Song of the Week: Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Irgendwie wird man immer von den Geistern der Vergangenheit eingeholt. Diese Erfahrung machte ich an diesem Wochenende mal wieder. Aber ich war darauf vorbereitet. Mir war es persönlich wichtig Gerdi Witkowski und ihre Aktion „Muddi hilft…!“ in diesem Jahr aktiv zu unterstützen. Denn das, was Gerdi Witkowski jedes Jahr mit den Helfern drum herum bereits seit 11 Jahren leistet ist an Menschlichkeit kaum zu übertreffen. Einmal im Jahr findet am Hauptbahnhof zur Weihnachtszeit der Spendenweihachtsmarkt zu Gunsten der Duisburger Obdachlosen und Bedürftigen statt.
Der erste Obdachlose in Duisburg mit dem ich bereits im Kindesalter meine erste Berührung hatte, war Josef. Damals wohnten wir noch auf der Ludgeristraße in Neudorf. Der Gördeler Park war nur 5 Minuten zu Fuß entfernt. In diesem schliefen die Obdachlosen unter dem Holzpavillion, der heute noch den Park ziert. Josef habe ich immer beobachtet, denn er war nie unzufrieden mit seiner Situation. Er lebte freiwillig auf der Straße. Er hätte nicht auf der Straße leben müssen. Seine Tochter hat immer und immer wieder versucht ihn mit nach Hause zu holen. Manchmal verzweifelte sie an ihrem Vater. Mit den Jahren gehörte Josef für mich dazu. Immer wenn ich in dem Park mit Freunden spielte, beobachtete ich Josef aus einer gewissen Distanz heraus. Je älter ich wurde, desto mehr wagte ich mich das ein oder andere Wort mit ihm zu wechseln. An den Weihnachtstagen schlief er gelegentlich unter der Brücke zum Finanzamt hin. Oft hielten an solchen Tagen Auto an und platzierten neben ihn mit Leckereien befüllte Weihnachtstüten. Ein junger Mann stellte ihm eine prall gefüllte McDonalds-Tüte hin. Ihm wurden auch alkoholische Getränke geschenkt, aber Josef hatte es nicht mit dem Alkohol. Er war nicht der Klischee-Obdachlose.
Vor einigen Jahren war ich auf dem Weg zur Weihnachtsfeier meines Arbeitgebers nach Düsseldorf. Auf der Kammerstraße sah ich an der Bushaltestelle Josef liegen. Ihm fehlte ein Schuh. Sein Fuß war verletzt. Ich kniete mich runter zu ihm und fragte, ob mit ihm alles in Ordnung sei. Er sagte mir, das er Schmerzen habe. Der Bus hielt, einige Leute stiegen aus und neben mir blieb eine junge stehen und meinte: „Er liegt bereits seit heute Mittag hier.“ Ich war fassungslos, schrie sie an, warum man ihm nicht heute Mittag geholfen habe und verjagte sie. Ich rief den Notarzt und blieb solange, bis man ihn versorgte. Als betriebliche Ersthelferin hat man es mir so in der Schulung beigebracht. Einige Tage später sah ich Josef wieder in den Straßen und ich war beruhigt, das es ihm besser ging. 2010 lernte ich Rolf Karling kennen. Thomas brachte mich mit dem Verein Bürger für Bürger zusammen. Zwischen Rolf und mir entwickelte sich Freundschaft. In den letzten Jahren war ich oft in Rheinhausen. Und nicht jeder kam mit Rolf Karling klar. Ja, er war speziell, aber wir beide verstanden uns. Rolf ließ Thomas und mich öfters mit der Straßenambulanz mitfahren. Die Straßenambulanz versorgt zweimal in der Woche Obdachlose und Drogenabhängige. Eines Tages erzähle ich ihm von Josef. Rolf sagte mir, das auch er Josef versorge.
Mit der Zeit wunderte ich mich, das ich Josef nicht mehr zu sehen bekam. Ich erinnere mich noch ganz genau daran, das ich 2014 im Hochsommer bei Bürger für Bürger mit Rolf zusammen in seiner Büro-Ecke saß. Ich fragte Rolf, wie es Josef geht. Da sah er mich an und erzählte mir, das Josef sich in den letzten Wochen in den Garagen der Duisburger Universität aufhielt, da es dort kühler war. Doch Josef verkraftete die brütende Hitze nicht. Er verstarb an Dehydrierung. Die Nachricht traf mich total unerwartet.
Gestern, auf Muddis Veranstaltung kam ich mit ganz vielen armen Menschen in Kontakt. Sie waren soooooo unfassbar dankbar für die Sachspenden, das Essen und die warmen Getränke, die ausgegeben wurden. Jeder nahm sich nur das mit, was er tatsächlich brauchte. Sie waren so bescheiden. Immer mit dem Gedanken, das nach ihm jemand kommen könnte, der es nötiger gebrauchen könnte. Es gab keine Mitnahme-Mentalität. Ich erwischte mich zeitweise dabei, das ich mich einen Augenblick wegdrehen musste, weil mir die Tränen kamen. Und da war er wieder in meiner Erinnerung: Josef. In Gedenken an Josef und all die anderen Obdachlosen kam mir dieser Song sofort aus meiner Kindheitserinnerung auf. Phil Collins „Another day in Paradise“. Ein Text, der genau das ausdrückt, was sich in unserer Gesellschaft immer wieder passiert. Man geht an ihnen vorbei, hat Berührungsängste, die man nicht haben muss. Ein Song, der mich bereits als 12-jähriges Mädchen zum weinen und nachdenken brachte. Der Song, der mich dazu brachte Josef still zu begleiten. Hört und seht selbst und geht einfach mal tief in Euch. Nicht nur zu Weihnachten, sondern das ganze Jahr über.