Loveparade: “Natürlich weiß ich heute, dass andere Fragestellungen wichtiger waren” – Interview mit Dr. Hubert Klüpfel TraffGo HT (Teil 1)
Herr Dr. Klüpfel, Sie sagen, dass Sie von niemandem mit einer Zu- und Abwege-Konzepterstellung beauftragt wurden. Weshalb nicht?
Dr. Hubert Klüpfel: Das weiß ich nicht. Die Frage kann Ihnen besser derjenige beantworten, der dafür als Auftraggeber in Frage käme.
Das hätte demnach die Stadt Duisburg sein müssen, richtig?
Dr. Hubert Klüpfel: Die Stadt wäre als eine mögliche Auftraggeberin in Frage gekommen, ja.
Ist es richtig, dass für die Genehmigungsprozedur einer Versammlung, gleich welcher Größe, ein gesondertes Konzept der Zu- und Abwegeregelung nicht erforderlich ist?
Dr. Hubert Klüpfel: Mir ist kein Gesetz oder keine Verordnung bekannt, die ein solches Konzept fordert. Gefordert sind ein Brandschutz- und ein Sicherheitskonzept. Dabei dreht sich alles darum, was in einem Notfall zu tun ist. Z.B. wenn es brennt und Sie das Gelände evakuieren müssen.
Den gewöhnlichen Ablauf, also die Prävention von Unfällen beschreibt die Veranstaltungsbeschreibung. In ihr wird der zeitliche Ablauf der Veranstaltung beschrieben. Es werden dort auch die Besucherströme beschrieben. In dem Sicherheitskonzept werden operative Maßnahmen, also z.B. der Ordnereinsatz zur Vermeidung von Unfällen mit den Floats beschrieben. Wie gesagt, das alles können Sie selbst nachlesen (z.B. bei Wikileaks).
Am Brandschutzkonzept gibt es mindestens drei Kritikpunkte:
1.Die Unterschreitung der Fluchtwegbreiten
2.Die fehlenden Flucht- und Rettungswege im Tunnel
3.Die Unmöglichkeit der geplanten Personenzahlen
Ich will zu den einzelnen Punkten zunächst etwas sagen und dann noch einige allgemeine Gedanken anführen.
Die Unterschreitung der Fluchtwegbreiten
Es ist wahrscheinlich, dass die Entfluchtungsanalyse ein wesentlicher Baustein im Genehmigungsprozess war. D.h., ohne die Entfluchtungsanalyse wäre eine Genehmigung nicht zustande gekommen. Das heißt aber nicht, dass die Entfluchtungsanalyse kausal zum Geschehen beigetragen hat. Sie war nur ein Teil im gesamten Planungsprozess und behandelte nur die Entleerung des Geländes. Die Simulation der Bewegung der Menschen in der Entfluchtungsanalyse ergab für die relevanten Fragen keine über das akzeptable Niveau hinausgehenden Risiken. Wie gesagt: dabei handelt es sich um die Simulation der
Bewegung der Menschen vom Güterbahnhofsgelände durch die Notausgänge zu öffentlichen Verkehrsflächen. Das zu untersuchen waren wir beauftragt.
Die fehlenden Flucht- und Rettungswege im Tunnel
Der Fokus unserer Analyse war durch den Auftrag vorgegeben. Das ist auch nicht außergewöhnlich, es ist eher unüblich, dass Unternehmen umfassende Analysen über den beauftragten Rahmen hinaus durchführen. In diesem Fall war die Frage, wie sich die genannte Reduktion der Fluchtwegbreiten vom Veranstaltungsgelände i.e.S. (d.h. dem Güterbahnhofsgelände auf dem die Parade stattfand) herunter hin zu den öffentlichen Verkehrsflächen auswirkt. Der Tunnel war dabei nicht Teil des Auftrags. Erlaubt sei bzgl. dieser Kritik allerdings die Frage, was rein physisch der Unterschied zwischen dem Tunnel und einer beidseitig durch Häuser begrenzten Straße ist. Psychisch ist das natürlich etwas anderes, aber die Evakuierung einer Straße ist genauso wenig möglich.
Die Unmöglichkeit der geplanten Personenzahlen
Für die Entfluchtungsanalyse war zunächst wichtig, welche Personenzahl für den Anfang der Simulation angenommen werden soll. Hier wurde mit zwei Personen pro Quadratmeter
gerechnet. Hinzu kam ein Sicherheitsaufschlag. Damit ergab sich eine Gesamtzahl von 250.000 Personen. Teilweise wurde auch mit einer nicht homogenen Verteilung gerechnet, was eine Abweichung (und Verschärfung) der Annahmen der SbauVO darstellt.
Wie die Personen auf das Gelände gelangen war nicht Gegenstand der Entfluchtungsanalyse. Gleichwohl ist in deren Anhang eine Plausibilitätsprüfung enthalten, die überprüft, ob die Annahme der maximalen Personenzahl realistisch ist. Das ergibt in diesem Zusammenhang auch Sinn. Wenn Sie für die Entfluchtungsanalyse zu niedrige Personenzahlen verwenden, dann sind die Ergebnisse falsch.
Insgesamt stellt sich die Frage: Hätte man nicht sehen können, gar sehen müssen, dass das geplante Konzept nicht funktionieren kann?
Oder genauer: Hätten Sie das nicht spätestens Anfang Juli sehen können? Ich weiß auf diese Frage keine endgültige Antwort. Unsere Aufgabe war begrenzt. Sowohl vom Umfang, aber auch vom zeitlichen Rahmen her. Wenn ich jetzt behaupten würde, dass ich allein durch „scharfes Hinsehen“ vorhersehen kann, was geschehen wird, ob eine Planung in ihrer Gesamtheit und mit allen Details gut und sicher ist, dann wäre das überheblich. Und es wäre gefährlich.
Denn genau in diesem Glauben, alles im Detail planen, vorhersehen und steuern zu können liegt ein Grund dafür, dass es zur Katastrophe, zum Unglück kam.
Eine letzte Anmerkung noch: Herr Prof. Dr. Müller, schreibt in seinem Blog (http://blog.beck.de/2010/09/23/love-parade-unglueck-zwei-monate-nach-den-tragischen-ereignissen-im-internet-weitgehend-aufgeklaert?page=1 , Anm.d.Red.), dass die Abweichungen, die es auf der großen der beiden Rampen im Vergleich zu den Abbildungen in unserer Entfluchtungsanalyse gab, die Vermutung nahe legen würde, dass wir das Gelände nicht in Augenschein genommen hätten. Die Vermutung ist falsch, wir waren mehrfach auf dem Gelände. Der Analyse wurde der geplante Zustand zugrunde gelegt. Dass dieser dann nicht so wie geplant hergestellt wurde bzw. davon abgewichen wurde, ist eines der Versäumnisse, die bei der Umsetzung der Planung auftraten.
Die Tatsache, dass wir der Simulation einen geplanten Zustand zugrunde legen ergibt sich schon alleine daraus, dass das Gelände für die Veranstaltung erst noch hergerichtet werden musste. Wenn wir Entfluchtungssimulationen für neue Gelände durchführen ist das auch gar nicht anders möglich, da es das Gebäude zu dem Zeitpunkt noch gar nicht gibt.
Ist dies bundesweit einheitlich geregelt oder kann jedes Bundesland verfahren, wie es ihm beliebt?
Dr. Hubert Klüpfel: Baurecht ist im Allgemeinen Ländersache. Dass jedes Bundesland verfahren kann „wie es ihm beliebt“ ist sicherlich nicht so. Allerdings bin ich kein Jurist. Ein Fachmann kann Ihnen hier sicher umfassend Auskunft geben.
Was bitte beinhaltet ein solches Sicherheitskonzept für (wie im Falle Duisburg geschehen) zwei gewählte Tunnel und einer zu engen „Rampe“ als Zu-und Abgangswege?
Dr. Hubert Klüpfel: Das können Sie ja nachlesen. Die Veranstaltungsbeschreibung, das Sicherheitskonzept und das Brandschutzkonzept sind im Internet verfügbar, genauso wie unsere Entfluchtungsanalyse. In den Auswertungen unserer Analysen finden Sie immer eine Auflistung der getroffenen Annahmen unter denen die Ergebnisse gewonnen werden, sowie natürlich die Ergebnisse selbst. Dazu gehören Darstellungen darüber, wo es zu Stau kommt, wie sich die Personen über die Zeit bewegen und Diagramme zu Darstellung der geretteten Personen über die Zeit.
Da unsere Gutachten meist von bzgl. Evakuierungsgutachten unerfahrenen Personen gelesen werden, verhilft uns nur diese außergewöhnliche Transparenz zu dem nötigen Vertrauen.
Wir sind auch nicht unabhängig in dem, was wir simulieren. Das wird vom Auftraggeber vorgegeben. Und wenn es um die Entfluchtung des Veranstaltungsgeländes im engeren Sinne (also des Güterbahnhofgeländes ohne die Zugangswege) geht, dann ist das unsere Aufgabe.
Natürlich weiß ich heute, dass andere Fragestellungen wichtiger waren und nicht im Detail untersucht wurden.
Auf der Homepage Ihrer Firma TraffGo HT (http://www.traffgo-ht.com/de/company/news/index.html) wurden mehrere Stellungnahmen öffentlich gemacht. U.a. wird darüber informiert, womit genau Sie als Geschäftsführer beauftragt wurden. Dort heißt es, dass Sie ausschließlich mit der Entfluchtungsanalyse beschäftigt waren. Sie benennen den Ort und dessen Zustand: Konkret meint das die Entfluchtung des gefüllten Veranstaltungsgeländes. Was genau meint bzw. umfasst das?
Dr. Hubert Klüpfel: Ich wurde ja nicht als Geschäftsführer beauftragt. Beauftragt wurde die Gesellschaft. Auch habe ich das Projekt nicht alleine bearbeitet, dazu war es zu komplex. Projekte dieser Größenordnung bearbeiten wir immer als Team.
Simuliert wurde, wie 250.000 Personen das Güterbahnhofsgelände verlassen. Dabei wurden verschiedene Szenarien untersucht.
Trifft es zu, dass Entfluchtungssimulationen immer nur von einem „idealisierten Fall“ ausgehen? Wörtlich heißt es in einem Dokument (letztendlich eine Absicherung), das zum Download auf Ihrer Homepage bereit steht: „…bei dem sich die Personen gemäß der Parameter und Routenvorgaben des Benutzers bewegen…“ Bewegten sich die Personen in Duisburg so?
Dr. Hubert Klüpfel: Ja, das ist richtig. Die Simulation beruht auf einem Modell. Und das Modell ist nur ein Abbild der Realität, mit all seinen Vereinfachungen. Das ist nicht nur in unserem Fall so, sondern gilt generell für alle Simulationsmodelle, ein ganz gewöhnlicher, physikalischer Zusammenhang.
Ihre Einschätzung, dass es sich bei dieser Aussage „letztendlich um eine Absicherung“ handelt teile ich in dieser Form nicht.
Ich verstehe, dass es unbefriedigend ist, wenn die Aussagekraft von Simulations- und Berechnungsergebnissen begrenzt ist. Doch diese Begrenztheit ist nicht wegzudiskutieren, das Gegenteil zu behaupten ist in meinen Augen sogar unredlich.
Um dies dem Nutzer der Software oder dem Leser der Auswertung klar zu machen, verwenden wir diesen Satz.
Sind Sie bei Ihrer Planung von 485.000 Personen oder von 250.000 ausgegangen? Was, wenn es mehr gewesen wären, 700, 800.000, eine Millionen oder noch mehr, in Anbetracht der Tatsache, dass 1. schönes Wetter gewesen war und es 2. im Jahr zuvor keine Loveparade gegeben hatte? Durchaus also auch mit viel mehr Besuchern zu rechnen war.
Dr. Hubert Klüpfel: Simuliert wurde, wie 250.000 Personen vom Güterbahnhofsgelände runter gehen. Davon sind wir ausgegangen. Die 485.000 Personen sind im Konzept des Veranstalters genannt. Aus meiner Sicht handelt es sich hier eher um eine obere Grenze, da die Leistungsfähigkeit des Hauptbahnhofs bei ca. 30.000 Personen pro Stunde liegt.
Insofern ist die genannte Zahl von 485.000 Besuchern über den gesamten Tag verteilt plausibel, doch sie befanden sich zu keiner Zeit gleichzeitig auf dem Veranstaltungsgelände.
Wovon ging man aus, wo sollten sich die real eingeplanten 250.000 Gäste aufhalten, nur auf dem Party- oder auf dem kompletten Veranstaltungsgelände, und die restlichen 235.000 irgendwo im öffentlichen Raum?
Dr. Hubert Klüpfel: Wie gesagt, simuliert wurde, wie 250.000 Personen das Güterbahnhofsgelände verlassen. Die Zahl ergibt sich aus der vorhandenen Fläche zuzüglich einem Sicherheitsfaktor von ca. 1,1. Die Zahl 485.000 beschreibt die Gesamtzahl der über den ganzen Tag verteilten Besucher. Da sich die An- und Abreise teilweise überschneiden, ist die Gesamtzahl der Personen, die gleichzeitig da sind, geringer.