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Mit der Crowd zum Buch: Kraut Publishers – ein besonderer Verlag

Auf dem Kölner stART-Together, bei dem es um das Thema Crowdfunding ging, stellte sich auch der Verlag Kraut Publishers vor. Das „unternehmerische Experiment“ versucht einen neuen Weg für die Veröffentlichung von Sach- und Fachliteratur zu gehen. Xtranews hat sich mit Andrea Kamphuis, Mit-Gründerin des Verlags, über Crowdfunding, die Zukunft der Verlage und den Prozeß des Crowdpublishings unterhalten. Das Interview führte Christian Spließ.

XTRANEWS: Was war für euch der Anstoß Kraut Publishers, dieses unternehmsähnliche Experiment wie ihr es selbst bezeichnet, zu gründen?

Andrea Kamphuis: Wir drei sind seit vielen Jahren als freie Publizisten unterwegs und haben uns irgendwie die Fähigkeit bewahrt, bei aller Begeisterung für Kultur und Bücher auch die irrationalen, weder ökologisch noch ökonomisch nachhaltigen Seiten der Buchbranche wahrzunehmen. Michael Köhler und ich mussten während unserer Amtszeit als Vorsitzende des Verbands der freien Lektorinnen und Lektoren feststellen, dass nicht nur viele Verlage unkreativ mit der Branchenkrise und den Folgen der Digitalisierung umgingen, sondern auch viele freie Kolleginnen und Kollegen auf die Umwälzungen starrten wie das Kaninchen auf die Schlange.

Anfang 2010 hat dann der Argon Verlag den mutigen Versuch gestartet, ein Cory-Doctorow-Hörbuch von Fans vorfinanzieren zu lassen und unter einer Creative-Commons-Lizenz freizusetzen, obwohl es zu der Zeit noch gar keine richtige Crowdfunding-Szene in Deutschland gab. Das Experiment misslang; die erforderlichen 9.000 Euro kamen in der sehr kurzen Finanzierungsfrist von drei Wochen nicht zusammen. Aber die Diskussionen rund um das Projekt zeigten, dass viele Leute die Idee pfiffig fanden. Aus unseren Gesprächen über mögliche Gründe für das Misslingen erwuchs der Wunsch, es selbst einmal auszuprobieren.

XTRANEWS: Warum ist die Zeit reif für Crowdpublishing?

Andrea Kamphuis: So wie bisher geht es einfach nicht weiter – zumindest für mich nicht. Ich bin es leid, seit über 25 Jahren mit erbärmlichen Übersetzungs-, Lektorats- und Autorenhonoraren abgespeist zu werden, weil die Verlage es nicht schaffen, rechtzeitig vor ihren Investitionen zuverlässig abzuklären, ob da draußen überhaupt ein tragfähiger Bedarf für das eine oder andere Buch besteht und wie man an die potenziellen Leser herankommt. Dass freie Mitarbeiter die Flops der Verlage subventionieren, ist ein Unding. Mit dem Social Web stehen den Verlagen viele Möglichkeiten offen, ihre Produkte besser auf die Bedürfnisse der Käufer abzustimmen und Menschen für gute Bücher zu begeistern. Doch stattdessen wälzen viele Verlage die Kommunikation mit den Lesern und die Bewerbung des fertigen Buchs auf ihre Autoren ab, und ihre Übersetzer sollen oft nebenbei noch die Herstellung übernehmen, sich mit freien Lektoren abstimmen, Scouts spielen oder Lesungen organisieren – ohne dass sich diese Zusatzleistungen in den Honoraren niederschlügen.

Kein Wunder, dass die Kreativen auf die Idee kommen, sich mit ihren Lesern kurzzuschließen und die Mittelsmänner auszuschalten, die sich durch dieses massive Outsourcing beinahe schon überflüssig gemacht haben. Andererseits hat nicht jede Autorin und jede Übersetzerin Lust, selbst faire und juristisch saubere Deals mit der Leserschaft auszuhandeln. Es gibt durchaus Bedarf an Vermittlern, die beide Seiten zusammenbringen. Und seit kurzem gibt es auch die nötigen Tools für den Gedankenaustausch und die finanziellen Transaktionen. Angelsächsische Crowdpublishing-Plattformen wie Unbound oder Unglue.it zeigen, dass es geht.

XTRANEWS: Crowdfunding ist eher geeignet um einzelne Projekte anzustoßen, ein Verlag hat aber in der Regel ja laufende Kosten. Wie genau wollt ihr die gegenfinanzieren? Habt ihr Fördergelder beantragt oder seid ihr für den Verlag an eure Sparschweine gegangen?

Andrea Kamphuis: Fördergelder haben wir nicht beantragt. Die Unterstützer von Crowdfunding-Projekten kennen und akzeptieren es, dass ein gewisser Prozentsatz ihrer Beiträge – etwa zehn Prozent – in die laufenden Kosten fließt. Das wird natürlich nicht reichen, und solange die Crowdfunding-Bewegung in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, ist es auch unrealistisch, alle mit dem Betrieb eines Verlags verbundenen Kosten in die Zielsummen einzurechnen. Dann müssten wir pro Buch etwa 35.000 bis 40.000 Euro statt 20.000 Euro einsammeln. Also erledigen wir vorerst vieles selbst. Sich selbst auszubeuten fühlt sich immer noch besser an, als von anderen ausgebeutet zu werden. 😉

Wir haben 6.000 Euro in unsere UG (haftungsbeschränkt) gesteckt und rechnen damit, dass wir noch etwas nachschießen müssen. Nächstes oder übernächstes Jahr ziehen wir eine Zwischenbilanz: Ist die Crowdfunding-Szene dann reif für höhere Summen, sodass sich die Projekte ohne Selbstausbeutung tragen? Und ist die Crowdfunding-Idee auch im Bildungsbürgertum angekommen, das eher bereit sein dürfte, für gute Bücher anständig zu bezahlen, oder herrscht dort immer noch die heute verbreitete Skepsis gegenüber diesem „anonymen Internet“ vor? Wenn die Bilanz negativ ausfällt, beenden wir das Experiment. Mit Mitte 40 bzw. Mitte 50 sind wir zwar abenteuerlustig genug, eine faire, zeitgemäße Art des Verlegens zu erproben, aber wir werden uns deswegen nicht in hohe Schulden stürzen.

XTRANEWS: Wie darf man sich den ganzen Prozeß vorstellen: Jemand entdeckt also, dass es einen Autor gibt der in den USA ein Buch in einem Verlag über Netzsoziologie veröffentlicht hat und meldet das euch – und was genau passiert dann?

Andrea Kamhuis: Wir würden das Buch zunächst selbst lesen, um zu prüfen, ob es in unser Verlagsprofil passt – platt gesagt: ob es uns gefällt, ob wir es gesellschaftlich nützlich finden und ob wir die Nische für groß genug halten. Dann treten wir an den Rechteinhaber heran, also den Originalverlag und/oder den Autor, und handeln mit ihm ein Vorkaufsrecht aus: Wir signalisieren Interesse am Erwerb der Lizenz, möchten dies aber von einer Mindestzahl an Subskriptionen abhängig machen. Kommt diese innerhalb einer Frist von beispielsweise einem halben Jahr nicht zusammen, gibt es keinen Deal. Für diese Reservierung müssen wir u. U. eine kleine Gebühr anbieten, aber da wir ohnehin keine Chance haben, mit den großen Hunden zu pinkeln, wird es um kleine Summen gehen: Die Titel sind mindestens ein, zwei Jahre alt, und kein anderer deutscher Verlag wollte sie ins Programm aufnehmen.

Dann wird das Buch auf der Kraut-Publishers-Plattform vorgestellt und von potenziellen Lesern und Käufern diskutiert. Bei Bedarf holen wir außerdem Expertenmeinungen ein. Wenn es auf Interesse stößt, geht es in die Subskription: Die Interessenten bestellen je mindestens ein Exemplar vor und geben Bezahlversprechen mindestens in Höhe des Subskriptionspreises ab. Kommt die Summe zusammen, die für die Rechte, die Übersetzung und weitere Projektkosten nötig ist, erwerben wir Lizenz und beauftragen eine Übersetzerin oder einen Übersetzer. Lektorat und Satz werden wir vorerst selbst erledigen. Die Werke werden zunächst gedruckt und – wenn unsere Kräfte es zulassen – später auch als E-Books erscheinen. Die Subskriptionsexemplare und einige Rezensions- und Lagerexemplare stellen die Startauflage dar, die auf einen Schlag gedruckt wird. Die weitere Nachfrage wird per Print on demand befriedigt.

XTRANEWS: Was besonders mutig ist: Ihr veröffentlicht euren ganzen Business-Plan im Blog. Habt ihr nicht Angst, dass Konkurrenten auf die Idee kommen könnten, eure Idee zu klauen?

Andrea Kamhuis: Angesichts des hohen Anteils an idealistischer Selbstausbeutung bei unserem „Social Business“ dürfte sich die Zahl der Konkurrenten in Grenzen halten. Wenn tatsächlich jemand viel Geld in die Hand nehmen, unsere Idee modifizieren und uns überholen will – schön! Uns geht es darum, das Büchermachen rationaler, zeitgemäßer und fairer zu gestalten. Ob wir das nun vorantreiben oder andere, ist zweitrangig. Wir würden also nicht verzweifeln, sondern die Mitbewerber solidarisch und ggf. kritisch begleiten, Möglichkeiten zur Kooperation suchen oder auf unseren hochgeheimen Plan B oder C ausweichen. 😉

Natürlich kann es bittere Momente geben. Aber nicht umsonst wird oft betont, dass die Chancen neuer Unternehmen auch von den Persönlichkeiten der Gründer abhängen. Wir bilden uns ein, aufgrund unserer Biografien gewisse Vorteile zu haben, die sich nicht so leicht kopieren lassen: Wir sitzen so schön zwischen den Stühlen, mit einer Backe in der herkömmlichen Publizistik und Verlagswelt – und mit der anderen im Social Web, in der Wissenschaft, in den sozialen Bewegungen, in der Blogosphäre. Nur wer beide Welten zusammenbringen kann, wir im Crowdpublishung eine Chance haben.

XTRANEWS: Die Verlagsszene ist momentan im Umbruch: eBooks sind diesmal dank der geeigneten Lesegeräte im Alltag angekommen, das Social Web spielt fürs Marketing eine große Rolle. Gehört kleineren Verlagen, die sich auf Nischen spezialisieren, die Zukunft?

Andrea Kamphuis: Ehrlich: keine Ahnung. Die großen Verlage werden weiterhin das Massen- und Bestsellergeschäft dominieren, einfach aufgrund ihrer Marktstellung und Finanzkraft. Etliche Große starten inzwischen durchaus interessante Experimente, von denen einige einen Weg in die Zukunft weisen werden. Umgekehrt ist längst nicht jeder kleine Verlag beweglich und abenteuerlustig genug, um das Social Web zu erobern. David ist nicht per se besser gerüstet als Goliath. Sicher ist nur, dass es zahlreiche Nischen gibt, die von den Goliaths bislang nicht bedient werden – vielleicht, weil man sie aus luftiger Höhe gar nicht sieht.

XTRANEWS: Was würdet ihr aus dem Scheitern eures Experiments – es kann ja sein dass es nicht funktioniert – lernen und für euren weiteren Weg mitnehmen?

Andrea Kamphuis: Es kann nicht nur sein, es ist sogar wahrscheinlich, dass es nicht funktioniert. Wir probieren es trotzdem. Schon jetzt haben wir viel gelernt: Wie man eine verrückte Idee kollegial diskutiert und zu einem Businessplan weiterentwickelt. Wie man eine Wortmarke anmeldet. Wie man ein Unternehmen gründet. Wie man um Sympathien für ein „Luftschloss“ wirbt, ohne unglaubwürdig zu werden. Was man von der Branchenpresse erwarten darf. Wie man den Kapitalbedarf für ein Buchprojekt ermittelt. Wie die rechtlichen Rahmenbedingungen aussehen (Buchpreisbindung, Verwertungsgesellschaften, Urheberrecht, Steuerrecht usw.). Wie das Lizenzgeschäft funktioniert … theoretisch! Bald werden wir erste Gehversuche im Lizenzgeschäft unternehmen, dabei vermutlich auf die Nase fallen und uns wieder aufrappeln.

Sollten wir zu dem Schluss kommen, dass Crowdfunding zur vollständigen Finanzierung fair honorierter, gut übersetzter, qualitativ hochwertiger Sachbücher nicht ausreicht, gibt es immer noch die Möglichkeit, anderen Verlagen Crowdfunding zur Teilfinanzierung aufwändiger Projekte nahezulegen und ihnen unser Praxiswissen zu offerieren.

Nicht zuletzt haben wir auf der Suche nach geeigneten ersten Veröffentlichungen spannende Texte gelesen, die unser Verständnis für das Internet, das Social Web und die mit ihm verbundenen sozialen Umwälzungen gefördert haben. Allein dafür hat es sich schon gelohnt.

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