Kuhls Kolumne: AFFE
Eine Féte an der Universität-Duisburg-Essen im Wald. Elfen, Feen, Waldmeister, Fruchtbarkeitsgötter, Himbeermarmelade, Kleeblätter, Waldschrate, Holzfällersteaks, Uhugeheule, Fliegenpilze, Grüngeister, Wildwechsel, Borkenkäfer – die übliche Einöde.
Nach ein paar Bieren war mir das über und ich gab dem Ruf der Wildnis nach. So schlug ich mich durchs Unterholz, hangelte mich von Liane zu Liane, versackte beinahe im Mangrovensumpf und stieß in die Tiefen des Urwalds vor.
Plötzlich sah ich ein Betongebäude mit großen Fensterscheiben. Weil alles zu war musste ich einbrechen. Drinnen gab es mehrere Abteilungen. Doch bevor ich mich weiter umtun konnte, sah ich, dass ein Gorilla mir zuwinkte. Ich ging auf ihn zu – doch da war eine Scheibe zwischen uns. Er gab mir ein Fingerzeichen, bedeutete mir, hinten rum zu kommen.
Als ich vor ihm stand nahm er eine offiziöse Haltung an und sagte: Hi, ich bin Charly. Ich bin hier der Boß. Willkommen im Duisburger Affenhaus! Ich stellte mich auch kurz vor, wobei er mich unterbrach: Ach, du bist das, der Kabarettist, hab schon von dir gehört, wollte schon öfter mal zu dir ins „Past scho“ gekommen sein – aber die Arschlöcher lassen mich ja hier nicht raus…
Kein Problem sagte ich so wie ich hier reingekommen bin, so kommst du raus. Er schüttelte sich vor Lachen: Dein Einbruch ist mein Ausbruch. Komm, laß uns einen saufen gehen! Was wir dann auch taten.
Draußen auf der Mülheimer Straße war reger Verkehr – fast soviel wie auf dem gegenüberliegenden Waldparkplatz, dem Straßenstrich. Wir gingen Richtung Neudorf, vorbei an den architektonisch etwas missglückten technischen Fakultäten und bogen beim Jugo-Restaurant in den Sternbuschweg ein – und redeten über Affen und Menschen.
Charly hatte für meine Spezies nicht viel übrig: Ihr seid ein Fehlschlag der Evolution, ein Irrtum, der uns Originale einsperrt und unreife Bananen frisst – auf so was käme ein Affe nie. Er belehrte mich über die Hominiden, sozusagen meine Familie: Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen: Bonobos, Zwergschimpansen, haben 98,4 Prozent ihrer Gene gemeinsam mit euch – und sind stolz auf ihre 1,6 Prozent…
Inzwischen sind wir im Finkenkrug, setzen uns und bestellen zwei „Judas“ – ein belgisches Starkbier, das man woanders nicht kriegt. Charly mustert die anwesenden Frauen: Boah, wenn du der die Jeans runterziehst, bestimmt alles knallrot – Pavianarsch!
Diesmal muß ich lachen und erzähle ihm von hirntoten Lohnsklaven, die sich tagsüber den Nacken krankducken, sich vom Chef den Arsch versohlen lassen, BILD glauben und mit TV-Comedy schön blöd bleiben. Und von den zwanziger Jahren, als es noch Kabarett gab, von meinen Satiren, von Konzentrationslagern, von Kohl und Merkel… Warum müsst ihr immer alles kaputtmachen? – fragt er mich. Als Berggorilla hatte ich ein schönes Leben. – Wir Menschen waren auch mal frei… entgegne ich.
Wir stoßen mit dem dritten „Judas“ an – und schieben immer einen Wodka dazwischen. Was wäret ihr eigentlich ohne uns? Wir benutzen Werkzeuge, jagen in Gruppen, fressen Pflanzen und Fleisch, führen Krieg, haben eine Sprache, ein Gesellschaftssystem, putzen uns gegenseitig das Fell, können auf zwei Beinen laufen… Alles, was ihr seid, ist von uns… Mir ist seine Wut zwar verständlich – aber das interessiert mich dann auch nicht mehr als eine öde Uni-Féte, hätte ich ja gleich dableiben können.
Charly sieht sich derweil die anderen Gäste an, fragt, warum Frauen den Lidschatten über den Augen tragen, drunter würde einem Mandrill schon ähnlicher sehn. Oder: Das mit King Kong war eine Riesensauerei, den so zu diskriminieren, gewalttätiges Höllenwesen, Bestie – bloß weil er verliebt war. Irgendwie sind wir beide am Arsch, zahlen und nehmen noch zwei „Judas“ mit.
Charly will „Ficken gucken“. Ich schlage die kleine Wiese auf der Waldseite der Lotharstraße zwischen Uni und Fußballplatz vor. Da kann man nachts Hasen rammeln sehn.
Auf dem Weg erzählt er mir noch von den Bonobos, deren Gruppen von Weibchen geführt werden, die ständig die Partner wechseln. Der Geschlechtsakt sei bei denen nicht nur zur Fortpflanzung sondern das übliche Sozialverhalten – genauso wie das gegenseitige Fellkraulen. Wir Gorillas sind da weiter. Bei uns herrscht beinhartes Patriarchat. Die Weibchen sind unter Kontrolle. Muß mal pissen… Während er sich in die Büsche schlägt stelle ich mir Gorillaweibchen mit türkischem Kopftuch vor und beginne, Bonobos zu mögen.
Da quietschen ein paar Bremsen, mehrere Männer in Blaumännern kommen auf mich zu und werfen mir ein Netz über, man jagt mir eine Spritze in den Arsch. Im Wegdämmern denke ich noch: Die King Kong-Szene. So blau kann ich doch gar nicht sein.
Jetzt wohne ich im Affenhaus, und bin das Wahrzeichen der Stadt – oder wenigstens des Duisburger Zoos. Und draußen läuft Charly rum – und nennt sich Judas Thomas Kuhl, was kein Mensch merkt, noch nicht mal das Publikum im Kabarett.