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Rede Frank-Walter Steinmeier auf dem SPD-Bundesparteitag

Frank-Walter Steinmeier, foreign minister (Sec...

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Liebe Genossinnen und Genossen! Der gestrige Abend war lang. Das haben wir uns verdient. Ich freue mich, dass die Reihen schon wieder dicht geschlossen sind und dass ich fröhliche Gesichter sehe.

Ich weiß nicht, wie es euch gegangen ist: Als ich mich am Donnerstag auf den Weg nach Dresden gemacht habe, habe ich dies mit gemischten Gefühlen getan. Aber ich bin seit gestern für unsere Partei wieder sehr viel zuversichtlicher als vor 48 Stunden. Diese Partei hat gezeigt, dass sie lebendig ist.

Es ist wahr: Der 7. Juni und vor allem der 27. September waren bittere Tage für unsere Partei. Aber entscheidend ist doch, liebe Genossinnen und Genossen: Diese Tage waren nicht das letzte Wort über die SPD. Wir lassen uns nicht kleinkriegen. Das ist die gute Botschaft dieses Parteitags. Wir gehen an die Arbeit. Es wird viel Arbeit sein. Aber wir gehen aufrecht, liebe Genossinnen und Genossen.

Wir gehen aufrecht nach 11 Jahren Regierung, nun in der Opposition. Wir wissen, dass eine Partei, die nicht zu ihrer Geschichte steht, auch keine Zukunft gewinnen kann. Das heißt natürlich Bereitschaft zu einer ehrlichen, offenen und fairen Diskussion. Diese Bereitschaft haben wir, und wir diskutieren. Dabei vergessen wir nicht, dass wir dieses Land aus dem schwarz-gelben Muff der 90er-Jahre geholt haben, dass wir dieses Land geöffnet haben und dass wir dieses Land nach vorne gebracht haben. Wir haben die Wirklichkeit nie ignoriert, wir haben die Menschen niemals eingelullt. Wir haben gekämpft. Ich erinnere mich: manchmal stellvertretend für die Gesellschaft, manchmal auch stellvertretend für andere, die nicht den Mut zur Wahrheit und zu Entscheidungen hatten.

Wir haben auch in diesem Jahr gekämpft, über den ganzen Sommer hinweg. Ich war überall in der Republik. Ich war mit euch unterwegs und habe euren Einsatz gesehen. Ich habe eure grenzenlose Unterstützung gespürt. Das hat mich getragen, das hat mich immer wieder ermutigt. Deshalb – und trotz des Ergebnisses – einen ganz, ganz herzlichen Dank für euren Einsatz.

In diesem Wahlkampf, aber auch auf diesem Parteitag habe ich gesehen: In dieser Partei steckt – das unterschätzen andere – eine ganz große Kraft. Das sozialdemokratische Herz schlägt. Es schlägt in den Ortsvereinen, es schlägt bei den Jusos, bei den Älteren, bei 60 plus, bei der Initiative „Erfahrung packt an!“. Und es hat in diesem Sommer ganz gewaltig geschlagen bei den jungen Teams, die unermüdlich auf den Straßen und auf den Plätzen unterwegs waren. Lasst uns diese tollen jungen Leute auf der Strecke nicht wieder verlieren. Sie sind stolz auf das, was sie tun. Sie sind stolz auf diese Partei. Fühlt euch eingeladen, liebe junge Leute, die nächste Strecke mit uns zu gehen.

Vor uns liegt eine spannende Zeit, vor uns liegt eine schwere Zeit. Wir haben keine geringere Aufgabe als die SPD neu zu erfinden, die Kraft zur Besinnung zu entwickeln, und das ohne Rechthaberei und ohne Hochmut. Wir brauchen Zukunftsdebatten, die uns wieder attraktiv machen, gerade auch in den Bereichen der Gesellschaft, in denen wir das nicht mehr sind.

Neugier entwickeln, hingehen, zuhören: Ich bin mir sicher, so wird die SPD wieder stärker, und dann können und dann werden wir auch wieder Wahlen gewinnen. Liebe Hannelore, der Mai in Nordrhein-Westfalen: Das ist unser nächstes Ziel.

Es gibt Grund zur Hoffnung, liebe Genossinnen und Genossen: Tausende neue Mitglieder sind im September und im Oktober zu uns gekommen. Das sind Mitglieder, die jetzt [ad#spd]keine einfache und keine schnelle Karriere suchen. Der Schritt, jetzt einzutreten, ist ein politisches Bekenntnis. Diese Leute, die jetzt eintreten, sie wissen, dass dieses Land, Deutschland, ohne eine starke Kraft der sozialen Balance leidet. Sie wollen, dass die SPD in Deutschland wieder stark wird. Liebe Genossinnen und Genossen, wir dürfen diese Menschen nicht enttäuschen. Gehen wir an die Arbeit, schauen wir jetzt auch nach vorne. Wir dürfen den anderen, diesen Schwarz-Gelben, in den nächsten Wochen keine Ruhe lassen.

Deutschland braucht eine starke SPD, Deutschland braucht eine starke Opposition, weil diese Regierung ohne Kurs und ohne Verantwortung ist. Diese Regierung hat keine Zukunftsidee. Im Gegenteil – das ist jetzt schon sichtbar -: Schwarz-Gelb ist auf dem Rückmarsch in die Vergangenheit mit den gescheiterten Konzepten von gestern. Darum, liebe Genossinnen und Genossen, werden wir Sozialdemokraten eine Gegenmacht sein und Druck organisieren: mit einer harten Opposition im Parlament, in der ganzen Gesellschaft.

Das ist jetzt unsere Aufgabe. Die sind im Schlafwagen an die Macht gekommen, liebe Genossinnen und Genossen, aber der Rheingold-Express ist an der Endstation.

Schauen wir auf diese Koalition. Liebe Genossinnen und Genossen, ich habe selbst dreimal an Koalitionsverhandlungen teilgenommen: 1998, 2002 und 2005. Das, was die da in einer sogenannten Koalitionsvereinbarung aufgeschrieben haben, hätte niemand von uns gewagt, an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Presse hätte uns das zu Recht um die Ohren gehauen.

Da zeigt sich: Die, die sich da schon seit Monaten als das Traumpaar der deutschen Politik bezeichnet haben, waren möglicherweise auf alles vorbereitet – aufs Verteilen von Posten und Pöstchen -, nur auf eines waren sie nicht vorbereitet, liebe Genossinnen und Genossen: Aufs Regieren waren die nicht vorbereitet. Und das ist das, was ich unverantwortlich nenne, liebe Genossinnen und Genossen.

Dieser Koalitionsvertrag ist ein einziges Dokument der Vertagung und Verunsicherung. Vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl im Mai wird im Augenblick jedenfalls noch gut Wetter vorgegaukelt. Danach kommt das, was notwendig und unweigerlich ist. Das Ergebnis dieser Koalition wird sein, liebe Genossinnen und Genossen: Wer viel hat, der darf auch mehr behalten. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland wird in die Röhre gucken. Schwarz-Gelb wird die soziale Spaltung in diesem Lande vertiefen statt zu bekämpfen. Dazu werden auch Sozialdemokraten gebraucht. Das müssen wir jeden Tag anprangern, liebe Genossinnen und Genossen.

Vertagung und Verunsicherung: Unzählige Kommissionen haben sie eingerichtet. Und noch mehr Prüfaufträge. Alle schwierigen Entscheidungen werden vertagt, und das Wichtige wird vernebelt.

Das erste Gesetz, das die jetzt vorgelegt haben, nennen die „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“. Es ist genau das Gegenteil. In Wahrheit ist das, was die da machen, ein Zukunftsverhinderungsgesetz. Schwarz-Gelb verteilt durch dieses Gesetz Geschenke im Umfang von Milliarden an Steuerberater, Erben, Ärzte, große Hotelketten. Das sind Geschenke, die auf Pump finanziert sind. Bis 2013 müssen wir allein 3,9 Milliarden Euro mehr Zinsen zahlen. Das Geld wird für Forschung und für Investitionen in diesem Land und in die Zukunft fehlen. Es gilt, das klarzumachen. So entsteht eben kein Wachstum. So macht Schwarz-Gelb die Zukunft kaputt. Das dürfen wir nicht zulassen. Da ist harte Opposition erforderlich, liebe Genossinnen und Genossen.

Bis vor ein paar Wochen war das alles doch noch ganz klar. Wir sind in der tiefsten Krise der Nachkriegszeit. Wir sind da noch längst nicht durch. Das dicke Ende auf dem Arbeitsmarkt kommt ja noch. Statt eben das zu tun, was zum Schutz der Menschen und der Arbeitsplätze jetzt notwendig ist, haben die aber nichts Besseres zu tun, als Steuergeschenke auf Pump zu finanzieren.

Wir sind das in der Regierung anders angegangen, liebe Freunde. Olaf Scholz hat die Kurzarbeit verlängert: 1,4 Millionen Menschen, die in der Kurzarbeit und nicht arbeitslos sind. Aber das reicht nicht. Der Druck auf dem Arbeitsmarkt steigt. Das ist jetzt schon zu sehen: steigende Arbeitslosigkeit bei den Jungen unter 25 Jahren und bei den Älteren über 50 Jahren. Die Kurzarbeit muss noch einmal verlängert werden. Aber das wird nicht reichen.

Deshalb bringt die SPD-Bundestagsfraktion jetzt einen Gesetzentwurf zur geförderten Altersteilzeit ein. Wir wollen eine Beschäftigungsbrücke zwischen den Generationen. Ältere scheiden aus, und Jüngere landen, wenn der Vorschlag durchgesetzt werden kann, eben nicht auf der [ad#spd]Straße, sondern sie bekommen ihre faire Chance auf den Einstieg. Das sind Hoffnungszeichen, die wir jetzt in der Krise brauchen, liebe Genossinnen und Genossen. Das ist Politik für die Zukunft dieses Landes, und dafür kämpfen wir auch weiterhin – auch in der Opposition.

Union und FDP lehnen das ab. Sie sagen: kein Geld für so etwas. Das Geld fehlt eben. Sie haben es für Steuerberater, Erben, Ärzte, Hotelketten ausgegeben. Das ist der Zynismus von Schwarz-Gelb. Aber nicht nur das. Das ist auch ökonomische Geisterfahrerei.

Wo kommt das Geld am Ende denn an? Die Leute werden, wenn da jetzt Hoteliers gefördert werden, deshalb doch nicht mehr in Hotels gehen, als im eigenen Bett zu schlafen. Diejenigen, die es als Erben, Ärzte oder Steuerberater bekommen, werden morgen doch nicht ein Brot mehr kaufen, sondern die werden das anlegen, die werden das auf die Bank tragen, die werden das in Fonds stecken und die werden die Finanzmärkte bedienen. Es ist doch kein Wunder, dass gestern selbst die „Welt“ schrieb, dass das Börsenkasino wieder eröffnet ist und dass wir auf die nächste Spekulationsblase zusteuern.

Das alles, liebe Leute, passiert, bevor wir die Folgen der letzten Krise bearbeitet haben. Die Verursacher der Krise sind bisher ungeschoren davongekommen.

In der Koalitionsvereinbarung findet sich kein Wort über die Finanzmarktsteuer. Ich weiß nicht, ob ihr Frau Merkel bei der Regierungserklärung – oder das, was sie Regierungserklärung nennt – zugehört habt. Sie hat dort gesagt – ich zitiere es -, sie würde sich international an einer Börsenumsatzsteuer „beteiligen“.

Was heißt das, liebe Genossinnen und Genossen? Das heißt: Zustimmung, weil Ablehnung gesichert ist. – Und das ist Heuchelei. Damit werden die Falschen geschont.

Das ist ein Verzicht auf Einnahmen, die wir dringend brauchen.

Wir fordern ein Ja zur internationalen Finanzmarktsteuer und, wenn sie nicht kommt, zur nationalen Börsenumsatzsteuer. Wir brauchen beides, liebe Genossinnen und Genossen.

Wenn man auf das Treiben dieser Koalition in den ersten Wochen und Tagen ihrer Regierungszeit schaut, dann hat man doch den Eindruck: Da werden Schulden gemacht wie im Rausch. Da scheinen alle Dämme gebrochen zu sein. Westerwelle, der uns bis gestern und vorgestern noch erklärt hat, die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen, hat alles vergessen. Er ist nicht mehr der Sparer, als der er sich noch im Wahlkampf dargestellt hat, sondern die FDP gehört jetzt zu den Schuldenmachern der Nation. Das ist Mutation in Lichtgeschwindigkeit. Dieser Rollenwechsel, dieser Positionswechsel, den sie da hinlegen, ist wirklich atemberaubend.

Aber ich rede hier ja nicht über Fragen der politischen Ästhetik. Das ist auch mehr als Rhetorik. Das, was da jetzt gemacht wird, diese Steuergeschenke auf Pump 24 Milliarden sollen ja noch kommen , haben Folgen. Das wird tiefe Löcher reißen, und zwar nicht nur in die Haushalte des Bundes, auch in die von Ländern, auch in die von Kommunen. Das trifft dann eben nicht nur die Banken. Das trifft auch nicht nur die Topverdiener, sondern die Folgen werden die Mehrheit der Menschen treffen. Es wird

ausgerechnet die treffen, die auf Hilfe, auch auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Das heißt dann im Klartext, wenn wir über Schuldenmachen in dieser Größenordnung und auf Pump reden, für die einfachen Leute am Ende: höhere Kitabeträge, weniger neue Ganztagsschulen, weniger Jugendsozialarbeit, Kürzung bei den Bibliotheken, bei den Sportvereinen und bei den Seniorennachmittagen.

Warum sage ich das? Viele von euch tragen doch Verantwortung in den Städten und Gemeinden. Schon ohne Steuersenkung fehlen ihnen durch Einnahmeausfälle wegen der Wirtschaftskrise 8 Milliarden Steuereinnahmen. Viele Kommunen, viele Städte und Gemeinden stehen jetzt schon mit dem Rücken zur Wand. Und jetzt nimmt ihnen Schwarz-Gelb auch noch das letzte Hemd. Weniger Einkommenssteuer, Infragestellung der Gewerbesteuer, Wegfall des Mehrwertsteuerprivilegs für kommunale Betriebe: Liebe Freunde, ich sage das in großem Ernst: Die Kommunen sind in Gefahr. Und von der Demontage kommunaler Selbstverwaltung spreche nicht nur ich, davon spricht auch die Oberbürgermeisterin von Frankfurt. Ich sage: Willkommen in der Opposition, Frau Roth! Hier sind Sie richtig.

Wir haben das in den letzten Jahren bewiesen. Nicht irgendeine der anderen Parteien, sondern die SPD ist Kommunalpartei in Deutschland. Wir haben zu Jahresanfang das kommunale Investitionsprogramm zustande gebracht. Alle Spielräume, die wir für die Kommunen erkämpft haben in den letzten Jahren, machen Union und FDP wieder kaputt. Ich sage euch: Das, was wir als SPD in der Regierung begonnen haben, müssen wir jetzt leider in der Opposition fortsetzen. Aber es ist notwendig. Wir müssen weiterarbeiten an dem breiten Bündnis für handlungsfähige Kommunen, mit den Ländern, im Schulterschluss mit den Bürgermeistern und Oberbürgermeistern, mit den Landesregierungen, mit unseren Oppositionsfraktionen. So bauen wir eine Opposition, die Schwarz-Gelb mit ihrer falschen Klientelpolitik gegen die Kommunen, gegen die Städte und Gemeinden unter Druck setzt. Das ist notwendig, liebe Genossinnen und Genossen.

Einen weiteren Schwerpunkt, das ist unumgänglich, werden wir in der Familienpolitik setzen müssen. Auch hier, liebe Leute, ist Schwarz-Gelb auf dem schnellen Rückmarsch in die 90er-Jahre. Missversteht mich nicht: Ich verstehe, dass sich die Menschen in Deutschland freuen, wenn mehr Geld für Familien versprochen wird. Aber, liebe Freunde, der oberste Grundsatz muss doch lauten: Jedes Kind ist uns gleich viel wert. Und was macht Schwarz-Gelb? Was ist die Folge des Gesetzesvorschlags, der eingereicht

wurde? Das bedeutet – und darauf müssen wir hinweisen für die Verkäuferin 240 Euro mehr im Jahr, und die Besserverdienenden, liebe Leute, bekommen fast das Doppelte, nämlich 443 Euro mehr im Jahr. So treibt die Koalition die Schere zwischen reichen und armen Familien weiter auseinander. Ich sage: Das ist nicht gerecht, das ist falsche Politik, und die müssen wir als Sozialdemokraten bekämpfen, liebe Genossinnen und Genossen.

Aber selbst das ist noch zu kurz gedacht. Die ganze Wahrheit ist noch besorgniserregender. Das Füllhorn, das sie im Augenblick ausschütten, können sie in der Tat nicht zweimal ausschütten. Wer Kinderfreibetrag und Kindergeld in einem Zug erhöht, der muss doch aus unserer Sicht auch sagen, was das für Betreuung in diesem Land bedeutet. Und da werden Frau Merkel und Herr Westerwelle ganz schmallippig: keine Spur von einem Gesamtkonzept. Wir niemand anders haben in den letzten zehn Jahren dafür

gesorgt, dass die Weichen in der Familienpolitik neu gestellt werden: mehr Betreuung, mehr Ganztagsbetreuung, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was die jetzt vorhaben, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Salto rückwärts, liebe Genossinnen und Genossen. Aber das sagen sie den Eltern nicht. Sie sagen den Eltern nicht, was der Preis für die Großzügigkeit von heute ist und dass sie das Geld nicht zweimal ausgeben können. Das heißt am Ende doch, dass der Ausbau der Betreuung, der so dringend notwendig ist, zum Halten kommt. Das hilft berufstätigen Eltern überhaupt nicht. Wir wissen doch, dass moderne Familienpolitik nur da sein kann, wo Eltern ihren Lebensunterhalt wirklich selbst verdienen können. Das ist moderne Familienpolitik, und die verrät Schwarz-Gelb gleich doppelt. Ich weiß, wir haben auf Parteitagen [ad#spd]viel über die sogenannte Herdprämie geredet. Ich rede aber viel lieber über die Fernhalteprämie. Denn der Skandal ist doch, dass wir staatliches Geld ausgeben, falsche Anreize geben, damit Kinder, die mit anderen zusammen lernen sollen, von solchen Einrichtungen auch noch ferngehalten werden. Das ist die falsche Politik. Das dürfen wir nicht zulassen. Das müssen wir hart kritisieren.

Um das gleich anzuschließen: Für diese falsche Politik kritisieren wir Schwarz-Gelb im Bund. Aber wir sollten es nicht dabei belassen. Denn die Steuergesetze wie das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz werden auch im Bundesrat beraten. Lasst uns auch einmal auf die CDU-regierten Länder schauen. Keine schwarz-gelbe Regierung, liebe Leute, die dieses Gesetz im Bundesrat mitträgt und damit auf Steuereinnahmen verzichtet, kann anschließend ihre Hände in Unschuld waschen und sagen, dass kein Geld für Kindergärten da ist. Wir entlassen sie nicht aus ihrer Verantwortung. Wir haben die Eltern auf unserer Seite. Deshalb müssen wir an dieser Stelle angreifen, noch härter als an anderen.

Die Politik der Spaltung, die auch in der Familienpolitik angelegt ist, wird aus meiner Sicht aber nirgendwo deutlicher als in der Gesundheitspolitik. Wir haben in der Regierung als SPD dafür gesorgt, dass das gute Solidarprinzip im Gesundheitswesen nicht angetastet wird. Das heißt, dass in Deutschland jeder Zugang zu medizinischen Leistungen hat, dass Menschen in diesem Land für Menschen einstehen, dass Kosten solidarisch getragen werden. Dieses Prinzip, das uns stark gemacht hat in den letzten Jahren, wofür wir in der Welt anerkannt sind, was sich andere abschauen, liebe Freunde, wird Schwarz-Gelb zum Kippen bringen. Was anderes nämlich passiert mit dem Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung?

Was ist die Folge? Alle Risiken von Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, stammen sie nun aus Ärztehonoraren, stammen sie aus steigenden Arzneimittelpreisen oder kommen sie von neuen Behandlungsmethoden, werden in Zukunft einseitig den Versicherten, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, auferlegt. Das ist nichts anderes – lasst uns das auch öffentlich so sagen – als der Ausstieg aus der Solidarität. Das betrifft 70 Millionen Versicherte und vor allem auch die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland. Da soll sich keiner täuschen.

Aber Entsolidarisierung planen sie nicht nur zwischen den Beitragszahlern, sondern Entsolidarisierung planen sie auch zwischen den Kassen. Auch wenn das bei der Lektüre des Koalitionsvertrages vielleicht noch nicht alle so richtig gemerkt haben: Was ist das eigentlich Ziel, wenn sie über den Gesundheitsfonds reden? Sie wollen über den Gesundheitsfonds an den Finanzausgleich zwischen den armen und den reichen Kassen ran. Am Ende und kurz gesprochen ist das gut für Bayern, aber schlecht für den Osten.

Denn was bedeutet eine solche Änderung für die strukturschwachen Regionen insgesamt? Dass dort die Beiträge nach oben schießen. Am Ende wird das bedeuten: weniger Leistung und vor allem weniger Ärzte im Osten.

Das passt ins Bild: Der Aufbau Ost wird von Schwarz-Gelb gerade beerdigt. Kein einziger ostdeutscher Minister ist mehr im Kabinett. Sie versenken die Aufgabe „Aufbau Ost“ im Innenministerium, als sei Aufbau Ost neuerdings zu einem Problem der inneren Sicherheit geworden. Der neue Verkehrsminister Ramsauer sagt zum 20. Jahrestag des Mauerfalls: Schluss mit Aufbau Ost, jetzt ist der arme Süden dran. Das ist auf den ersten Blick nur eine der Frechheiten von Ramsauer, viel wichtiger aber ist, liebe Freunde, dass hinter dieser Äußerung von Ramsauer Methode steckt. Diese Methode heißt im Koalitionsvertrag: Regionalisierung. Schaut da mal genauer hin: Die fordern regionale Hebesetze bei der Erbschaftsteuer, die fordern Regionalisierung bei der Krankenversicherung, und alles immer mit derselben Konsequenz: Die reichen Regionen werden reicher und die anderen, im Osten, im Norden, in den ländlichen Regionen, gucken in die Röhre.

Schwarz-Gelb spaltet Deutschland in arme und reiche Regionen. Nichts mehr von der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, die Frau Merkel noch am Tag der Deutschen Einheit und am Jahrestag des Mauerfalls im Munde geführt hat. Das geht in die falsche Richtung. Diese falsche Politik müssen wir verhindern, liebe Genossinnen und Genossen.

Am verheerendsten aber ist es in der Arbeitsmarktpolitik. Das, was da angelegt ist und was man in der Aussprache zur Regierungserklärung vom Arbeitsminister dazu öffentlich gehört hat, wird dazu führen, dass dieses Land dauerhaft entzweit wird: in die Menschen, die von ihrer Arbeit leben können, und die anderen, die mit Billig- und Hungerlöhnen abgespeist werden. Schwarz-Gelb bricht mit einem ganz wichtigen Grundprinzip unserer Gesellschaft. Das ist unser Grundprinzip, und es heißt: Wer den ganzen Tag arbeitet, der muss auch von seinem Lohn leben können.

Dieses Prinzip, liebe Leute, wird infrage gestellt oder geknickt, und zwar wieder mit einem Trick in der Koalitionsvereinbarung: Dort steht, sittenwidrige Löhne sollten verboten werden. – Was ist das für eine Heldentat? Sittenwidrige Löhne sind schon heute unzulässig. Das wissen die genau. Das Entscheidende ist doch: Wer, wie jetzt in diesem Koalitionsvertrag, die Schwelle zu den illegalen Löhnen so niedrig zieht, der erteilt am Ende Stundenlöhnen von 4 Euro und weniger den Segen. Arbeit muss sich lohnen, das haben sie im Wahlkampf plakatiert – ein Wahlversprechen, das sie schamlos brechen. Was ist das für ein Leistungsbegriff, und was ist das für ein Menschenbild, wenn Eltern ihren Kindern sagen müssen: Ich war den ganzen Tag, ich war die ganze Woche, ich war den ganzen Monat arbeiten, aber am Monatsende muss ich doch zum Sozialamt? Das ist entwürdigend. Das führt zur Altersarmut von morgen. Das ist der falsche Weg. Unsere Antwort bleibt die richtige: Wir brauchen Mindestlöhne. Dafür werden wir kämpfen, auch in der Opposition.

Schon jetzt ist abzusehen: Schwarz-Gelb bedeutet Schuldenpolitik im Blindflug, Entsolidarisierung in der Gesundheit, Ausspielen der Regionen gegeneinander, Ausbluten der Kommunen, aber gleichzeitig vollmundige Steuersenkungen auf Pump. Diese Regierung macht das Gleiche wie mancher Banker vor der Krise: Spekulationen, Luftbuchungen, abenteuerliche Wachstumsprognose und haltlose Kreditaufnahme. Das werden wir in härtester Form kritisieren. Das werden wir nicht durchgehen lassen, nicht im Deutschen Bundestag und nicht in der deutschen Öffentlichkeit, liebe Genossinnen und Genossen.

Mein Anspruch für die Opposition ist: Wir müssen nicht nur zeigen, welches Unglück Schwarz-Gelb ist, wir müssen auch zeigen, dass wir es besser können. Wir können es besser. Wir haben Konzepte, die weit besser sind als das, was uns Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag hingelegt hat. Wir wollen Wachstum, das nachhaltig ist. Wir wollen Wachstum, das sozial gerecht ist. Wir wollen Wachstum, das ökologisch tragfähig ist. Wir wollen gezielt Märkte von morgen erschließen, mit Technologien, die Energie einsparen, die mit erneuerbaren Energien Rohstoffe schonen. Und wir sagen, liebe Genossinnen und Genossen: Es muss beim Ausstieg aus der Atomkraft bleiben, weil Atomkraft nicht verantwortbar ist.

Wir arbeiten an einer Industriepolitik, damit Deutschland zum Ausrüster der Welt für das Zeitalter des Klimaschutzes wird. Da müssen wir investieren: keine Klientelgeschenke, sondern in Zukunft investieren – mit einer zu Ende gedachten, machbaren Strategie.

Und wir arbeiten am Ausbau von Gesundheit und Pflege. Denn der demografische Wandel ist doch nicht eine Last. Er ist Glück für die Menschen, für uns alle, weil wir länger leben, und es ist eine Riesenchance für Beschäftigung.

In diesen Feldern, liebe Freunde, entsteht die Arbeit von morgen. Ich will, dass wir diese Ansätze mit neuen Ideen zusammenführen in einem Konzept „Innovation und Arbeit – Zukunft der Arbeit“, an dem die Fraktion gemeinsam mit der Partei arbeiten wird. Wir wollen zeigen: Die SPD ist und sie bleibt die Partei der Arbeit. Das werden wir auch in der Opposition erkennbar machen, liebe Genossinnen und Genossen.

Ins Zentrum dieser Strategie für sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze gehören Bildung und Integration. Ich will keine verlorene Generation der Schulabbrecher. Ich will nicht, dass wir in fünf, sechs Jahren zweierlei haben: auf der einen Seite hohe Arbeitslosigkeit, auf der anderen Seite steigenden Fachkräftemangel. Auch darum brauchen wir mehr Bildung. Sozialer Aufstieg – Franz hat gestern darüber gesprochen – heißt für die allermeisten heute, erst einmal einen sozialen Einstieg zu finden.

Das bedeutet, dass wir vielen Kindern in vielen Stadtteilen helfen – Kindern, die Sprachtrainer, Förderlehrer und Sozialarbeit brauchen. Wir müssen mehr Chancen durch Bafög schaffen. Ich bin davon überzeugt: Wir werden sozialen Aufstieg und vor allen Dingen sozialen Einstieg nur organisieren können, wenn wir die Türen auf den Bildungslaufbahnen weit aufmachen, wenn wir die sozialen Hürden dort, wo sie bestehen, beseitigen. Dafür, liebe Genossinnen und Genossen das bleibt weiterhin wahr , gibt es

nur einen einzigen Weg Sigmar hat es gestern gesagt : Weg mit den Gebühren von der Kita bis zur Universität! So sichern wir Zukunft! Anders geht es nicht.

Ganz zum Schluss, liebe Genossinnen und Genossen: Auch weiterhin bleibt es dabei: Wir werden gebraucht, weil Globalisierung gestaltet werden muss. Wir müssen das mit alten Verbündeten, mit neuen und aufstrebenden Partnern in der Welt tun. Wir haben damit Erfahrung. Gemeinsam mit Peer und Heidemarie haben wir das getan. Uns war es nie egal, wie es an anderen Orten dieser Welt aussieht, wie es den Menschen dort geht, ob diese Menschen eine Chance zum Überleben haben. Glaubt denn wirklich jemand, das ginge so weiter mit einer Partei, die noch vor zwei Monaten das Entwicklungsministerium für überflüssig gehalten hat und deshalb konsequenterweise mit Dirkel Niebel besetzt hat? Die schleichen sich aus der Verantwortung weltweit! Auch das dürfen wir nicht zulassen, liebe Genossinnen und Genossen!

Ein letztes Wort: Wir wollen die Einigung Europas als politisches Projekt und nicht bloß als Basar, auf dem täglich und wöchentlich um Fördermittel gefeilscht wird. Viele Entscheidungen fallen in Brüssel und nicht mehr in Berlin; das ist eine Binsenweisheit. Aber der Beitrag von Kurt hat eben am Fall Opel noch einmal gezeigt, wie hautnah, wie alltäglich, wie wichtig dies für uns ist. Alle anderen Länder in Europa haben gelernt, dass das wichtig ist, dass dort wichtige Entscheidungen getroffen werden. Deshalb schicken die ihre Besten. – Wir schicken Oettinger. Liebe Genossinnen und Genossen, das ist doch unglaublich!

Martin Schulz kann es euch berichten, darüber wird in Brüssel und Straßburg gesprochen. Es ist doch unglaublich, dass die CDU einen Politiker als Kommissar nach Brüssel schickt, der mit Europa in der Vergangenheit nichts zu tun hatte, der damit nichts anzufangen weiß, als Abschiebeposten, weil er zu Hause in der CDU eher stört. So kann man mit Europa nicht umgehen! Das ist ein schlimmer Fehler! Das müssen wir laut und deutlich sagen.

Liebe Freunde, Opposition im Deutschen Bundestag ist nicht die Rolle, für die wir uns beworben haben. Aber es ist die Rolle, die wir annehmen müssen. Ich verspreche euch: Wir werden eine harte, eine kritische, eine kämpferische Opposition sein. Wir wollen und werden nicht einfach zuschauen, wie Deutschland in die Vergangenheit zurückfällt, in epochalen Entscheidungssituationen, die wir jetzt haben, seine Zukunft verspielt. Wir werden zeigen, liebe Genossinnen und Genossen, dass es eine bessere Alternative gibt. Auch deshalb bin ich Sozialdemokrat. Dafür will ich mit eurer Hilfe arbeiten. – Ich danke euch herzlich.

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