Evita im Colosseum Essen: Oh what a show…
Noch bis zum 16.01. gastiert die „Evita“-Produktion des Londoner Westend Theatres im Colosseum in Essen. Eine Inszenierung, die sich sehen lassen kann. Schwächen sind allerdings der schauspielerisch etwas zu blasse Che und die Integration des Filmsongs „You must love me“.
Eigentlich könnte dieses Musical über den Aufstieg und Fall der Eva Peron der perfekte Kommentar zur Kommunismus-Debatte sein. Geht es doch in einer zentralen Szene des Stückes doch um die Forderungen nach Freiheit, nach Gewerkschaften, nach Demokratie und natürlich schwingt im Musical immer die politische Note mit. Dafür hat Tim Rice mit der Figur des Che genügend gesorgt. Ebenso geht es um Macht, um Aufstieg und Fall von Politikern, um das Militär, um die Manipulierung von Menschen. Man ist da schon leicht geneigt ins Grübeln zu kommen und Vergleiche mit der Karriere von heutigen Politikern zu ziehen. Doch stochert man damit nicht zu tief in eine Aufführung, die vor allem eins möchte – unterhalten? Schließlich ist das hier nicht Brecht, es ist Andrew Lloyd-Webber – es ist etwas Schnulze, es ist etwas Pathos und es ist vor allem eine brilliant inszenierte Show.
Ganz klassisch hält sich die Inszenierung des Londoner Westend Theatres an die bekannte Fassung von 1978, eröffnet also mit der Ankündigung von Evitas Tod im Kino und fährt dann die Stationen des Lebens fort. Dabei ist die Optik der Zeit angepasst: Die Upperclass tritt in weiß auf, die Damen mit fließenden Röcken, die Arbeiter mit aufgekrämpelten Hemden und Westen. In klassischen Ledermänteln der Geheimdienst. Kurzum: Die Inszenierung bemüht sich nicht um eine Aktualisierung sondern verharrt im gewohnten Zeitumfeld der 40ger und 50ger Jahre in Argentinien. Fast schon etwas zu klischeehaft: Wenn Mark Powell als Che in grüner Kampfmontur, rotem T-Shirt und Springerstiefeln auftritt. Sängerisch ist dieser Che durchaus kompetent, allerdings hätte man etwas mehr Biss von einem Revolutionär erwartet, mehr Zynismus angesichts der Show. Schade.
Überflüssig: „You must love me“
Mark Heenehan als Peron dagegen legt eine schauspielerische Glanzleistung hin, doch bei Nummern wie „She is a diamond“ hat man ab und an den Eindruck, dass die hohe Lage nicht unbedingt die seine ist. Da die Rolle aber meistens eher im Bariton/Bass-Bereich angesiedelt ist fällt diese Schwäche nicht sehr ins Gewicht. Hervorragend dagegen als Schauspielerin und als Sängerin: Abigail Jaye – wobei natürlich jeder auf das weltbekannte „Don’t Cry for me Argentina“ im zweiten Akt wartet. Schon im ersten aber changiert sie geschickt zwischen einfachem Mädchen vom Lande und berechnender Femme fatal und steigert sich im zweiten Akt vor allem gegen Ende als Todkranke.
Was dagegen weniger gelungen ist, ist die Einbettung des extra für den Film geschriebenen Songs „You Must Love Me“. Der nachkomponierte Song passt nicht in die klassische Inszenierung und hält dem Musikmaterial von 1978 auch nicht stand, er fällt zu sehr gegen die anderen Songs ab. Zudem sich die Motivation von Evita auch ohne diesen Song erschließt – da Andrew Lloyd-Webber allerdings bekannt dafür ist, dass er gerne alles selbst kontrolliert muss man annehmen, dass diese Änderung auch von ihm gebilligt worden ist. Immerhin: „Another Suitcase in Another Hall“ wird glücklicherweise nicht von der Evita-Darstellerin gesungen…
Fazit: Gelungene Aufführung mit einigen Schwächen
Die Frage nach der Politik aber ist eine, die in diesem Stück und in dieser Inszenierung auch zutage tritt. So wenn beim Pokern um die Macht ein General nach dem Anderen mit Kapuze überm Kopf abgeführt wird – und das Libretto legt auch durchaus eine politische Dimension an, Che’s bissige Kommentare etwa. Diese Dimension kulminiert im Waltzer, bei dem Che und Evita sich näherkommen und gleichzeitig voneinander entfernen. Ja, es gibt Böses in der Welt und in jeder Regierung – nur zu leicht vergisst man diese politischen Aspekte beim seligen Melodienreigen Webbers.
Alles in allem ist die Aufführung gelungen: Das Orchester füllt die Partitur gut aus, ab und an gibts sogar einige Überraschungen beim Arrangement. Elegant und wirbelnd das Ensemble, wobei besonders die kleine Darstellerin hervorgehoben werden muss, die in „Santa Evita“ zu hören ist. Da die Aufführung zudem auf Englisch ist kann sich der Kenner voll und ganz auf die Bühne konzentrieren, deutsche Obertitel helfen aber auch beim Verständnis. Wobei diese offenbar teilweise nach der gesungenen deutschen Fassung nachempfungen sind, die leider an etlichen Stellen nicht gut übersetzt worden ist. Doch dieses Manko sollte man in Kauf nehmen. Schließlich ist „Evita“ in Deutschland nicht all zu oft zu sehen und daher ist der Besuch ein absolutes Muss für alle Andrew Lloyd-Webber- und Musical-Fans.