil er, obwohl er längst tot ist, auf seine spezielle Art und Weise weiterlebt, kommt er ohne neue Nahrung nicht so ganz aus. Tote können nichts produzieren, Untote brauchen aber ständig frisches Blut. Sie saugen es aus den Lebenden heraus, die danach ebenfalls nicht mehr leben, aber auch nicht sterben dürfen. Der MSV übrigens zapft nicht erst seit gestern die Blutbank an. Sein Beutezug hat schon vor Jahren begonnen. Er saugt sie alle aus: die Kindergärten und die Schulen, die Kultureinrichtungen und die kleinen Sportvereine, das Straßensystem und die Wasserversorgung. So richtig Leben tun sie alle nicht mehr, doch Sterben dürfen sie auch nicht.