Das Märchen von der Wirksamkeit der Zuckersteuer
Seit 2018 taucht sie immer wieder auf: Die Zuckersteuer. Fest verankert ist sie im Programm der Grünen: „Wir führen verbindliche Reduktionsziele für Zucker, Salz und Fett in Fertiglebensmitteln ein, entwickeln das bisher freiwillige Nährwertkennzeichen „Nutri-Score“ weiter und setzen klare Vorgaben für Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet.“ Man weiß also, auf was man sich in diesem Jahr einstellen kann, wenn die Bundes-Ernährungs-Strategie vorgestellt wird. Selbstgesetzte Deadline des Ganzen: 31.12.2023. Helfen soll der Regierung übrigens der erste Bürgerrat auf Bundesebene, der mit zufällig ausgelosten Bürger*innen besetzt wird. Diese sollen eine Art von White-Paper mit Empfehlungen erstellen.
Keine Studie beweist, dass eingeführte Zuckersteuern irgendeinen langfristigen Effekt hätten
Man kann durchaus schauen ob die eingeführten Zucker-Steuern in anderen Ländern zielführend waren oder auch nicht, was so die Gesamtheit der Bevölkerung bzw. die Jugend betrifft. Da muss man der Zucker-Lobby, die im Beitrag von XTRA3 auch auftritt, durchaus einen Punkt zugestehen. Die Antwort auf die Frage nach der Wirksamkeit: Kompliziert. 2020 stellte die AFD eine kleine Anfrage bezüglich der Zuckersteuer im Bundestag. Der wissenschaftliche Dokumentationsdienst damals stellte dann fest:
„Derzeit gibt es keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege dafür, dass durch die Einführung einer Zuckersteuer auf bestimmte Lebensmittel die Zucker- oder Gesamtenergieaufnahme der Bevölkerung langfristig reduziert wird. Auch konnte bislang nicht nachgewiesen werden, dass die Einführung einer Zuckersteuer das Auftreten von Übergewicht und Adipositas sowie ernährungsmitbedingten Erkrankungen verringert. Eine Zuckersteuer auf ausgewählte Produkte vernachlässigt zudem mögliche Substitutionseffekte und Ausweichreaktionen.“ (Zitat aus dem PDF, das hier verlinkt ist: https://lnkd.in/eywq9vxF)
Das Zauberwort heißt langfristig. Dieses Wort wollen Vertreter*innen der Ernährungsbranche aber selten hören, denn – siehe Ressourcen-Seite hier im Blog zum Thema Anti-Diät, oben im Header – langfristige Erfolge zu dokumentieren liegt der Branche nicht. Nachfolgestudien zu den Fragen, ob bestimme Massnahmen die Adipositas-Rate gesenkt haben oder nicht – für die Gesamtbevölkerung wohlgemerkt – existieren nur eine Handvoll. Diese weisen auch darauf hin, auch hier muss man fairerweise den Konjunktiv anwenden, dass eventuell all die Maßnahmen gar nichts bringen. Wenn eine Langzeitstudie namens Look AHEAD – hier ging es um Abnahme und die Auswirkungen auf Diabetes-2-Patient*innen – recht magere Ergebnisse erzielt, dann … interessiert es eher nicht so.
Richtig interessant ist aber das, was das Cochran-Institut 2020 berichtete: „Diese Ergebnisse (zum Thema Zuckersteuer sind) mit Vorsicht zu betrachten, da sie nur aus einer Studie stammen und eine geringe Beweiskraft aufweisen. Wir brauchen weitere solide durchgeführte Studien, um konkrete Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit von Zuckersteuern für die Prävention von Übergewicht und Adipositas zu ziehen.“, so Mag. Ursula Griebler, PhD MPH, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation.
Keine Studie berichtete Ergebnisse zu den folgenden primären Endpunkten: Konsum von unverarbeitetem Zucker, Energiezufuhr, Übergewicht und Adipositas. Keine Studie berichtete Ergebnisse zu den folgenden sekundären Endpunkten: Substitution und Ernährung, Nachfrage und andere gesundheitsrelevante Endpunkte. Keine Studie untersuchte mögliche subgruppenspezifische Effekte der Intervention innerhalb der Bevölkerung. Wir konnten keine Meta‐Analysen durchführen oder Studienergebnisse anderweitig zusammenfassen.“
Wissenschaftler*innen, die eingestehen müssen, dass es überhaupt kein Material zum Erforschen gibt machen sich natürlich nicht gut in der Berichterstattung. Das ist keine Schlagzeile, obwohl – dazu weiter unten. Das bekommen also auch kaum interessierte Bürger*innen mit. Aktuellere Studienergebnisse gibt es auch in diesem Jahr nicht. Studien, die zeigen, dass eine Zuckersteuer wirklich etwas bewirkt. FILE NOT FOUND.
Zucker, Sucht und intervallfastende Mäuse
Umfragen, Beobachtungen, etc. pp. – die gibt es natürlich. Also Ähnliches halt, was total aussagekräftig zu sein scheint und von dem sich Leute auch gerne blenden lassen. Wer achtete schon darauf, ob das jetzt Studien sind oder Umfrageergebnisse. Schließlich ist Zucker ja DIE DROGE. Aber – ein dickes ABER – kommt von Forscher*innen, die 2016 trocken feststellten: „We find little evidence to support sugar addiction in humans, and findings from the animal literature suggest that addiction-like behaviours, such as bingeing, occur only in the context of intermittent access to sugar. These behaviours likely arise from intermittent access to sweet tasting or highly palatable foods, not the neurochemical effects of sugar.“
„Wir finden kaum Beweise, die für eine Zuckerabhängigkeit beim Menschen sprechen würden. Funde aus Studien mit Tieren lassen vermuten, dass abhängigkeitsähnliches Verhalten, wie z. B. Bingen, nur dann auftreten, wenn der Zugang zum Zucker eingeschränkt wurde. Diese Verhaltensweisen rühren eher vom eingeschränktem Zugang zu süßlich schmeckendem oder zu sehr schmackhaftem Essen her, nicht von den eurochemischen Effekten von Zucker.“Eigene Übersetzung
Intervallfastende Mäuse – klingt erstmal komisch, aber in der berühmten immer wieder zitierten Untersuchung war das so. Die Mäuse wurden zeitweise aufs Intervallfasten gesetzt und hatten dementsprechend Bedarf nach energiereicher Nahrung. Dann wählten sie den Zucker. Lässt man diese Variabel des Intervallfastens aber weg, dann interessieren sich Mäuse nicht in der Art und Weise für Zucker. Wer statt Pressemeldungen Studienergebnisse liest oder sich übersetzen lässt ist da klar im Vorteil.
Aber es ist egal, da Zucker gefährlich ist – schließlich führt der unbedingt und garantiert zum Mehrgewicht. Stimmt? Man ahnt die Antwort: Es ist kompliziert. Nicht zu unrecht muss man sich Ernährungsstudien immer genau anschauen. Diese Wissenschaft arbeitet viel mit Befragungen und Beobachtungen, anders geht es nun ethisch gesehen nicht. Da wir alle ein perfektes Gedächtnis haben und lügen … und da es sein kann, dass man statistisch gesehen zwei Dinge findet, die so schön nach Ursache – Wirkung aussehen … aber eventuell nur korrelieren … Nichts Genaues weiß man nicht und statistisch korrelativ nachweisbar ist auch, dass Störche die Kinder bringen oder ähnlicher Unsinn. Kausal ist das aber nicht.
Lobbyarbeit für ein Potemkinsches Dorf
Bei der Zuckersteuer wird halt gerne als Erfolg verkauft was nur annähernd den Lobbyisten*innen in den Kram passt. Großbritannien hat erreicht, dass der Zuckergehalt in Limonaden gesenkt wird – aber ob das Auswirkungen auf die Gesundheit der Gesamt-Bevölkerung hat interessiert in den UK auch Niemanden. Man kann das aber als Erfolg verkaufen, weil die Industrie sich angepasst hat. Allerdings: Ob es Ausweicheffekte gab, weiß nicht mal Doctor Who.
Vielleicht kauften Menschen mehr billigeren Orangensaft, denn Orangensaft ist gesund. Natürlich. Besteht doch aus Obst. Obst ist gesund. Das lernen wir doch schon sehr früh. Zudem: Fünfmal am Tag sollte man Obst und oder Gemüse essen. Ein Problem dabei aber – und deswegen werden Diabetes-2-Patienten gerne vor einem ausgiebigem Konsum von Früchten gewarnt: Natürlich ist Fructose im Obst. Fruchtzucker. Vielleicht erinnert man sich noch: Für Diabetiker gab es früher eine Menge von Austauschprodukten – da ersetzte man Saccharose durch Fructose. Weil man laut SPIEGEL-Artikel dachte, das wäre eine gesündere Alternative.
Der wesentliche Unterschied: Während Glukose vom Körper nur aufgenommen werden kann, wenn Insulin ausgeschüttet wird, braucht Fruktose das Hormon nicht. Früher sah man darin einen Vorteil für Diabetiker. „Heute gibt es Hinweise darauf, dass der Fruchtzucker bevorzugt als Fett eingelagert wird, vor allem in Form von Leberfett und viszeralem Bauchfett“, sagt Kabisch. Studien hätten das zumindest bei Mäusen gezeigt. Stoffwechselerkrankungen wie Typ-2-Diabetes könnte Fruktose also sogar begünstigen.
Fruchtzucker, auch Fruktose genannt, ist ein Einfachzucker. Saccharose, der Haushaltszucker, ist dagegen ein Zweifachzucker aus Fruktose und Glukose. „Die beiden Stoffe sind sich chemisch sehr ähnlich, auch wenn Haushaltszucker bei der Verdauung erst gespalten werden muss“, sagt Stefan Kabisch, Studienarzt des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam sowie der Berliner Charité. Der Aufwand für den Körper sei sehr gering.
Fruktose als Zuckeralternative für Diabetiker wurde dann in den 2010er Jahren abgeschafft. Auch wieder ein schöner Beweis dafür, dass wissenschaftliche Ergebnisse zum Thema Ernährung sich mit der Zeit ändern und nichts bleibt wie es ist. Wobei mein Gehirn bei der Erwähnung der Marke Schneekoppe folgendes aus dem Erinnerungsquartett zieht. Schade, dass man Erinnerungen nicht verbrennen kann. (Im Quartett ebenfalls vorhanden: „Du Darfst“ …)
Wie man eine einzige Studie als relevant verbrämen kann
Doch zurück zu den Mäusen. Man kann sie ja nicht in Ruhe lassen. Aber daraus ergibt sich ja eine Forderung: Her mit der Zuckersteuer auf Obstsaft! Dass sich das absurd liest und anhört, klar. Aber wenn man glaubt, dass Zucker generell immer wie Kokain funktioniert, dann ist das halt eine gefühlte Wahrheit. Gefühlt schöngeredet hat die AOK übrigens die Meldung zum Thema „Kein Beweis für Wirkung einer Zuckersteuer“. Diese AOK-Meldung muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
„Unsere vorläufigen Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass die Besteuerung von Lebensmitteln mit zugesetztem Zucker eine Konsumreduktion zu bewirken vermag. Es ist höchste Zeit, das weltweit zunehmende gesamtgesellschaftliche Gesundheitsproblem von Übergewicht und Adipositas anzugehen. Dazu besteht definitiv eine dringliche Notwendigkeit politischer Maßnahmen, um den Zuckerkonsum nachhaltig zu reduzieren.“ Dr. Pfinder bezieht da übrigens „ähnliche Steuern“ aus anderen Ländern ein. Die aber müssten – so ehrlich ist sie – ja auch erstmal genauer untersucht werden. Ähnliche Steuern, die bereits auf Bermuda, Dominica, St. Vincent und den Grenadinen sowie in Indien, Norwegen und der Navajo Nation Reservation eingeführt wurden, sollten untersucht werden, um das Vertrauen in die vorliegenden Ergebnisse zu erhöhen. Sollten – untersucht – werden. Etwas vermag Etwas zu bewirken. Konjunktive sind doch was Schönes: Sie versprechen halt in der Zukunft etwas zu vermögen. Ob die Konjunktivitis sich Ende diesen Jahres in Luft auflösen wird man sehen müssen. Meine Theorie: Eher nicht.