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Endlich Muttertag: NRW wählt

Wann ist wieder Muttertag?

Image by Markus Merz via Flickr

 

Endlich, der 9. Mai 2010. Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Kann man heute, soll man heute, darf man heute auch nur daran denken, über etwas anderes zu schreiben, will heißen: sich Gedanken zu machen, als über diese wichtigste Wahl seit …, ja – vielleicht sogar seit dem 27. September 2009?!
Für diejenigen, die sich nicht mehr so ganz genau an dieses Datum erinnern können: das war der Tag der Bundestagswahl. Die SPD holte sich die schlimmste Packung seit Bestehen der Bundesrepublik ab. Die FDP feierte ihren größten Erfolg. Bundeskanzlerin Merkel konnte ihre „bürgerliche“ Wunschkoalition bilden. Guido Westerwelle wurde Außenminister und versprach die „geistig-politische Wende“. Die Freiheit feierte einen eindrucksvollen Sieg über den Sozialismus, will sagen: endlich konnte man damit beginnen, all das, was unter Kohl liegen geblieben war, und all das, was Rot-Grün schon allein aus ideologischen Gründen nicht in den Kram gepasst hatte, und natürlich auch das, was die Sozis in der Großen Koalition blockiert hatten, anzupacken.
Genauer gesagt: man hätte damit beginnen können, wenn nicht – manchmal pfuscht halt der Genosse Zufall ungefragt in den Lauf der Geschichte hinein – dieser blöde Tag heute im Kalender gestanden hätte. Hat er aber, dieser 9. Mai 2010, diese verflixte Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Und deshalb, ja genau deshalb, konnte man leider (noch) nicht damit beginnen zu tun, was eigentlich getan werden muss. Denn wenn diese NRW-Wahl in die Hose gehen sollte, wäre das ganze schwarz-gelbe Projekt im Eimer, bevor es begonnen hätte – wegen der Mehrheit im Bundesrat, die dann futsch wäre.
Also musste die „geistig-politische Wende“ verschoben werden, erstens weil die Leute zwar die Sozialdemokraten leid waren, aber für einen Abschied von der Sozialdemokratie nicht im geringsten zu haben wären, und zweitens, weil Geduld die höchste Tugend des Revolutionärs ist, wie schon Lenin bemerkte. Folglich verzichtete man auf die Revolution und umständehalber somit gleich aufs Regieren schlechthin, ohne jedoch das Volk wissen zu lassen, dass es ab dem 10. Mai 2010, also nach der NRW-Wahl, das Fell dermaßen über die Ohren gezogen bekommen wird, dass es sich nur so gewaschen hat. Eine in der Sache recht unproblematische Mitteilung, weil das Volk ja am 27. September 2009 sehr deutlich seinen Wunsch nach einer „geistig-politische Wende“ zum Ausdruck gebracht hatte.

Entschuldigen Sie! Ich weiß, Sie wissen das alles schon. Ich hielt es nur für nützlich, diese Allerweltsgeschichte in ihrer in der Tat revolutionären Banalität noch einmal kurz zusammenzufassen. Denn heute ist doch diese Landtagswahl, und ihr Ergebnis bleibt einfach unerklärlich ohne den Verweis auf die bemerkenswerte Blödheit der neoliberalen Protagonisten.
Und Sie wissen, genauso gut wie ich, wie das Ergebnis dieser vermeintlich oder tatsächlich bedeutendsten Landtagswahl aller Zeiten aussehen wird. Ich jedenfalls verfolge die Geschichte der Landtagswahlen seit knapp vierzig Jahren und kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass schon einmal um einen regionalen Urnengang solch ein Bohai gemacht worden wäre.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Landtagswahlen hatten und haben (fast) immer auch eine bundespolitische Bedeutung. Und insbesondere die NRW-Wahlen gelten seit jeher als "kleine Bundestagswahl". Hier wurde in den sechziger Jahren die Große Koalition ebenso eingeläutet wie in den Neunzigern die rot-grüne, die beim letzten Urnengang vor fünf Jahren ihren Todesstoß erhielt.
Dass Schwarz-Gelb jedoch schon nach einem halben Jahr, also ehe man begonnen hat, Politik zu machen, an Rhein und Ruhr scheitert, stellt eine gewisse Besonderheit dar. Eine Verkettung glücklicher Umstände: die erste Landtagswahl nach der Bundestagswahl als „traditionelle Denkzettelwahl“, das erwähnte Zaudern mit den damit einhergehenden, peinlichen öffentlichen Begründungen und schließlich das Desaster im Übertragen dieser „Öffentlichkeitsarbeit“ in die Sphäre der realen Politik.
In dem als „Griechenlandkrise“ bekannt gewordenen zweiten Akt der internationalen Finanzkrise führten Merkel, Westerwelle & Co. zunächst ihre Provinzposse „Warten auf den Muttertag“ auch auf der internationalen Bühne auf. Dort jedoch fand der daheim ach so beliebte Schwank überhaupt keinen Beifall, so dass das derbe Volksstück mit den knallharten Sprüchen über die Mentalität der Südländer schließlich abrupt abgesetzt werden musste.

Wenn soviel zusammenkommt, passiert etwas, womit unter normalen Umständen wirklich kaum zu rechnen ist: die Leute spüren, dass sie auch in grundsätzlichen Fragen an der Nase herumgeführt werden, dass sie vom Krisenmanagement der Regierenden gravierend betroffen, ihre (Wahl-) Rechte jedoch allenfalls als Störpotenzial wahrgenommen werden.
Und darum steht das NRW-Wahlergebnis bereits fest, bevor die Wahllokale öffnen – jedenfalls in Hinblick auf seine politische Substanz. Schwarz-Gelb wird abgewählt – in NRW. Rüttgers Club hat fertig, und das Entscheidende: Merkel und Westerwelle können nicht einmal damit beginnen, das zu tun, was ihres Erachtens getan werden müsste. Es ist vorbei, ein ziemlich abruptes Ende noch vor dem Anfang.
Entschuldigen Sie! Ich weiß, Sie wissen das alles schon. Aber weil Sie von allen Seiten zugetextet werden mit Kommentaren über die angebliche „Hochspannung bis zur letzten Minute“, dem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen und dem folglich absolut offenen Wahlausgang habe ich mit erlaubt, das bereits feststehende politische Resultat der heutigen Abstimmung kurz in Erinnerung zu rufen.
Alles andere, also die Details des heutigen Wahlgangs, sind dagegen vergängliche Episoden der Provinzposse „Muttis Muttertag“. Es ist vorbei, Mutti hat fertig, die „geistig-politische Wende“ wird abgesagt. Merkel wird in ihrer Familie reichlich Ärger bekommen; es wird Vorschläge geben, die Mutti von der ein oder anderen Aufgabe etwas zu entlasten.
Doch richtig dicke wird es für Westerwelle kommen. Der revolutionäre Rotzlöffel hat ausgedient. Es ist Muttertag. Endlich, am 9. Mai 2010. Die politische Pause in Deutschland ist beendet, die Bundestagswahl annulliert, Westerwelle erledigt. Ein Prosit der Gemütlichkeit in diesen ungemütlichen Zeiten!

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