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Braucht man einen Computer zum Leben?

Einleitung

In den letzten Tagen bewegt eine Entscheidung aus NRW die Gemüter des deutschsprachigen Teils des Internet:

Hartz-IV-Empfänger haben keinen Anspruch darauf, dass die Kosten für die Erstanschaffung eines PC übernommen werden. Das hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entschieden.(1)

Tatsächlich hat das Landessozialgericht jedoch nur über die Gewährung der Prozesskostenhilfe (PKH) entschieden. Diese hatte die Klägerin aus Minden erbeten, um rechtlich gegen die Ablehnung Ihres Antrags vorgehen zu können:

Die Frau aus Minden wollte den Angaben zufolge die Übernahme von Kosten für die Anschaffung eines PCs samt Zubehör sowie die Teilnahme an einem PC-Grundlehrgang erreichen. Die zuständige Behörde lehnte dies laut einer Pressemitteilung des Landessozialgerichts aber ab, weil ein Personalcomputer nicht zur Erstausstattung einer Wohnung gehöre, deren Bezahlung Hartz-IV-Empfänger zusätzlich zu ihrer Regelleistung zusteht.(2)

Das Sozialgericht Detmold entschied jedoch, dass die angestrebte Klage keine Aussicht auf Erfolg habe und hat daher die PKH abschlägig beschieden. Diese Entscheidung wurde vom Landessozialgericht nun bestätigt – ein Urteil in der Sache ist die jedoch nicht, denn dieses wird in einer getrennten Verhandlung vor dem Sozialgericht Dortmund gefällt werden müssen.

Möglicherweise ist Grund der Ablehnung die Herangehensweise der Argumentation:

In dem Fall ging es um eine Klägerin aus Minden, die einen PC samt Monitor, Drucker und Software bezahlt haben wollte. Ihr Argument: In der Mehrzahl der Haushalte gebe es einen Computer.Das ist aber nach dem Urteil nicht maßgebend. Zusätzlich zum Hartz-IV-Regelsatz werde nur die Erstausstattung einer Wohnung bezahlt – also alles, was für eine „geordnete Haushaltsführung“ gebraucht wird. Ein Computer gehöre nicht dazu, entschieden die Essener Richter. Informieren könne man sich auch durch Fernsehen und Radio.(3)

Der argumentative Schwachpunkt scheint die „Mehrzahl der Haushalte“ zu sein. Diese ist in meinen Augen kein Grund für die Gewährung von Regelleistungen. Beunruhigend ist jedoch die Aussage der Essener Richter, informieren können man sich auch durch Fernsehen und Radio, so wie die Annahme, ein Computer sei für eine „geordnete Haushaltsführung“ nicht notwendig. Im nachfolgenden möchte ich nun versuchen darzulegen, warum die Entscheidung gegen PKH ein Fehler war. Meiner Auffassung nach ist heute ein Computer, insbesondere mit Zugang zum Internet, so wichtig wie eine Wohnung.

I. Geordnete Haushaltsführung:

Der Begriff der geordneten Haushaltsführung war mir bisher nur aus dem Öffentlichen Recht bekannt. Dort wieder Begriff im Zusammenhang mit der Verschuldungsgrenze geführt.

Der Vertrag von Maastricht setzt zwar keine Verschuldungsgrenzen fest, er postuliert jedoch maximal 3 Prozent jährlichen Zuwachs der Nettokreditaufnahme und maximal 60 Prozent des Schuldenstandes bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt als Maßstäbe für eine geordnete Haushaltsführung bzw. als Eintrittskriterien für die Europäische Währungsunion(…) (4)

Im Sinne einer Interpretation des mir vorliegenden Materials der Entscheidung hier, scheint die geordnete Haushaltsführung jedoch auf die Möglichkeit der Teilhabe am Leben zu zielen. Dieser Begriff entspringt ursprünglich der Idee der Integration behinderter Menschen(5), ist jedoch im Rahmen der Hartz-IV-Diskussion immer wieder anderweitig belegt worden:

Hier beschreibt er die Möglichkeit, mit den Regelleistungen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen, welches auch die Teilhabe an gesellschaftlichen und sozialen Aspekten jenseits der reinen Daseinsfürsorge umfasst.

Eine solche Teilnahme am sozialen Leben erfordert jedoch, auch entsprechende Kommunikationsmittel zur Verfügung zu haben. Dieses war früher exklusiv das Telefon, respektive der „Festnetzanschluss“. Zur heutigen Zeit ist Telefonie jedoch nur noch ein Nebenprodukt der Internetgestützten Kommunikation. Diese besteht nunmehr aus Diensten, von denen Telefonie nur noch einer ist. Angereichert von Diensten wie EMail, Instant Messaging und anderen bidirektionalen Kommunikationskanälen. Zudem besteht das Leben jedoch auch aus der Teilhabe an unidirektionalen Informationswegen. Verglichen mit der Vergangenheit sind Internetpräsenzen die konsequente Fortsetzung der Zeitansage am Telefon.

II. Information durch Fernseh und Radio:

Die Entscheidung in Detmold und Essen geht an der Realtität vorbei, wenn als Informationsquelle Radio und Fernsehen als ausreichend erachtet wird. Unter der Prämisse einer ausgewogenen und nicht staatlich beeinflussten Nachrichtendarstellung insbesondere durch die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF, kann von einer Grundversorgung mit Informationen ausgegangen werden. Jedoch erweitern selbst ARD und ZDF ihr eigenes Angebot im Internet nicht unerheblich.

Jenseits von Rundfunkanstalten finden sich weiter zahllose Informationsquellen, die dem mündigen Bürger nicht verschlossen bleiben sollten. Eine Bibliothek ist hier im Vergleich eher als Archiv zu betrachten. Und auch für die unter I angeführte Teilhabe am Leben ist das Internet, und damit ein Computer als Zugangsmedium, nicht mehr zu negieren.

So wird z. B. von Arbeitssuchenden erwartet, alle Möglichkeiten auszunutzen. Arbeitsuchend kann auch die Suche nach einem Ausbildungsplatz bedeuten und am Land NRW, hier der Polizei NRW kann man das Problem erkennen: Informationen zur und die Bewerbung um einen Ausbildungsplatz selbst wird nur noch online angeboten. Eine Bewerbung auf Papier ist nicht mehr vorgesehen – was aus ökologischen und ökonomischen Gründen auch durchaus sinnvoll erscheint.

Ich habe die Polizei NRW als Beispiel gewählt um zu zeigen, dass selbst bei Anstalten der öffentlichen Hand ein Internet-Zugang mittlerweile für die Kommunikation und Informationsbeschaffung vorausgesetzt wird. In der privaten Wirtschaft lassen sich scheinbar unbegrenzt weitere Beispiele finden, die zeigen, dass sowohl die Beschaffung von Informationen, als auch die persönliche Einbringung in das soziale, kulturelle und von Erwerb geprägte Leben anders nicht mehr gewährleistet werden kann.

Ein weiterer Aspekt ist das schulische und universitäre Lernen. Wesentliche Elemente des Unterrichts heute fokussieren sich auch auf die Nutzung eines Computers als Medium zur Informationsbeschaffung. Hier kann eine öffentliche Bücherei tatsächlich in Teilen Abhilfe schaffen. Jedoch ist unbestreitbar spätestens für ein Studium ein Computer unabdingbar. Teilweise wird entsprechende Technik schlicht vorausgesetzt, sogar über die Informationsbeschaffung und Kommunikation hinaus, denn z. B. eine Seminararbeit darf schlicht nur nach bestimmten Vorgaben geschrieben und gedruckt werden, für die keine akzeptable Alternativtechnologie zu einem PC zur Verfügung steht.

Fazit

Die Stimmung im Internet zum Urteil ist, wie so oft, geprägt von extremen Gegensätzen und wenig differenzierter Betrachtung. So schreibt zum Beispiel der bekannte Blogger „Fefe“:

Schocker des Tages: Das Landessozialgericht findet, dass Hartz IV-Empfänger keinen Anspruch auf einen PC haben. Wo kämen wir da auch hin, wenn sich die Leute unabhängig informieren können. Nein, nein, die sollen lieber weiter in ihren Fernseher glotzen, denn auf den haben sie ja einen Anspruch. Grotesk, was für ein Dinosaurier-Mindset bei uns über Hartz IV entscheidet. Krass. Nee, klar, wozu braucht man auch einen PC, die sollen mal weiter ihren Volksempfänger hören. Deutschland sucht die Superdeppen! Bloß kein Denkvermögen anregen.(6)

Die Gegenposition kann am Beispiel des Bloggers „Banger“ dargestellt werden:

Mal ernsthaft, Leute: Ist jeder Richterspruch, der sich auch nur irgendwie gegen unser Lieblingsspielzeug richten könnte, so ein theatralisches BAWWWWWWW wert? Muss man die Aussage, dass ein PC im Haushalt nicht zwingend zur Bildung und Informationsbeschaffung notwendig ist, direkt in Richtung Volksverdummung polemisieren? Geht’s noch? Wer soll das denn noch ernst nehmen?

Auf Grund der von mir geführten Argumentation neige ich dazu, die Frage nach einem Computer (mit Internetzugang) im Haushalt als wesentlich zu betrachten. Meiner Meinung nach ist eine Teilhabe am Leben ohne nur in sehr eingeschränkter Form möglich.

Dabei möchte ich nicht darauf abstellen, welche Anforderungen an ein solches Gerät (im Sinne von Leistungsdaten) oder an den Netzzugang (im Sinne von Bandbreite) gestellt werden sollten. Hier würde ich auf den Markt vertrauen. Jedoch kann auch der kostenpflichtige Besuch eines Internet-Cafe (für den keine kompensierenden Leistungen im Regelsatz H-IV vorgesehen sind) und auch die wenigen Internetmöglichkeiten in Bibliotheken keine adäquate Alternative stellen.

In sofern betrachte ich das Urteil aus NRW mit großer Wehmut, da insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Teilhabe hier dringend eine Klärung durch die höchste Rechtsprechung zu erfolgen hat. Bleibt diese aus und die Entscheidung gegen einen Computer im Haushalt bestehen, wird sich die Arm-Reich-Schere in Deutschland weiter öffnen. Und darunter werden, stärker noch als die jetzt betroffenen H-IV-Bezieher, insbesondere die Kinder und Jugendlichen leiden müssen, die aus solchen Familien stammen.

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1 welt.de
2 heise.de
3 ard.de
4 gabler.de
5 Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsämter
6 Fefe
7 Banger

Der Vertrag von Maastricht setzt zwar keine Verschuldungsgrenzen fest, er postuliert jedoch maximal 3 Prozent jährlichen Zuwachs der Nettokreditaufnahme und maximal 60 Prozent des Schuldenstandes bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt als Maßstäbe für eine geordnete Haushaltsführung bzw. als Eintrittskriterien für die Europäische Währungsunion
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