Gibt es technologische Arbeitslosigkeit? Teil 2 von 3
Eine Nachbetrachtung zur gleichnamigen Reihe von Dr. Werner Jurga von Julius Census
„Also bitte! Wo bleibt diese gehortete Geld?“ war meine letzte Frage im ersten Teil dieser kleinen Reihe. Wir konnten feststellen: normalerweise landet alles Geld (auch das „angelegte“) immer im realen Wirtschaftskreislauf. Denn selbst Sparbuchguthaben werden von den Banken dazu verwendet, Rendite zu schaffen. Und im klassischen Bankgeschäft bedeutet das: neue Kreditvergabe oder Wertanlagen in der Realwirtschaft über Aktien, Beteiligungen etc. Es ist also immer ein direktes oder indirektes Tauschen von Geld gegen Waren bzw. Dienstleistungen.
Das hat sich mit den Finanzmärkten stark verändert. Hier werden meist Geld-“werte“ gegen Geld getauscht. Gerade der Derivatehandel ist ein fast lupenreines „Geld gegen Geld“-Geschäft. Hier werden oft Kredite, Anleihen etc. mit unterschiedlichen Risiken in Pakete geschnürt und gehandelt. Oft derart, dass der Käufer das wahre Risiko der enthaltenen Einzelprodukte nicht oder nur sehr schwer beurteilen kann. Das nennt man „Informationsasymmetrie“. Oder umgangssprachlich: „auf hohem Niveau bescheißen“.
Um zu verstehen, was es bedeutet, Geld mit Geld zu „machen“, muss man erst einmal wissen, was Geld heute ist. Hier hilft uns WIKI weiter mit seiner Erklärung zum aktuell bestehenden Fiat -Geldsystem. Das hat nichts mit dem gleichnamigen Autobauer zu tun und auch nichts mit der italienischen Mafia (auch wenn es uns heute manchmal so vorkommt).
„Fiat“ leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet frei übersetzt „es werde“. Bevor wir uns hier aber in der Diskussion über Geldsysteme verlieren, empfehle ich einfach die Lektüre des oben genannten WIKI-Artikels.
Für uns ist wichtig: in diesem Währungssystem entsteht neues (im Börsenjargon „frisches“) Geld ausschließlich durch Kreditaufnahme. Das ist auch gut so; denn dadurch ist die Geldmenge nicht mehr nach oben begrenzt, wie das z.B. in Goldwährungen der Fall war. Es kann theoretisch unendlich viel Geld „geschöpft“ werden. Es müssen nur genug Kreditnehmer gefunden werden, die möglichst große Kredite aufnehmen. Damit ist ein unbegrenztes (Wirtschafts-) Wachstum möglich. Genial! Oder?
Wer jetzt aufmerksam gelesen hat, wird den Haken bei der Sache sehr schnell erkennen. Nein, es ist nicht der Zins oder Zinseszins, den man sicher auch diskutieren kann. Es ist die schlichte Tatsache, dass Wachstum auf den Finanzmärkten (und nicht nur da) nur über mehr Schulden möglich ist. Wir erinnern uns: Geld mit Geld „machen“ bedeutet nichts anderes, als dass mehr „Dumme“ gefunden werden müssen, die mehr neue Schulden machen, als dass alte Schulden beglichen werden. Das bedeutet auch, dass „Schuldenbremsen“ automatisch das Wachstum eingrenzen.
Wer also Schuldenbremsen und gleichzeitig mehr Wachstum fordert, ist Opfer einer besonderen Art von „Informationsasymmetrie“. Ich nenne sie einfach mal „lobbyistische Informationsassymetrie“. Daraus folgt noch etwas anders, nämlich eine neue Art des Verteilungskampfes. Der Kampf um die Verteilung des „Haben“ ist auch immer ein Kampf um die Verteilung des „Soll“. Auf den Finanzmärkten ist das besonders drastisch, da hier nur mit Geld gegen Geld gehandelt wird. Für die Finanzmärkte sind Neuverschuldungen existenziell. Während die normalen Märkte lediglich temporär Geld benötigen, um den jeweiligen Handel abzuschließen, ist Geld die Ware der Finanzmärkte. Sie können nur mit der Geldmenge (=Schuldenmenge) wachsen. Vielleicht wird dadurch deutlicher, wozu die ganzen Rettungsschirme wirklich gut sind.
Doch was hat das nun mit unserer anfänglichen Frage zu tun, mit der „technologischen Arbeitslosigkeit“?
Es ist eine verlockende Versuchung für jeden, der im Besitz von Geld ist, dieses auch „arbeiten“ zu lassen. Wie wir jetzt wissen, ist dies auch in den klassischen Anlageformen volkswirtschaftlich kein Problem, da das Kapital immer im Warenverkehr landet. Zum Problem wird die Sache erst, wenn das Geld im Finanzsektor angelegt wird. Hier haben wir dann unsere „Geldseen“, die ausschließlich eins bewirken: immer mehr neue Schulden, die auch verteilt werden wollen.
Dann kann jedoch die höhere Effizienz eben nicht in den Wirtschaftskreislauf zurückgegeben werden. Die durch die Produktivitätssteigerungen entstandene „technologische Arbeitslosigkeit“ wird nicht mehr ausgeglichen. Es entsteht ein Überhang, bei dem man sich streiten kann, ob er „strukturell“ oder „technologisch“ oder schlicht „aus Habgier“ begründet ist. Doch schauen wir uns an – um wieder zum eigentlichen Thema zurückzukehren – was denn nun technologische Arbeitslosigkeit in den letzten Jahrzehnten ausgelöst hat.
Dass die Mikroelektronik uns eine Zweite Industrielle Revolution beschert hat, sollte heute allgemein akzeptiert sein. Die Vielfalt und Tiefe, mit der diese Technologie in unser Leben eingegriffen hat und immer mehr eingreift, ist beeindruckend und beängstigend zugleich. Sie hat uns – nach der Agrar- und der Industriegesellschaft – ein neues Gesellschaftsmodell beschert: die Dienstleistungsgesellschaft.
Dieser Strukturwandel bringt eine andere Form der Arbeitslosigkeit mit sich. Die „strukturelle Arbeitslosigkeit“. Das bedeutet, dass alte Berufsbilder wegfallen und sich neue bilden, die Arbeitslosen aber (noch) nicht die nötige Ausbildung dafür haben, um in diesen neuen Berufen tätig werden zu können.
Auch hier lohnt sich das entsprechende Kapitel zur Dienstleistungsgesellschaft in WIKI zu studieren. Dort stehen folgende bemerkenswerte Sätze:
„Tatsächlich verwandelt sich die Struktur der Nachfrage in der Gesellschaft nicht, sondern durch Prekarisierung nimmt der Anteil der Personen mit geringem Einkommen zu und die frühere Vollbeschäftigung endet. Durch die Produktivitätssteigerung in den ersten beiden Sektoren wurden Arbeitskräfte frei und der Dienstleistungsbereich diente als „Auffangbecken“ für die freigesetzten Arbeitskräfte.“
Hier wird also klar zum Ausdruck gebracht, dass die neuen Technologien viele Arbeitsplätze obsolet gemacht haben. Es sind also tatsächlich Menschen aufgrund von technologischem Fortschritt arbeitslos geworden, aber dann später wieder im Dienstleistungsbereich in Arbeit gebracht worden. Wichtig ist aber: „die frühere Vollbeschäftigung endet“. Es wird (systembedingt) nie wieder Vollbeschäftigung geben! Es werden immer ein „paar“ Arbeitskräfte übrig bleiben. Zumal auch Umschulungen teuer und zeitaufwändig sind. Beides Kostenfaktoren, die kein Betriebswirtschaftler gerne in der Bilanz sieht.
Es gibt aber auch noch einen weiteren Satz, der da lautet:
„Die typischen Berufe der Dienstleistungsgesellschaft gelten als rationalisierungsresistent, da oft die Qualität der Arbeit von ihrer Quantität abhängt.“
Sehen wir diesen Satz einmal genauer an: zu dienstleistungstypischen Berufen gehört z.B. der Call-Center-Agent. Dass dieses Berufsbild recht differenziert ist, ist mir bewusst, da ich früher selbst einige Call-Center mit aufgebaut habe. Aber ist dieser Beruf wirklich so rationalisierungsresistent? Ein einfache Frage dazu: Haben Sie schon mal eine Hot-Line angerufen und folgenden Satz gehört? „Wenn Sie xxx, dann drücken Sie die Eins. Wenn Sie yyy, dann drücken Sie die Zwei“? Richtig! Das hat wohl jeder.
Thema damit erledigt? Ganz sicher nicht! Mittlerweile ist es bekannt, dass Sie bei Hot-Line-Nummern auch schnell mal bei einem Call-Center in Bangalore / Indien oder anderswo landen (bis vor ein paar Jahren war das auch Irland). Und schon ist diese Branche doch nicht mehr so ganz rationalisierungsresistent wie angenommen. Aber zu diesem Beispiel dann im 3. Teil mehr.
Das ist sicherlich nur eine – zugegebenermaßen recht kleine – Branche, in der sich die Dienstleistungsgesellschaft austoben kann. In meinem Bereich (ich bin Programmierer von Beruf) hatte man uns schon vor Jahren prophezeit, dass wir uns selbst „wegprogrammieren“, was nachweislich nicht eingetroffen ist. Trotzdem hat Technologie schon viele Dienstleistungsberufe gründlich verändert und teilweise überflüssig gemacht. Wobei es natürlich immer Segmente geben wird, die nicht durch Technologie ersetzt werden können. Zumindest nicht durch die gegenwärtige.
Rationalisierung wird nicht allein durch die Technologien definiert, sondern auch durch optimierte Organisationsabläufe. Organisation regelt Informationsflüsse und Bearbeitungsstufen. Und klar: auch hier gibt es kräftige Unterstützung via neuer Technologien. Ist solch ein Freisetzen von Arbeitsplätzen dann doch „technologische Arbeitslosigkeit“?
Da bin ich mit Werner Jurga einig: Ist es nicht. Denn dann sollten (eigentlich) wieder die normalen Arbeitsmarktmechanismen greifen. Doch es gibt noch eine umgekehrte Form der Rationalisierung. Eine de-Rationalisierung? Eine Irrationalisierung? Was für einen Sinn sollte das haben? Das würde ja jeder ökonomischen Logik widersprechen. Völlig unmöglich!?! Oder doch nicht?
Ich behaupte einfach mal: Es gibt bewusste Irrationalisierung, um die Folgen der technologischen Arbeitslosigkeit einzudämmen. Ich kann Gedanken lesen. Sie denken gerade: „Jetzt ist er übergeschnappt.“ Okay, es ist eine Behauptung. Eine Hypothese, die ich hier zur Diskussion stelle. Lassen Sie mich bitte zunächst ein paar Beispiele dazu anführen!
Einige davon uns kennen Sie noch: die „Steuererklärung auf dem Bierdeckel“ von Friedrich Merz. Sie hatte ja einige Nachfolger: von Herrn Kirchhoff bis hin zu Brüderles „DIN A4 Blatt“.
Aber wir sind ja nicht beim Thema Steuern, sondern beim Thema technologische Arbeitslosigkeit. Was also würde passieren, wenn eine solche bahnbrechend einfache Steuergesetzgebung wirklich umgesetzt würde? Sie wäre sicherlich hocheffizient, schlicht, einfach. Sie würde unser aller Leben erheblich vereinfachen. Aber Sie werden mir zustimmen, dass so etwas keine Chance auf Umsetzung haben wird. Schon allein wegen der vielen Arbeitsplätze. Was anfangen mit dieser Schar hochqualifizierter Steuerberater, Finanzamtsangestellten, Verwaltungsrichter im Steuerrecht etc., die dann freigesetzt würden? Gut, auch das wäre ja keine technologische Arbeitslosigkeit, sondern eine strukturelle. Oder doch nicht?
Zunächst einige weitere Beispiele: was passiert eigentlich, wenn wir den Bankensektor und ganz speziell „die Finanzmärkte“ neu regeln? Schon jetzt entlassen die Banken massiv ihre „golden Boys“ und setzen verstärkt auf Technik. Der Computerhandel ist in aller Munde. Und wie sehr der von Technologie abhängt hat, Professor Harald Lesch in diesem Bericht sehr schön verdeutlicht.
Das letzte Beispiel aus dieser Reihe, die man sicherlich noch endlos fortsetzen könnte, ist eines, das auch gerade heftig diskutiert wird und deren Verfechter ich auch bin. Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE).
Was passiert, wenn wir es einführten? Es würden sicherlich einige 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Angefangen von vielen Mitarbeitern der Arbeitsagentur über die dann unterforderten Sozialgerichte bis hin zu Hilfsorganisationen, die dann weitgehend überflüssig würden. Schon aus diesen Gründen hat das BGE leider schlechte Chancen, obwohl ich gerade darin eine Lösung für viele unser Probleme sähe.
Was weit schwerer wiegt: durch das jetzige System werden einige Berufe noch in einem wirtschaftlich sinnvollen Rahmen gehalten, die bei normaler Bezahlung schon längst durch Technologie ersetzt wären. Lagerarbeiter z.B. hätten keinen Platz mehr auf diesem Arbeitsmarkt. Doch was hat das nun mit technologischer Arbeitslosigkeit zu tun?
Das letzte Beispiel hat schon ein Hinweis darauf gegeben. Viele Dienstleistungsarbeitsstellen werden heute künstlich am Leben gehalten. Durch direkte oder indirekte staatliche Subventionen, wie Arbeitgeberzuschüsse für ältere oder benachteiligte Arbeitnehmer, Aufstocker im prekären Bereich und bis vor kurzem die Ein-Euro-Jobs, werden Arbeitsplätze und damit die „arbeitgebenden“ Firmen kräftig subventioniert.
Denn der Dienstleistungssektor ist bei weitem nicht in der Lage, auf Dauer alle durch technologische Entwicklung weggefallenen Arbeitsplätze zu ersetzen. Auch bei einer Neustrukturierung würde er nicht das Volumen erreichen, das er vor dem Eintritt in die Dienstleistungsgesellschaft hatte.
„…und die frühere Vollbeschäftigung endet“ steht bei WIKI dazu. Technologisch bedingt wird es nie wieder so viele Arbeitsplätze geben wie vor dem Umbruch in die Dienstleistungsgesellschaft. Der Überhang an fehlenden Arbeitsplätzen ließe sich dann doch als technologische Arbeitslosigkeit interpretieren; denn Beschäftigung, die die wegrationalisierten Arbeitsplätze kompensieren könnte, kann nicht bereitgestellt werden.
Schon heute wird versucht, mit „künstlichen Dienstleistungen“ die fehlenden Stellen aufzufüllen. Stellen wir uns dieser einfachen Wahrheit und nehmen die Herausforderung an! Ich bin sicher: aus dieser Erkenntnis die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, könnte den Weg in eine durchweg vielversprechende Zukunft bahnen.
Im letzten Teil werde ich einen Ausblick wagen. Aufzeigen, was noch so auf uns zukommen wird. Gewagt? Mag sein. Aber als Programmierer werde ich es mir einfach einmal erlauben ;)…