Heimat ist? Heimat ist
Vielschimmernd ist dieser Begriff, den die Duisburger Akzente in diesem Jahr zum Thema erwählt haben: Heimat. Es ist nichts Genaues, nichts Fassbares, nichts was irgendwie an Daten und Fakten festgemacht werden kann. Sagen die Einen. Gerade aber das ist doch Heimat, das lokal umgrenzte Gebiet, der Kiez, der Ort an dem ich lebe und das gerne. So die Anderen. Heimat offenbart sich als Raum, den man nach Belieben füllen kann. Dehnbar. Definitionssache. Heimat ist – wie meistens – aber das, was schmerzt wenn es nicht mehr da ist.
Heimat ist mehr als nur der Ort
Da stehen wir also nun am Auftaktabend der Duisburger Akzente, wir Duisburger und es ist als hätten die Macher schon geahnt wie brandaktuell das Thema sein würde. Die Heimat im Zeitalter der Verunsicherung als Rückzugsort. Heimat als Raum in dem man sich abgrenzt gegen das, was von Außen kommt und das was bedrohlich ist. Heimat als Barrikade gegen den Wandel und Heimat auch verstanden als Sehnsucht nach dem Gestern, diesen merkwürdigen Ort den wir nur in der Erinnerung besuchen können und bekanntlich belügen wir uns immer wieder neu wenn wir versuchen Erinnerungen aufzurufen. Unser Gehirn ist schon ein sehr smarter Bastard, sagt die Forschung. Insofern ist Heimat als rückwärtsgewandter Sehnsuchtsort auch immer wieder wandelbar. Ohne dass wir uns dessen bewußt sind. Die Anhänger von Gruppen, die Heimat so definieren werden also immer wieder aufs Neue von sich selbst enttäuscht werden. Heimat in der Vergangenheit zu suchen – das kann nicht funktionieren.
Selbst dann nicht wenn man versucht die Wegmarken und abgetretenen Pflastersteine, die Gebäude und Gärten der Jugend die real im Raum verankert sind und noch bestehen – selbst wenn man versucht diese Dinge noch mal als Heimat im Nachhinein zu begreifen, denn Heimat ist nichts worüber man nachdenkt wenn man sie schon hat sondern nur dann wen sie bedroht ist oder verloren – selbst dann ist das zum Scheitern verurteilt. Nicht nur, weil das Gehirn uns einen Streich spielt sondern auch weil die realen Gegebenheiten nur ein Teil von dem sind was Heimat ist. Sie bilden zusammen mit Worten, Gefühlen, mit Kleinigkeiten und großen Katastrophen ein eng gespanntes Koordinatennetzwerk in dem die eigene Persönlichkeit als Mich, als Mein, als in Besitz-Habender vorkommt. Jetzt, an dieser Stelle wo ich bin ist Heimat, ist definiert aus der Zeit, dem Ort, den Gerüchen, den Klängen, den Personen, den Handlungen. Wenn zu meiner Heimat gehört, dass ich jeden Sonntag Morgen die Brötchen beim Bäcker um die Ecke hole dann ist diese spezielle Heimat schon in Frage gestellt wenn ich einen fremden Verkäufer vor mir habe, dem ich meine „Wie immer“-Bestellung noch mal verdeutlichen muss. Heimat ist Handschlag, Heimat ist Zeit, Heimat ist Geruch. Heimat ist sinnlich. Deswegen kann das Nachspüren und das Besuchen von fest verankerten Orten – von Gebäuden, Brunnen, Strassen – nie fruchtbar sein. Allenfalls für einen Ausflug in die Nostalgie, in das Sehnsuchtsgefühl. Für Einige kann auch das Heimat sein, die permanente Flucht in den Zustand, in dem man glücklich war. Das Glück aber entfliegt uns und wir müssen es immer wieder neu suchen. Ebenso wie wir Heimat auch immer wieder neu ausloten, die Grenzen neu festlegen müssen.
Die Bruchlinien der Welt machen vor der Heimat nicht Halt
Aber gerade daran scheitern wir. Wir sind keine Wesen, die ständig den Aufbruch und den Umbruch um uns haben wollen. Wir brauchen Stabilität. Wir brauchen Dinge, denen wir vertrauen können. Wir brauchen Halt. Das Häuschen mit Garten in dem man als friedlicher Bürger am Ende des Lebens ankommt – danach sehnen wir uns. Heimat ist auch immer nach vorngerichtete Sehnsucht. Nicht dieser Ort an dem wir uns jetzt befinden ist Heimat, nein, die zukünftige Heimat suchen wir. Deswegen ist Heimat auch so schwer greifbar und so schwer definierbar: Einerseits ist sie in der Vergangenheit angesiedelt, andererseits suchen wir die zukünftige Stätte für uns noch. Zwischen dem War und Werden steckt die Heimat in der Klemme und versucht, sich in der Gegenwart anzusiedeln. Und während wir für das Heute versuchen Heimat zu definieren und abzugrenzen verwandelt sich das, was Heimat eigentlich ist – ein Koordinatennetzwerk aus Raum und Zeit und Gefühlen – in Etwas, was beim Musikantenstadel als Kulisse dient. Ein Abglanz dessen was Heimat eigentlich ist, zusammengesetzt aus vorgefundenen Klischees, Fremderfahrungen und recycelten Emotionen. Gerade das schätzen wir jedoch: Wenn Heimat so handgreifbar geworden ist, dann können wir uns entweder an diesem speziellen Begriff orientieren oder wir können dagegen sein. Wir können ihn über Bord werfen oder ihn so aufladen, dass wir mit Deutschlandfahnen hochbezahlten Sportlern zujubeln. Heimat im Jetzt ist dehnbar. So weit dehnbar, dass sie auch dann nicht zerreisst wenn sie für andere Zwecke instrumentalisiert wird. Wenn Heimat zu einem festen Ding wird, dann kann diese Heimat missbraucht werden.
Dann heißt es schnell: Wir hier. Die dort. Wir, die Bewahrer der Heimat auf der einen Seite und die, die sie vereinnahmen wollen auf der Anderen. Diese Fronten sind schnell gezogen, sie verleihen Stabilität und sorgen für feste Verhältnisse. Heimat ist der Kiez, der vor den Anderen geschützt werden muss weil diese die Mieten in die Höhe treiben. Heimat ist der Stadtteil in dem die Dinge immer so geregelt wurden und nicht anders. Heimat ist dann das Gremium, das ständig tagt und doch nicht vorwärts kommt weil die neuen Ideen keine Heimat sind sondern fremd. Auf einmal gibt es diese Brüche – und wie schnell schlagen wir uns vorbehaltlos auf die Seite derjenigen, die auf welche Weise auch immer glauben der Heimat Hüter sein zu können. Sogar zu müssen, weil das Fremde uns überflutet. Bräuche und Traditionen sind Heimat. Dass diese irgendwann auch mal neu waren oder künstlich erfunden worden sind ist uns selten bewußt. Wenn Heimat zum festen Ding wird, dann schrumpft das Große zu einem Kleinen zusammen dass sich allein vom Ort her definieren lässt. Hier bin ich geboren. Dort nicht. Hier ist also Heimat. Dort nicht. Das reicht. Reicht das?
Heimat ist? Heimat ist – Punkt.
Es reicht! Heimat reicht. Sie reicht aus. Sie reicht aus um mir einen festen Platz zu geben und gleichzeitig paradoxerweise reicht sie weit über die einfache Verortung hinaus. Heimat ist hier und Heimat ist dort. Heimat schillert. Egal wie oft man sie ins Licht hält, sie zeigt immer wieder neue Facetten. Heimat reicht aus damit ich sein kann. Heimat ist Ich. Ich bin Heimat. Ich und alle Anderen im Umfeld sind Heimat. Ich und alle Anderen und der Ort an dem ich bin sind Heimat. Der Ankerpunkt für die Heimat ist zwar das eigene Ich – deswegen ist es so leicht das Heimweh mitzubringen an einen anderen Ort – aber gleichzeitig auch alles, was mein Leben ausmacht. Der Verlust dessen was mich ausmacht ist die eigentliche Katastrophe des Flüchtlings. Es ist nicht ein Aspekt alleine. Wiederum aber das Paradoxe: Wenn die Heimat Ich bin, dann reicht sie aus um erneut für mich eine Neue Heimat zu schaffen. Sie wird nicht ausreichend sein, den Verlust der Alten Heimat kann sie nicht ersetzen aber es ist möglich sie sich erneut aufzubauen. Das ist tröstlich. Auf eine Art.
Heimat reicht also. Wir sollten daher aufhören zu fragen, was Heimat ist weil Heimat schlicht und einfach ist. Wir können uns ihr annähern, wir können sie beschreiben, wir können sie definieren. Wir können etwas vom „Zauber der Heimat“ herbeihachen wenn eine Dokumentation im Fernsehen läuft – wobei es wieder ein Paradox ist: Wir waren nie selbst an diesen Orten, aber sie sind dennoch auch Heimat weil sie in das Koordiantensystem von Zeit und Raum in einer gewissen Situation, dem Anschauen der Dokumentation im Fernsehen im eigenen Haus gebunden sind. Wir können sogar versuchen die Heimat in Dingen wie einer Vase oder einer vererbten Kanne wiederzufinden. Wir werden am Ende aber immer wieder auf zwei Erkenntnisse zurückgeworfen: Heimat reicht. Heimat ist. Wie befreiend. Wie unheimlich. Wie Paradox. Heimat ist. Heimat reicht. Und nur im Jetzt können wir feststellen ob die Akzente in diesem Jahr wirklich Heimat sind. Gehirn, du smarter Bastard!