Duisburg: Trauer um Gerdi Witkowski
Es ist Donnerstag, der 18.01.2024. Draußen ist es bitterkalt. Seit gestern hat der Winter Nordrhein-Westfalen eingenommen. Ich sitze an meinem Arbeitsplatz im warmen Homeoffice. Ein kurzer Blick auf mein Handy hält für einen Moment meine Welt still, ich bekomme Gänsehaut und erstarre vor Schreck. Mein Freund René Witkowski hat eine unfassbare Nachricht kund getan:
„Meine über alles geliebte Mutter und Vaddis Engelchen ist heute morgen um 08:00 still und leise von uns gegangen.“
Bereits einige Tage zuvor ließ er Gerdis Freunde wissen, dass es gesundheitlich nicht gut um seine Mutter bestellt ist. Schon am Neujahrstag ließ er uns wissen, dass Gerdi seit einer Woche im Krankenhaus sei und der Zustand kritisch sei und rief die Gemeinschaft auf, mental positive Energie und Liebe zu senden. Mir selbst hat es nicht gereicht. Regelmäßig fragte ich persönlich bei René an, wie es seiner Mutter geht. „Unverändert“, antworte er. Täglich war ich in Gedanken bei Gerdi.
Ich erinnere mich zu gut an meine letzte persönliche Begegnung mit Gerdi. Es war am 17. Dezember 2023. Der 3. Advent. Auf Gerdis traditionellen Obdachlosen-Weihnachtsmarkt. Diese Veranstaltung lag ihr immer besonders am Herzen. Doch Gerdi war nicht einmal im Jahr für die Obdachlosen und sozial schwachen engagiert, sondern 24/7. Als ich ankam um wie immer wieder ein wenig mit anzupacken und einige Fotos für die Berichterstattung zu fertigen, rief sie schon von Weitem: „Manu, hier bin ich!“ – Ich drehte mich um und sah, wie sie sich im Rollstuhl auf dem Weg in meine Richtung macht. Wir umarmen uns zur Begrüßung und sie sagt: „Manu, es gibt Neuigkeiten. Ich ziehe mich zurück.“ – Für einen Moment zuckte ich zusammen und mir fehlten die Worte. „Ich bleibe aber im Hintergrund aktiv“, ergänzt sie.
Doch irgendwie spürte ich, dass es unsere letzte Begegnung sei. Denn da war er wieder. Der Rollstuhl und ihr Sauerstoffgerät. Ich ersparte mir sie darauf anzusprechen. Denn erst im März 2021 schrieb sie mir folgende Worte: „Bevor du dich erschreckt wenn du kommst das ist meine neue Liebe.“ – Sie hatte sich frisch verliebt. Mit Lothar an ihrer Seite schien sie neuen Auftrieb im Leben zu bekommen. Sie postete in den sozialen Netzwerken Fotos, wie sie wieder eigenständig ohne ihren Rollator sich fortbewegte. Ihr ging es gesundheitlich besser, war nicht mehr all zu sehr vom Sauerstoffgerät abhängig. Sie blühte regelrecht auf. Und ich freute mich mit ihr mit. Der neue Mann an ihrer Seite unternahm viel mit ihr. Tagesausflüge, Kurzreisen und auch Reisen ins warme Spanien. Doch an erster Stelle standen bei ihr immer ihr Sohn René und ihre Schützlinge.
Doch wer war Gerdi Witkowski wirklich? Ich pflegte in den letzten Jahren einen guten und auch regelmäßigen Kontakt zu Gerdi. Sie war nicht nur eine liebende und aufopferungsvolle Mutter, Ehefrau und Lebenspartnerin. Sie war auch ein MSV-Fan durch und durch. Als ehemalige Triker-Braut hatte sie wilde Zeiten hinter sich. Für die meisten in Duisburg war sie die „Kümmerin“ der Obdachlosen und finanziell Schwachen dieser Gesellschaft. Immer wenn jemand in Not geriet, war „Muddi“, wie man sie liebevoll nannte, ansprechbar und koordinierte Hilfe. Angefangen hatte alles mit einem Glas Kleingeld, welches ungenutzt und fast vergessen in einem Schrank lagerte. Sie überlegte, wie sie damit in der Welt etwas zum positiveren Verändern könnte. Mit dem Grundgedanken befasst, dass fast jeder von uns im Besitz des ungeliebten „Schrottgeldes“ sei, fing sie an Freunde und Bekannte zu mobilisieren und alles zusammen zu legen, was da war. Mit dem gesammelten Geld kaufte „Muddi“ Konservendosen, packte diese mit weiteren Leckereien liebevoll in Weihnachtstüten und verteilte diese an ihr bekannte Obdachlose am Duisburger Hauptbahnhof.
Freunde und Bekannten waren von diesem Engagement so beeindruckt, dass sie sich sofort aufmachten um sie dabei zu unterstützen. Und aus dieser kleinen Aktion entstand ein herzlicher vorweihnachtlicher Brauch in Duisburg. Mit den Jahren wuchs ein richtiger Weihnachtsmarkt für Obdachlose und extrem bedürftige am Duisburger Bahnhofsvorplatz an.
Doch dann kam 2020 Corona. Das öffentliche Leben kam zum Erliegen. Sperrzeiten und Kontaktsperren erschwerten oder machten es den Obdachlosen schwer offizielle Anlaufstellen zu erreichen. In dieser Zeit wusste Gerdi Witkowski, brauchen ihre Schützlinge mehr Hilfe denn je. Tagtäglich stand sie mit ihrem Team auf der Bahnhofsplatte und verteilte unter Hygieneauflagen Frühstücksbeutel und Getränke an ihre Schützlinge. Da nun auch in den kalten Nächten die Notunterkünfte corona-bedingt verschlossen blieben, ließ Gerdi Nachts warme Suppen und Getränke an die bekannten Schlafplätze der Obdachlosen ausliefern. Auf Anfrage wurde auch trockene und warme Kleidung ausgegeben. Ich durfte eine Nacht das Team auf Anfrage bei Gerdi begleiten. „Ich lass nur Dich mit. Die meisten von ihnen kennen dich ja schon. Ansonst sind die Jungs nachts sehr misstrauisch“, sagte sie mir. – Es war eine kalte Nacht. Ich erinnere mich zu gut daran. Diese nächtliche Tour zeigte mir um so deutlicher, wie wichtig Gerdi´s Hilfe ist. Wir berichteten.
Und dann kam noch der 40. Geburtstag ihres geliebten Sohnes. Ich erinnere mich zu gut daran, wie sie mich anrief und fragte, ob ich Zeit hätte. Für Gerdi hatte ich immer Zeit. Sie schmiedete einen Plan. Eine Party zum 40. Ehrentag Renés. „Manu, es wird eine 80er-Party“, verriet sie mir. „Er darf davon nichts mitbekommen!“ – Die Planung und Orga lief wie geschmiert. Die Location war gesaved, für Speis und Trank war gesorgt. Die Kontakteinschränkungen waren gelockert, die Gäste informiert. Unter ihnen sogar Ex-Zebra Ferry Schmidt. Nur einer ahnte von allem nichts. Ihr Sohn. Um so größer war die Überraschung für René.
Gerdi legte kaum Wert auf materielle Dinge. Ihr war ein Lächeln und der Dank ihrer Schützlinge mehr Wert und auch genug. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem sie etwas zurück erhalten sollte. Die Obdachlosen taten sich zusammen und legten all ihr Geld zusammen, welches sie erübrigen konnten und kauften Gerdi einen kleinen Transporter. Denn es hatte sich in der Gemeinschaft herum gesprochen, dass Muddis Anhänger marode war, den nächsten TÜV nicht überstehen würde und die Versorgung gefährdet sei. Als der Wagen mit großer Schleife ihr auf der Bahnhofsplatte übergeben wurde, war sie sprachlos.
Der Verlust von Gerdi Witkowski ist unermesslich. Nicht nur für ihre Familie, ihren Lebensgefährten, Freunde. Sie hat den sozial schwachen und Obdachlosen in dieser Stadt gezeigt, dass auch die Ärmsten unter uns einen Wert haben. Sie hat einen wichtigen Grundstein zur Versorgung der Obdachlosen in dieser Stadt gelegt, bevor andere weitere Organisationen folgten. Mit Gerdi haben sie ein Stück menschliche Wärme erfahren und werden es auch weiterhin erhalten. Ihr Lebenswerk wird aufrecht gehalten und von ihrem Team fortgeführt. Ganz in „Muddis“ Sinne. Und eins ist gewiss: In jedem von uns steckt ein Stückchen „Muddi“ und dieses kann die Welt immer ein Stück besser machen.
In diesem Sinne: Mach es gut, liebe Gerdi. Du wirst uns allen immer in guter Erinnerung bleiben.
Wer das Projekt weiterhin mit unterstützen mag, kann dies gerne tun. Wer einen Euro für unsere Obdachlosen übrig hat darf diesen gerne auf folgendes Konto überweisen:
Zebras helfen Zebras e.V.
IBAN : DE24350500000200324218
Verwendungszweck: Muddi hilft (WICHTIG)
Paypal: spenden@zhz-ev.de VZ: Muddi hilft