Gastkommentar: Und einmal mehr musste erst wieder etwas Dramatisches passieren…
… bis ein Thema in den Fokus der Öffentlichkeit rückt und damit Politiker auf den Plan ruft, die jetzt viel schwafeln und am Ende doch nichts ändern werden. Oder voreilig Gesetze schaffen, die niemandem nutzen.
In Mainz sind drei Säuglinge an den Folgen einer Infektion gestorben. Die wiederum durch verunreinigte Infusionen erfolgt sein soll. Mit, und das muss man sich vielleicht mal langsam zu Gemüt führen, Bakterien die unter anderem im menschlichen als auch tierischen Darm zu Hause sind. Escherichia hermannii sowie Enterobacter cloacae. Es handelt sich dabei um zwei im menschlichen Darm vorkommende Keime, die an dieser Stelle harmlos sind. Gelangen beide Keime jedoch an andere Stellen im Körper, können sie Infektionen auslösen. Bei kranken Menschen, deren Immunsystem ohnehin schon geschwächt ist, kann das tödliche Folgen haben.
Wer sich genauer informieren möchte, was diese Bakterien überhaupt tun, möge das im Internet tun. Genau zu erklären, wie diese funktionieren, würde den Rahmen dieses Beitrages um Längen sprengen und soll hier auch nicht Zweck sein. Einfach im Hinterkopf behalten dass diese Dinger in den menschlichen Darm gehören.
Mir geht es hier um den desolaten, hygienischen Zustand in deutschen Krankenhäusern. Wisst Ihr, dass sich jedes Jahr (!) 600.000 Menschen mit sogenannten Krankenhauskeimen infizieren und 3.000 Menschen an diesen Infektionen sterben, Dunkelziffer unbekannt? Wisst Ihr, dass viele Krankenhäuser mittlerweile gar nicht mehr in öffentlicher Trägerschaft sind, sondern an private Investoren verkauft wurden? Wisst Ihr, dass ein Test auf MRSA circa 3 bis 5 Euro kostet, eine MRSA-Sanierung allerdings locker 5.000 bis 25.000 Euro verschlingt? Wisst Ihr, dass nur fünf Prozent aller Krankenhäuser und Kliniken über einen hauptamtlichen Hygiene-beauftragten verfügen? Wisst Ihr, dass diese Hygiene-beauftragten gerade in privater Trägerschaft keine Mediziner sondern Verwaltungsangestellte oder Krankenschwestern mit Zusatzausbildung sind, die im Endeffekt nur deswegen so heißen weil sie die entsprechenden Laborberichte verwalten und am Ende des Jahres Statistiken erstellen? Wißt Ihr, daß viele privatisierte Kliniken mittlerweile das Reinigen und Desinfizieren der Gebäude an Zweitfirmen ausgelagert haben und diese unter unrealistischen Zeitvorgaben mit Billiglöhnen arbeiten und in Folge nicht einmal mehr OP-Räume steril sind? Wisst Ihr, dass in den meisten Krankenhäusern Tests auf sogenannte Krankenhauskeime erst dann angeordnet werden wenn es dem Patienten auffällig beschissen geht?
Nun, mich wundert es nicht was in Mainz passiert ist. Die Problematik der mangelnden Hygiene in deutschen Krankenhäusern ist seit langem bekannt. Den Krankenhäusern, der Vereinigung der Hygienefachkräfte der Bundesrepublik Deutschland e.V., dem Marburger Bund, den Gesundheitsämtern und dem Bundesministerium für Gesundheit. Es redet nur keiner darüber. Weil, bis jetzt ist die Kungelei und Schlamperei ja auch gut gegangen. Nun gut, ab und zu geht halt einer deswegen hopps, aber da macht auch kein Mensch die Riesenwelle wenn es geschickt unter den Teppich gekehrt wird.
Was im deutschen Gesundheitswesen immer mehr passiert ist die Privatisierung. Und wenn Krankenhäuser nicht verscherbelt werden dann werden sie kaputt gespart. Immer weniger Personal, das immer mehr Patienten betreuen muß. Kann man wirklich einer Krankenschwester oder einem Pfleger einen Vorwurf machen, der in einer Schicht zwanzig Patienten zu betreuen hat wenn er in der Hektik vergißt sich die Hände zu desinfizieren oder die Handschuhe zu wechseln?
Ich finde nicht. Wem man allerdings etwas vorzuwerfen hat sind diejenigen, die in erster Linie dafür verantwortlich sind, dass Patienten im Fließbandverfahren abgefertigt werden müssen. Diejenigen, die Stellen streichen oder Billiglöhne zahlen, die Krankenhäuser kaputt sparen oder den maximalen Profit daraus ziehen wollen.
Nehmen wir ein durchschnittliches Krankenhaus in einer Kleinstadt mit rund 200 Betten. Ziehen wir davon die Intensivstation ab, bleiben noch 180 Betten. Von diesen 180 Betten sind maximal zehn auf der Isolierstation zu finden. Und was passiert, wenn die Isolierstation belegt ist und man trotzdem einen weiteren Patienten isolieren muss? Dann wird entweder ein Patient aus der Isolierstation gescheucht von dem man annimmt (!) er sei keimfrei oder es wird ein normales Zimmer einfach zur Isolierstation umfunktioniert. Da ist es natürlich wahnsinnig sinnig, wenn die betreuende Krankenschwester ein Isolierzimmer und zehn normale Zimmer zu betreuen hat. Einmal vergessen die Hände zu desinfizieren und der Keim landet beim nächsten Patienten. Nicht zu vergessen die Besucher des Patienten, die wiederum Keime durch die Gegend schleppen weil niemand darauf achtet, ob diese Besucher sich auch an die Hygienerichtlinien halten – also Kittel, Mundschutz und Handschuhe tragen.
Und jetzt flötet der Rudolf Henke, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund Sätze wie „An Hygiene-regeln und Standards gibt es keinen Mangel“ in die Medienlandschaft. Das mag stimmen, doch es juckt auf platt deutsch keine Sau ob diese Regeln und Standards auch eingehalten werden.
Zum Tod der Babys, die eine verunreinigte Infusion bekommen hatten, sagte Henke: „Hier scheint es sich um einen schrecklichen Einzelfall zu handeln.“ Das Bewusstsein für Hygiene sei beim Krankenhauspersonal in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Ein Bundesgesetz sehe er nicht als notwendig an.
Quelle: ZDF – heute
Ja, dass gleich drei Babys auf einmal jämmerlich sterben müssen und insgesamt elf Patienten auf der Kinderintensiv mit verseuchten Infusionen versorgt wurden, mag ein Einzelfall sein.
Was ich definitiv nicht bestätigen kann ist das gewachsene Hygiene-Bewußtsein. Wie kann es da sein, daß Patienten aus der Isolierstation entlassen werden bei denen noch nicht einmal feststeht ob sie keimfrei sind oder nicht? Da gibt es vom Labor noch keinen negativen Endbefund und der Patient wird munter in ein Mehrbettzimmer verfrachtet weil der letzte Test schließlich negativ war … Vorgeschrieben sind mindestens drei negative Tests – was auch Sinn macht, schließlich kann eine Probe negativ sein und der Patient trotzdem noch den Keim mit sich spazieren tragen. Und nein, das saug ich mir nicht aus den Fingern, das erlebe ich. Tagtäglich.
Ich möchte auch nicht unterstellen, daß sich das Krankenhauspersonal nicht über Hygienevorschriften bewußt ist oder absichtlich fahrlässig handelt. Ich unterstelle den Verantwortlichen, nicht für ausreichend Personal zu sorgen um eine vernünftige Versorgung – und dazu gehören auch Hygienevorschriften – der Patienten gewährleisten zu können.
Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer (SPD) warnt davor, die Baby-Todesfälle an der Mainzer Uni-Klinik mit der allgemeinen Debatte um Krankenhaus-Hygiene in Zusammenhang zu bringen. Die Mainzer Ereignisse hätten mit der Diskussion über Standards in den Krankenhäusern nichts zu tun, sagte Dreyer dem Südwestrundfunk gestern.
Quelle: RP online – Ärzte streiten um Hygiene-Regeln
Doch, die Mainzer Ereignisse haben durchaus mit den Standards in den Krankenhäusern zu tun. Jetzt die Schuld auf schlampige Arbeit einzelner Mitarbeiter oder Fremdfirmen zu schieben löst das Problem nicht. Und wir haben in Deutschland ein massives Problem mit multiresistenten Keimen.
Merkwürdigerweise haben unsere Nachbarn in den Niederlanden keine massiven Probleme mit Krankenhauskeimen. Dort gibt es wesentlich strengere Auflagen und Richtlinien und die werden sogar eingehalten. Dort wird jeder Patient bei Einweisung ins Krankenhaus isoliert und auf multiresistente Keime untersucht und erst entisoliert wenn er nachgewiesen keimfrei ist. Dort gibt es in jedem Krankenhaus einen Facharzt für Hygienefragen, der auch im Falle einer Infektion die Medikation übernimmt. Dort gibt es keine unerfüllbaren Zeitvorgaben für die Reinigung von Krankenhausräumen.
Man könnte einfach mal über die Grenze Linsen und sich eine Seite aus dem Buch der Niederländer entleihen. Man tut das aus einem einfachen Grunde nicht: es ist mühsam und es kostet Geld, die Verbreitung von multiresistenten Keimen einzudämmen. Und Geld zählt was, im Gegensatz zu Menschenleben. Wenn interessieren schon 3.000 Menschen, die jährlich aufgrund mangelnder Hygiene verrecken wenn man – gerade im privatisierten Bereich – viel Geld mit Krankenhäusern verdienen kann?
Und das ist die eigentliche Tragödie. Die drei gestorbenen Säuglinge sind nur die Spitze des Eisberges. Sie stehen stellvertretend für tausende von Menschen.
Ich glaube nicht daran, dass sich an diesen Zuständen etwas ändern wird – auch wenn unsere Politiker jetzt vollmundig Versprechungen machen. Bis zum nächsten Skandal, der die Medien beherrschen wird, macht jetzt jeder den Mund auf. In ein paar Monaten wird keiner mehr danach fragen…
Die Autorin bloggt seit nunmehr 6 Jahren unter dem Namen Mirtana und arbeitet im Bereich medizinischer Labors.