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Karlsruhe untersagt der Bundeszentrale für Politische Bildung Kritik an einem wissenschaftlich fragwürdigen Aufsatz


Karlsruhe — Das Bundesverfassungsgericht hat im Meinungsstreit über den Antisemitismus der Deutschen während der NS-Zeit die Bundeszentrale für politische Bildung zu mehr „Ausgewogenheit und rechtsstaatlicher Distanz“ aufgerufen.
Die scharfe Kritik der Behörde an Konrad Löw, einem ihrer Autoren, der behauptet, die Mehrheit der Deutschen sei damals nicht antisemitisch eingestellt gewesen, erklärten die Richter für verfassungswidrig. Die Behörde könne ihre Geschichtsinterpretation nicht als einzig richtige hinstellen, heißt es zur Begründung.
Die Pressemitteilung Nr. 87/2010 vom 28. September 2010 des Bundesverfassungsgerichts trägt die Überschrift:

Herabsetzende Kritik der Bundeszentrale für Politische Bildung an einem wissenschaftlichen Aufsatz zum Thema Antisemitismus verfassungswidrig
Konrad Löw

Zu Beginn heißt es:

Der Beschwerdeführer ist emeritierter Professor der Politikwissenschaft. Im Jahr 2004 erschien ein von ihm verfasster Aufsatz mit dem Titel „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“ in der Zeitschrift „Deutschland Archiv“, die ein privater Verlag im Auftrag der Bundeszentrale für Politische Bildung herausgibt. Der Aufsatz befasst sich u. a. mit der Verbreitung des Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung während der NS-Zeit. Er vertritt die These, dass die Mehrheit der Deutschen seinerzeit nicht antisemitisch eingestellt gewesen sei, sondern mit den verfolgten Juden sympathisiert habe, wobei er unter anderem von einer „deutsch-jüdischen Symbiose unter dem Hakenkreuz“ spricht.

Die Erklärung des höchsten deutschen Gerichts schließt mit den Worten:

Hierbei hat die Bundeszentrale jedoch Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren. Von vorneherein ausgeschlossen sind insoweit jedenfalls öffentliche Äußerungen gegenüber Einzelnen, die allein dem Bestreben dienen, eine behördliche Auffassung, namentlich eine von der Bundeszentrale für richtig gehaltene spezifische Geschichtsinterpretation zur Geltung zu bringen und als einzig legitim oder vertretbar hinzustellen.
Hiervon ausgehend ist vorliegend nicht ersichtlich, dass das Schreiben der Bundeszentrale den ihr einzuräumenden Einschätzungs- und Handlungsspielraum wahrt und als nach den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderliche und angemessene Reaktion auf den Artikel des Beschwerdeführers angesehen werden kann. Weder hinsichtlich der Ankündigung der Makulierung noch hinsichtlich der Entschuldigung für eine etwaige Verunglimpfung ist erkennbar, dass diese von dem legitimen Zweck gedeckt sein können.

Beschluss vom 17. August 2010
– 1 BvR 2585/06 –

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