Website-Icon xtranews – das Newsportal aus Duisburg

Heute in vier Wochen…

Deutsch: Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe

Deutsch: Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe (Photo credit: Wikipedia)

Heute in einem Monat wird das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein Urteil zur Vereinbarkeit der Euro-Rettungsmaßnahmen mit dem Grundgesetz bekanntgeben. Ich weiß weder, wie das BVerfG entscheiden wird, noch, welche Folgen die verschiedenen denkbaren Urteile nach sich ziehen könnten. Also auch nicht, was der am 12. September ergehende Richterspruch im Einzelnen auslösen wird. Ich bin aber sicher, dass diese Entscheidung, egal wie sie ausfällt, ganz erhebliche Auswirkungen auf die deutsche, europäische und internationale Politik haben wird. Ich vermute, dass das Urteil nicht etwa zu einer Beruhigung, sondern zu noch größeren Turbulenzen auf den Finanzmärkten und in der Finanzpolitik führen wird.

 

Unmittelbar nachdem Bundestag und Bundesrat am 29. Juni den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Fiskalpakt („Schuldenbremse“) genehmigt hatten, stellten eine Reihe von Gruppen und Einzelpersonen ihren Verfassungsbeschwerden entsprechende Eilanträge voran – mit dem Ziel, die Unterschrift des Bundespräsidenten unter die Gesetze und damit die anschließende Ratifizierung dieser Verträge durch Deutschland zu verhindern. Gerichtspräsident Voßkuhle hatte Bundespräsident Gauck bereits vorab gemahnt, mit seiner Unterschrift bis zu einer genehmigenden Entscheidung des BVerfG zu warten. Abweichend vom üblichen Verfahren hatte Voßkuhle für den 10. Juli eine mündliche Verhandlung über die Eilanträge anberaumt, die einen ganzen Tag in Anspruch nahm.

In Hinblick auf die internationalen Folgen hat das BVerfG die Trennung zwischen Eil- und Hauptverfahren zugunsten einer Art „Zwischenverfahren“ faktisch aufgehoben, dessen Ergebnis das Urteil in der Hauptsache vorwegnehmen dürfte. Und eben diesen Urteilsspruch hat Voßkuhle für den 12. September terminiert. Bis dahin ist die europäische Finanzpolitik de facto handlungsunfähig. Die europäische Geldpolitik könnte zwar bereits während dieser Sommer(zwangs)pause aktiv werden, etwa durch größere Anleihenkäufe. EZB-Chef Draghi hatte dies bekanntlich in Aussicht gestellt, nach deutschen Protesten dann seine Geldpolitik eben doch an die Finanzpolitik gebunden. Also steht das „Sommerloch“ der Diskussion vor allem der Diskussion zur Verfügung, wovon auch exzessiv Gebrauch gemacht wird.

 

Anstatt die einzelnen Diskussionsbeiträge zu kommentieren oder über den Inhalt der anstehenden BVerfG-Entscheidung zu spekulieren, möchte ich den Blick auf das deutsche „Publikum“ richten – und zwar aus drei Gründen. Erstens könnte meine freie unabhängige Meinung, die ich im übrigen nicht selten geäußert habe, die Meinungsbildung der Roten Roben ohnehin nicht beeinflussen. Zweitens dürfte für die Politik, insbesondere für die deutsche Politik, die öffentliche Meinung – sprich: eine Mischung aus Medieninput und Publikumsstimmung – eine ganz zentrale Determinante sein. Und drittens ist es nützlich, sich vor Augen zu halten, mit welch großen Erwartungen, Hoffnungen, Sehnsüchten und Befürchtungen eben nicht nur alle möglichen Akteure, sondern auch die deutschen Michel nach Karlsruhe blicken.

Die Deutschen nehmen diese Eurokrise oder Schuldenkrise oder Finanzkrise oder wie auch immer wir dieses Spektakel nennen wollen „nur“ als Medienereignis wahr. Nicht einmal die ärmsten Schichten sind in irgendeiner Weise davon betroffen. Doch selbst diese und erst recht diejenigen, die wirklich etwas zu verlieren haben, befürchten unter dem Eindruck der medialen Dauerkrise, groß geworden mit Weisheiten wie derjenigen, dass man eine Mark (!) nur einmal ausgeben könne, dass die Milliarden, die für die Südländer, die Banken oder Gottweißwen ausgegeben werden, ihnen am Ende fehlen werden. Die Leute werden mit Horrormeldungen zugeballert, und inzwischen ist die Gefahr wirklich groß. Irgendwas läuft da verkehrt, und alle sind verunsichert.

 

Nachweislich war die deutsche Bevölkerung vor und während seiner Einführung mehrheitlich gegen den Euro. Dies hatte sich zwar, als Deutschland in den ersten Jahren mit der Gemeinschaftswährung aus seiner Dauerkrise herausgekommen ist, etwas gebessert. Einige Umfragen weisen zeitweise gar eine leichte Mehrheit für den Euro aus, die mit der Finanzkrise freilich wieder abhanden gekommen ist. Inzwischen seit zweieinhalb Jahren Eurokrise. Elend und politische Unruhen in den „Urlaubsländern“. Die „Südländer“ überschuldet, und „wir“ müssen ein ums andere Mal für sie zahlen. Dieses Medienbild aus Ideologie und unbestreitbaren Tatsachen erreicht ein Volk von Pauschaltouristen, die nie etwas Anderes gehört haben, als dass die Kellner vom Mittelmeer irgendwie an unser Geld kommen müssen.

Die Deutschen haben gern am Mittelmeer Urlaub gemacht; sie sind stets wiedergekommen. Und einmal, die Besserverdiener sogar zweimal – im Monat sind sie zu „ihrem“ Griechen – oder Italiener – gegangen und waren irgendwie stolz, mit Handschlag persönlich begrüßt zu werden. Alles prima! Leistung und Gegenleistung. Doch urplötzlich, wie vom Himmel gefallen, läuft da etwas aus dem Ruder. Die ganz große Abzocke. So haben wir aber nicht gewettet. Normalerweise ein Fall für einen gesalzenen Beschwerdebrief an TUI oder Alltours. Und wenn die nicht sputen, wird eben das TV-Verbrauchermagazin eingeschaltet oder sofort die Bildzeitung. Dann fluppt das schon. Aber jetzt?! Die Bildzeitung haut zwar mächtig auf den Putz, aber Machen kann die irgendwie auch nichts.

 

Diese Wehrlosigkeit. Ohnmacht macht wütend. Eingebrockt haben uns das alles die Politiker. Die wollten ja unbedingt den Euro, wir doch nicht. Der Rösler sagt, und die CSU-Bayern sagen, man sollte all diese Kostgänger jetzt einfach rausschmeißen. Bei den Griechen wäre das gar nicht mehr ganz so gefährlich. Die ganz Wütenden und / oder die ziemlich einfach Gestrickten schreien: „Genau!“ Viele Andere spüren, dass man das, was bei den Griechen vielleicht gar nicht mehr ganz so gefährlich wäre, bei den Spaniern und erst recht bei den Italienern vielleicht doch besser lassen sollte. Dadurch wird die Ohnmacht eher noch größer und die Wut auch nicht kleiner. Scheiß Politiker! Die Südländer – faule Schlitzohren. Die Banker und Spekulanten – die Schlimmsten von Allen.

Aber die Politiker haben uns das alles eingebrockt. So oder so ähnlich denken sie sich das, die Deutschen, die nicht nur allgemein verunsichert sind, sondern im besonderen keine Lust darauf haben, wegen diesem schwer durchschaubaren Kram ihr mühsam erarbeitetes Reihenhaus zu verlieren. Gut, im Moment sind die Zinsen zwar niedrig. Das nützt aber nicht viel, weil die Kredite noch ein paar Jahre lang laufen, die Zinsbindung also gilt. Doch wie sieht das Alles bloß in ein paar Jahren aus?! Man darf gar nicht dran denken… Transferunion, Bankenunion, Schuldenunion – der Fernsehzuschauer weiß, dass diese Wörter nicht nur die Experten etwas angeht. Er weiß, dass in Griechenland, in Spanien und in anderen Südländern die Party wirklich vorbei ist. Die können ihre Schulden nicht bezahlen.

 

Also sollen wir die jetzt übernehmen, denkt sich der kleine Mann im Reihenhaus, von dem er sagt, dass es ihm gehöre, dass aber genau genommen immer noch zu mehr als der Hälfte der Bank gehört. Doch wenn wir die übernehmen, die Schulden der Anderen – und wie soll er das Wort von der Schuldenunion sonst verstehen? – dann wird es uns in ein paar Jahren genauso ergehen wie denen. Und damit das nicht so läuft, hofft er, dass das Bundesverfassungsgericht am 12. September entscheiden wird, dass das verboten ist. Verfassung und so. Das Grundgesetz lässt den ESM nicht zu; wir dürfen nicht für Andere haften. Das wäre schon einmal eine Sorge weniger. Mehr nicht, schon klar; denn er ist ja nicht blöd, der kleine Besitzer des Reihenhauses, das genau genommen der Bank gehört.

Schon klar, dass danach andere Sorgen kommen. Vielleicht wackelt dann sogar der Arbeitsplatz. Man weiß es doch nicht! Deshalb: eins nach dem Anderen. Ruhe bewahren! Diese Verunsicherung ist furchtbar. Und diese Eurokrise oder Schuldenkrise oder Finanzkrise – Mann, was sind wir die leid! Man kann es doch nicht mehr hören. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende! Danach sollen die Politiker mal sehen. Die haben uns schließlich den ganzen Schlamassel eingebrockt. Das Ende mit Schrecken, das erledigt jetzt das BVerfG. Die urteilen erstens streng nach Recht und Gesetz und haben zweitens keine Scheu davor, auch einmal Dinge anzuordnen, die angeordnet werden müssen. Den Rest kann dann die Merkel machen. Die hat wenigstens schon mal gesagt, dass Deutschland zwar stark sei, man es aber nicht überfordern dürfe.

 

Das klingt vernünftig, und deshalb vertrauen die Deutschen ihrer Kanzlerin wie keinem anderen Politiker. Alles mit Maß und Ziel! Mal sagt sie, wie die Griechen sind. Mal sagt sie, dass sie für den Euro Alles tun würde. Das ergibt zwar offensichtlich keinen Sinn, entspricht aber schon auch den Empfindungen der großen Mehrheit. Und wenn man dies so oder so ähnlich „seinem“ Griechen erzählt, ist es möglich anzunehmen, sich nicht daneben benommen zu haben. Sicher, die Merkel ist eine Politikerin. Wirklich vertrauen kann man auch ihr natürlich nicht. Aber dafür haben wir ja das Bundesverfassungsgericht. In diesen unsicheren Zeiten, wo jeder rote Linien zieht, um anschließend drüber zu treten, braucht der Mensch, jedenfalls der deutsche Mensch, einen Fixpunkt, dem er sozusagen blind vertrauen kann.

Also dem Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe ist so eine Art Gott. Dagegen kann man sowieso nichts machen. Gut so! Es wird Zeit, dass Ruhe in die Sache reinkommt. Insofern ist es schade, dass das Urteil am 12. September nicht etwa zu einer Beruhigung, sondern zu noch größeren Turbulenzen auf den Finanzmärkten und in der Finanzpolitik führen wird. Egal, wie es ausfällt. Ich weiß nicht, was das BVerfG für Recht erkennen wird. welche Folgen die verschiedenen denkbaren Urteile nach sich ziehen könnten. Ich weiß nur, dass diese Entscheidung, egal wie sie ausfällt, ganz erhebliche Auswirkungen auf die deutsche, europäische und internationale Politik haben wird. Die Eurokrise ist am 12. September nicht zu Ende; sie geht dann erst richtig los. Heute in vier Wochen…

Die mobile Version verlassen