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Es ist einfach eine Frage der Zeit

German infantrymen practice building clearance...

Image via Wikipedia

Die Anzahl der Verkehrstoten gibt Aufschluss über den Grad der Zivilisation. Die Anzahl der Kriegstoten tut es nicht; denn Krieg ist immer mit einer Regression, wenn nicht gar einem Zusammenbruch der Zivilisation verbunden. 4160 Todesopfer hatte der Straßenverkehr im Jahr 2009, ein Rückgang um 7,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl ist seit Jahren stetig rückläufig; abermals wurde der niedrigste Stand seit Einführung der amtlichen Statistik erreicht. Es läuft hierzulande gut mit der Zivilisation. Nur noch gut elf Verkehrstote im Tagesdurchschnitt; das kann sich auch international sehen lassen.

Es ist freilich nicht zulässig, die Zahl der deutschen Verkehrstoten mit der Zahl der deutschen Kriegstoten zu vergleichen. Erstens weil es moralisch immer problematisch ist, Menschenleben in Relation zueinander zu setzen; und zweitens, weil viel mehr Menschen in Deutschland im Auto unterwegs sind als Deutsche in Afghanistan im Panzerwagen. Anders ausgedrückt: aus ethischen Gründen denken wir in Prozenten.
Letzten Freitag (Karfreitag) sind drei deutsche Soldaten in Afghanistan gefallen. Damit hatte sich die Zahl der dort gewaltsam ums Leben gekommenen deutschen Soldaten und Polizisten auf 25 erhöht. Weitere 17 Uniformierte sollen unter „nicht feindseligen Umständen“ umgekommen sein. 25 Kriegstote in gut acht Jahren, das sind drei pro Jahr, das bedeutet: die ansonsten jährliche übliche Opferzahl ist am letzten Freitag an einem einzigen Tag zu verzeichnen gewesen.
Es steht zu befürchten, dass es bei den durchschnittlich drei Gefallenen pro Jahr bleiben wird. Die drei Toten vom letzten Freitag erscheinen da gleichsam als ein bitteres Signal. Und doch kommt einem die Zahl „Drei“ mickrig vor, weil wir doch wissen oder zumindest ahnen, wie viele Menschen täglich auf Deutschlands Straßen ihr Leben lassen, und weil wir gar nicht daran denken wollen, wie viele Kinder in Deutschland auch außerhalb des Straßenverkehrs gewaltsam zu Tode kommen, in etwa zwei Drittel dieser Fälle übrigens durch die eigenen Eltern.

Noch einmal: der Tod eines Menschen ist durch nichts zu relativieren. Doch von eben solcher Relativierung „lebt“ ein jeder Krieg. Wer Krieg führt, muss die eigenen Opferzahlen kalkulieren und sie in Relation setzen zu seinen Kriegzielen. Der auf Anregung des Verteidigungsministers amtlich inzwischen „kriegsähnlich“ genannte Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan kann, wie zu Guttenberg inzwischen in Absprache mit Kanzlerin Merkel einräumt, „umgangssprachlich als Krieg bezeichnet“ werden.
Man muss kein Militärexperte sein, um zu wissen, dass ein Krieg gegen eine Guerilla am Hindukusch nicht zu gewinnen ist. Umso erstaunlicher ist es, dass ausgewiesene Militärexperten als Reaktion auf den Tod der drei Soldaten eine bessere Ausbildung und Ausstattung der Truppe fordern. Während der scheidende Wehrbeauftragte Reinhold Robbe sich scheinbar auftragsgemäß mit der Ausbildung begnügt, verlangen Ex-Militärs wie bspw. der ehemalige Generalinspekteur Harald Kujat recht unverblümt den Einsatz von Kampfhubschraubern, "die Infanterie im Moment die Achillesferse des Afghanistan-Einsatzes" sei, wie der Bundeswehrverband anmerkte. Bei „Zeit Online“ erfahren wir, dass auch
das Verteidigungsministerium "Ergänzungsbedarf bei Hubschraubern" ein(räumt). "Der mittlere Transporthelikopter NH90 und der Kampfhubschrauber Eurocopter "Tiger" sind bestellt, aber leider noch nicht einsatzfähig", sagte Staatssekretär Christian Schmidt (CSU). Zugleich stellte er den Nutzen von mehr Kampfhubschraubern infrage: "Was helfen uns mehr Kampfhubschrauber, wenn sich die Taliban in Häusern mit Familien und Kindern verschanzen?"

Nach allem, was wir wissen, sind die gefallenen Bundeswehrsoldaten bei der Minensuche aus dem Hinterhalt beschossen worden. Hätten da Kampfhubschrauber wirklich helfen können? Von „Luftunterstützung“ spricht Kujat – dummerweise in denselben Nachrichtensendungen, in der Ausschnitte aus dem Wikileaks-Video gezeigt wurden, und in denselben Zeitungen, die über die Bilder von den getöteten Journalisten berichteten.
Die im Video zu vernehmenden widerwärtigen Sprüche der US-Boys vermittelten den – allerdings unzutreffenden – Eindruck, als seien hier blutrünstige Sadisten pervers auf Menschenjagd gegangen. Gleichzeitig wird die Trauer um die gefallenen Deutschen von Vorwürfen an die politische und militärische Führung begleitet, „unsere Jungs“ ohne Luftunterstützung in den gefährlichen Minenräumeinsatz zu schicken. Da erscheint die Forderung nach Kampfhubschraubern als das Selbstverständlichste der Welt.
Obwohl ein und dieselbe Zeitung, ein und dieselbe Nachrichtensendung: die meisten Leser bzw. Zuschauer dürften die beiden Meldungen nicht in einen Zusammenhang gebracht haben. Der etwas nachdenklichere Rest muss sich mit der unterschwelligen Suggestion begnügen, dass die Amis nun einmal Killer sind, während „Unsere“ mit einer Lufthoheit schon verantwortungsbewusst umzugehen wüssten – so als habe es das Massaker von Kunduz nie gegeben.
Ganz abgesehen davon: dass die drei toten Soldaten jetzt für eine Forderung nach „besserer Ausrüstung“ herhalten müssen, soll den Eindruck erwecken, als sei es möglich, die Opferzahlen zumindest stark zu minimieren, wenn nur die „Ausrüstung“ stimme. Die Veranstaltung, die umgangssprachlich „Krieg“ genannt wird, „lebt“ aber von den Toten. Es gibt Bier ohne Alkohol, aber es gibt keinen Krieg ohne Tote. Wer das weiß und Kampfhubschrauber fordert, will den Eindruck erwecken, unter der Bedingung der Lufthoheit gäbe es weniger Tote bei der Bundeswehr, dafür aber mehr unter den Taliban.

Wer das glaubt, hat weder Ahnung vom Hindukusch noch vom Guerillakrieg. Der Krieg in Afghanistan wird nicht erst verloren; er ist bereits verloren. Die Antwort auf die Frage, wie viele – auch deutsche Soldaten – noch sterben müssen, hängt weniger von der Ausrüstung der Truppe als von der Dauer des Krieges ab. Es ist einfach eine Frage der Zeit.

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