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Durchatmen, wenn es um Sexismus geht?

Quelle: privat

Dass die Schlagerszene auf Mallorca eine – etwas speziellere – ist, könnte man mindestens bei der letzten Ausgabe der „Aires-Ski-Mallorca-Super-Hits“ mitbekommen haben. Man muss es nicht mögen und kann es ignorieren. Außer, wenn ein Ballermannhit auf Platz Eins der Charts steht und Städte schon darum bitten, den Song nicht auf Stadtfesten zu spielen. Denn dann ist der Begriff „Cancel Culture“ schnell bei der Hand und im Mund von Politiker*innen. Wie dem von Sören Link.

Ich denke zwar persönlich bei dem Lied “Layla“ vorallem an den großartigen Song von Eric Clapton und finde den aktuellen Ballermann-Hit auch nicht übertrieben gut, aber diese scheinheilige Cancel- Culture-Debatte nervt schon ein wenig.

Es gibt eine Menge Songs mit potentiell „schlimmeren“ Inhalten. Wer solch einen engen Maßstab anlegt, dessen Party-Playlist dürfte vermutlich sehr kurz sein.

Mal ruhig durchatmen und nicht nur Toleranz predigen, sondern auch mal tolerant sein.

Leute, hier geht es um einen Party-Hit, der keine ernsthaften Inhalte vermitteln will.

Facebook-Fanpage von Sören Link, 13.07.2022, zuletzt aufgerufen um 18:00 Uhr.

Rollen wir das Ganze mal von hinten auf: „Layla“ sei ein Party-Hit, der keine ernsthaften Inhalte vermitteln will. Stimmt zwar, aber vielleicht sollte man das Atmen mal sein lassen und seinen Kopf einschalten. Wenn ein solcher Text auf Platz Eins der Charts ist, dann identifizieren sich eine Unmenge von Leuten mit ihm. Manchmal liegt es auch eher an der Melodie – Ballermann-Hits bedienen sich gewisser Schemata, die leichtes Mitsingen ermöglichen – aber klammheimlich freut man sich natürlich auch über einen gewissen Tabu-Bruch. Endlich kann man als Macho mal wieder ungehemmt mitsingen, wenn es darum geht Frauen als Ware zu betrachten. Dieses „Me too“ ging einem ja eh immer schon auf den Sack, also kann man erleichtert aufatmen und den Song auch als Protestlied gegen die Herabsetzung von Frauen begreifen. Es ist natürlich auch die Freude am Zwiespältigen, am Wortspiel, die Ballerman-Hits so populär machen. Vordergründig geht es bei den „10 nackten Friseusen“ um das Haupthaar, aber natürlich wissen wir alle, was Micky Krause wirklich gemeint hat. Das macht diesen Hit übrigens auch nicht viel besser.

Generell wird jetzt versucht abzulenken. Die Songtexte mancher Rapper oder Hip-Hopper seien ja auch genauso schlimm, warum bitten Städte also nicht darum, diese Songs nicht auf Stadtfesten zu spielen? Erstens: Ja, es gibt furchtbare Texte in den Genres. Das macht diese aber nicht schlimmer oder besser als einen Text, der auf deutsch verfasst wurde, der so produziert ist, dass er perfekt in den Mainstream passt. Sicher: Hip-Hop und Rap und Metal und und und sind nicht unbedingt mehr Nische. Zweitens: Aber sie treffen nicht in das musikalische Zentrum des deutschen Bundesbürgers per se. Wer sich darüber wundert, dass ein Format wie der „ZDF Fernsehgarten“ immer noch funktioniert – und wer sich mal anschaut, was und wer da auftritt am Sonntag-Morgen – der vergisst, dass im Grunde aller Rebellion immer auch der Spießbürger lauert. Drittens: Natürlich gab und gibt es eine Debatte über frauenfeindliche Texte im Hip-Hop und im Rap. Sie ist aber nicht so sexy wie die aktuelle, weil sie in Kulturmagazinen wie „Aspekte“ oder im Feuilleton geführt wird und wurde. So sehr sich die Fangemeinde auch für bestimmte Genres vergrößert haben darf: Sie bestimmen nicht die Debatte, weil sie nicht für den Mainstream interessant sind. Sie finden aber statt.

Sprachliches Gift in kleinen Dosen

Gerade als Politiker*in sollte man wissen, wie und wann Sprache wirkt. Viktor Klemperer schreibt in LTI sinngemäß, dass Sprache minimal vergiftet werden kann. Je mehr man von diesen kleinen Giftmengen zu sich nimmt, desto mehr nimmt man bestimmte Haltungen und Meinungen an. Dass auch der Talmud schon mahnt, man sollte auf seine Gedanken achten, aus denen Worte und dann Handlungen entstehen, wird Klemperer vermutlich gewusst haben. Und der Penetrationseffekt zeigt auch: Je öfter wir etwas sehen, desto öfter bleibt auch etwas hängen.

Es ist daher verwunderlich, dass Sören Link etwas von „durchatmen“ schreibt. Ich kann da nicht durchatmen, wenn Millionen von Menschen ständig einen Text mitsingen, der eine Frau als Ware begreift und beschreibt. Wer mit Dreck wirft, an dem bleibt etwas hängen. Wer ständig über die Frau als Ware singt, wird irgendwann genau so denken. Auch, wenn natürlich man noch andere Dinge im Leben sagt, tut und macht – irgendwas bleibt hängen. Sexismus und Diskriminierung sollten aber nicht hängenbleiben, sondern wenn sie auftreten und klar erkennbar sind, dann muss gegen sie vorgegangen werden. Die Bitte – ja, es ist eine Bitte, da wird nichts „gecancelt“, abgeschafft, zensiert oder sonstwas – von Städten, den Song nicht auf Stadtfesten zu spielen hat ihre Berechtigung. Leider haben die Städte wohl noch nie was vom Streisand-Effekt gehört, der unweigerlich dazu führen wird, dass gerade JETZT als „Widerstand gegen die Wokeness-Kultur der Gegenwart“ dieser Song gespielt werden wird. Andererseits: Es geht vielleicht auch nicht anders.

Verwunderlich ist auch, dass die Stadt Duisburg generell in der aktuellen Werbekampagne für die Stadt sich als „offen und tolerant“ begreift. Poppers Toleranzparadoxon müsse bekannt sein. Wir müssen uns abgrenzen können und dürfen. Ob uns persönlich gewisse Dinge nicht gefallen sei dahingestellt, aber gerade wenn wir eine offene Gesellschaft wollen, muss diese auch mit einer gewissen Wehrhaftigkeit verteidigt werden. Entweder ich bin für eine Gesellschaft, in der Menschen aller Facon gleich behandelt werden oder ich bin es nicht. Entweder ich hänge die Regenbogenflagge beim CSD ans Rathaus oder ich rede von einer sogenannten „Cancel Culture“ – der Begriff ist auch an sich schon problematisch genug, der kommt nämlich aus einem bestimmten Lager. Scheinheilig ist da nichts.

Sexismus ist Sexismus ist Diskriminierung

Hänge ich das ganze zu hoch auf, wird sich der Eine oder Andere fragen. Muss man das überdramatisierten? Es ist doch nur ein … Nein. Es ist nicht „nur ein“. Das Argument von „Es ist doch nur ein …“ lässt sich als Entschuldigung für jede Diskriminierung einsetzen. Das macht Diskriminierung nicht besser. Eher noch schlimmer. Es zeigt ja, dass da schon gewisse Dinge ihre Wirkung offenbaren. Wenn ich versuche einen sexistischen Text damit zu rechtfertigen, dass es „nur Party-Song“ sei, dann blende ich aus, dass Party-Songs die Masse der Gesellschaft erreichen. Massenkompatible Texte rechtfertigen natürlich keinen Sexismus, Rassismus oder sonstige Diskriminierung. Wenn sie in Party-Stimmung gesungen werden sind sie genauso furchtbar und gräßlich wie wenn sie nüchtern gesungen werden.

Wenn ich also als Oberbürgermeister mit Verantwortung für eine Stadt das Ganze als Lappalie beiseite wischen möchte, kann ich das tun. Ich kann das als persönlcihe Meinung in den Raum stellen. Wobei: „scheinheilige Cancel-Culture“ ist ein so problematischer Begriff, dass ich den als Politiker*in nicht verwenden sollte. Wenn ich etwas auf einer Fanpage poste, ist das jedoch immer auch eine öffentliche Aussage. Wenn ich natürlich im Sommerloch keine besseren Themen habe, kann ich sowas durchaus tun. Ich bin mir sicher heute oder morgen werden längere Artikel nicht in der in der Regionlpresse dazu veröffentlicht werden. Dass ich mich selber an diesem Zirkus beteilige, das ist leider ein notwendiges Übel. Ich weiß dann aber auch: Diese*n Politiker*in sollte ich nur noch mit der Kneifzange anfassen und selbst danach noch gründlich die Hände desinfizieren. Meine persönliche Meinung.

Übrigens habe ich eine sehr lange Party-Playliste, in der kein sexistischer Scheiß zu finden ist.

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