Platanen – Offener Brief an die Duisburger Ratsfraktionen
Sehr geehrte Damen und Herren,es mag Sie verwundern, dass sich ein in München geborener und nahe Hamburg wohnender Mitbürger in eine Kontroverse einmischt, die städtische Planungen in Duisburg betrifft
und, wie es häufig bei solchen Kontroversen der Fall ist, von zunächst lokalen parteipolitischen Anschauungen begleitet wird. Nun gibt es in meinem Fall familiäre Bindungen und Kontakte zu Freunden, die häufige Besuche in Duisburg und am Niederrhein bedingen. Daraus ist ein ganz besonderes Interesse für die dort vorfindbaren urbanen Besonderheiten und Entwicklungen erwachsen – gemäss der Erfahrung, dass die meisten Städte lebende Organismen mit unverwechselbaren Traditionen und einem spezifischen Bezug zur Gegenwart sind. Beide, Tradition und Gegenwart, schlagen sich im Lebensstil, der Kultur und ganz besonders auch der Architektur einer Stadt nieder. Architektur bedeutet hierbei nicht allein das Zusammenwirken einzelner Bauten, sondern auch die Gestaltung der Räume zwischen diesen Bauten. Hier bewegen sich die Bürger, hier nehmen sie gleichsam Besitz von ihrer Stadt, hier werden sie zu Stadtbewohnern.
Wenn ich gerne in Duisburg bin, dann auch deshalb, weil ich die Menschen dort mag, die sich ihre Umgebung geschaffen haben und ein Teil davon sind. Vielleicht sehen Sie es als unangemessene Dramatisierung, wenn ich damit den Fällbeschluss für die Platanen in der Mercatorstrasse in Verbindung bringe. Mit den Platanen aber entsteht schon bei der Ankunft ein besonderer Blick auf diese Stadt, der sehr spezifisch für Duisburg ist: Bäume, die ein Gefühl des Angekommenseins vermitteln. Es ist dies ein Gefühl, das das Planungsdezernat immer mehr und mit allen Mitteln zu eliminieren versucht, so wenn der Chef des Amtes die Anpflanzung kleiner Alibibäume vorschlägt, die nicht mal ein Viertel so hoch sein werden, wenn wir alle nicht mehr leben.
Der Fällbeschluss scheint mir symptomatisch zu sein für eine Fehlentwicklung, von der auch andere Städte, Duisburg aber in sehr hohem Maße betroffen ist. Nicht nur, dass man immer mehr eine gesichtslose Investorenarchitektur fördert, der die Rendite gleichsam in die Fassade eingeschrieben ist. Ich plädiere hier wohlgemerkt nicht gegen moderne Architektur. Das tun eher die, die (obwohl es ihres Amtes wäre) nicht zu wissen scheinen, dass Max Taut einer der größten modernen Architekten in Deutschland war und die aus diesem Unwissen heraus Tauts Bauten im Zinkhüttenviertel dem Abriss preisgeben wollen, während man sie in Berlin unter Denkmalschutz stellt. Dass die Bauprojekte immer mehr an gewachsener Identität einer Stadt verraten, liegt auch daran, dass man sich jedem windigen Investor in die Arme begibt, der dann irgendwann wieder abspringt, entweder weil er falsch gezockt hat oder weil die Umgebung für sein Projekt nicht mehr attraktiv genug ist. Ich muss die Duisburger Beispiele nicht aufzählen, Sie kennen sie in Genüge. Im Fall der Mercatorstrasse und ihren Platanen geht man noch einen Schritt weiter: Man hat noch gar keinen Investor und glaubt deshalb, man müsse einem potenziellen Bauherrn durch vorauseilende Entscheidungen das Projekt schmackhaft machen. Die Prognose liegt auf der Hand: entweder man findet einen ignoranten Investor, dem es egal ist, wo er seinen Bau (buchstäblich) „hinpflanzt“ und der so Duisburgs Identität um ein Weiteres zuschanden macht. Oder man findet keinen Investor, weil es gottlob nicht allen Bauherren gleichgültig ist, in welcher Umgebung sie bauen und ob dem Projekt eine lange Kontroverse vorausgegangen ist.
Ich möchte Sie sehr eindringlich bitten, den Beschluss nochmals zu überdenken. Wenn es schon keine ökologischen und ästhetischen Einsichten sind, denen Sie in IhrenEntscheidung Priorität einräumen, so doch die Erkenntnis, dass es absolut kontraproduktiv, zukunftsfeindlich und sogar unökonomisch ist, die Identität einer Stadt immer mehr preiszugeben. Die vielen Enttäuschungen der letzten Jahre sollten Sie veranlassen, diesen Weg nicht weiter zu gehen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Johann N. Schmidt