Website-Icon xtranews – das Newsportal aus Duisburg

Eine alternative Leseliste zu Rhein und Ruhr – Teil I

Tim Schanetzky: Endstation Größenwahn – Die Geschichte der Stadtsanierung in Essen-Steele

 

Noch nach den großen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ist in Deutschland viel alte Bausubstanz dem Wiederaufbau und den Flächensanierungen geopfert worden, die dem damaligen Leitbild der „autogerechten Stadt“ und den damit verbundenen radikalen Neuplanungen im Wege stand. Zu den zehn größten Kahlschlagprojekten der Bundesrepublik zählte die (scheinbare) Modernisierung von Essen-Steele, das im Gegensatz zum Essener Stadtzentrum nur verhältnismäßig geringe Bombenschäden zu beklagen hatte. Ein Kleinod aus Fachwerk- und Gründerzeithäusern, vergleichbar mit der erhalten gebliebenen Hattinger Altstadt, wurde für ein brutale Verkehrsschneisen und für eine Handvoll Investorenprojekte geopfert, welche großenteils nicht einmal von langfristigem wirtschaftlichem Erfolg gekrönt waren.

 

Am Anfang stand die systematische Diffamierung des Alten – allzu oft mussten das viel zitierte Außenklo und die bessere „Durchlüftung“ als Argumente herhalten, warum das alte Steele durch eine neue „Investor’s City“ aus Beton und Asphalt ersetzt werden sollte. Das Buch schildert im Detail, wie der Bürger hinters Licht geführt und Proteste durch eine ebenso autoritäre wie politisch verfilzte Stadtverwaltung ignoriert wurden. Bauvorschriften, die als Argument für die Abrissbirne herhalten mussten, spielten plötzlich keine Rolle mehr, wenn es darum ging, Genehmigungen unbürokratisch an die Wünsche der Bauherren anzupassen; in der Stadtverwaltung verschwanden sogar Unterlagen.

 

Ebenso verheerend war unter dem sozialen Aspekt die Vertreibung eines Großteils der eingesessenen Bevölkerung. Im Laufe der Zeit waren es nicht einmal mehr wirtschaftlich nachvollziehbare Erwägungen, sondern Akteure, die sich völlig verrannt hatten und nicht mehr „aus der Nummer rauskamen“, und irrationale Modeerscheinungen wie „Urbanität durch Dichte“ – also die Vorstellung, dass allein stärkere bauliche Verdichtung eine Stadt beleben würde -, die das Projekt immer mehr in die Länge zogen und neben großer Zerstörung letztlich planerisches Chaos und unbefriedigende Lösungen hinterließen, die sowohl der Wohnqualität als auch den Interessen der Geschäftsinhaber letztlich ein Bärendienst erwiesen. Darüber hinaus führte die teure Flächensanierung zu einer immensen kommunalen Neuverschuldung, an der Essen bis heute zu tragen hat.

 

Dieses Buch ist Pflichtlektüre für jeden, der verstehen will, welche Mechanismen dahinter stecken, wenn noch heute Stadtteile gegen den Willen der Bewohner betoniert und asphaltiert werden. Denn aktuelle „Stadtumbau“-Projekte und speziell Duisburger Großplanungen wie das Factory Outlet Center, dem die Zinkhüttensiedlung zum Opfer fallen soll, und der Grüngürtel, für den eine breite Schneise in das alte Bruckhausen geschlagen wurde, folgen teilweise einer ähnlichen Logik. Es ist auf wissenschaftlichem Niveau geschrieben, begnügt sich also nicht mit „flotten“ Parolen, sondern weist im Detail nach, wie gezielte Unwahrheiten unters Volk gestreut wurden, wie die Sozialstruktur eines ganzen Quartiers zerstört wurde und wie nachträglich versucht wurde, sich die überwiegend misslungene Aufwertung von Steele schönzureden.

 

 

 

 

Christoph Brockhaus (Herausgeber): Stadtbild Duisburg – Identität, Wandel und Vision

Im Jahre 1999 gab der damalige Direktor des Wilhelm-Lehmbruck-Museums, Christoph Brockhaus, diese Sammlung aus Historie, Bestandsaufnahme und Zukunftsvision der Stadtentwicklung heraus; und tatsächlich kursiert dieses Buch noch in den Internet-Antiquariaten. Aber lohnt es sich, ein solches über 15 Jahre altes Buch zu lesen, nachdem sich zwischenzeitlich in Duisburg so viel verändert hat?

 

Meine Antwort lautet: Für alle, die an einem lebenswerten Duisburg interessiert sind, lohnt es sich definitiv! Denn 1999, das war das Abschlussjahr der Internationalen Bauausstellung Emscherpark, bei der so viele hochambitionierte städtebauliche Projekte im Ruhrgebiet verwirklicht wurden. Duisburg bildete eine Avantgarde, indem es neben der Industriekultur wie keine zweite Stadt der Region großen planerischen Ehrgeiz in die Neuentwicklung des Stadtzentrums legte.

 

Duisburg gab sich nicht mit dem Klischeebild der grauen, eintönigen Kohlenpott-Innenstadt zufrieden, sondern schuf wie keine andere Stadt der Region großzügige öffentliche Räume und stellte seinen individuellen Charakter als bedeutende Hafenstadt heraus, wovon bis heute ein trotz diverser Fehlplanungen der letzten Jahre deutlich aufgeheitertes Stadtbild zeugt. So war die Königstraße in eine Fußgängerzone mit Arkaden und künstlerisch gestalteten Brunnen verwandelt worden. Zugleich befand sich der Innenhafen in seiner heutigen Form in seiner Entstehungsphase und war damit eines der ersten Großbauprojekte, mit denen der Lebensraum von Städten wieder ans Wasser zurückgeführt wurde. Große Namen der Architektur, an erster Stelle ist natürlich Norman Foster mit seinem Masterplan für den Innenhafen zu nennen, begannen plötzlich, in Duisburg zu wirken. Daniel Libeskind hatte einen Entwurf für eine neue Synagoge eingereicht, und die Stadt wählte bewusst den israelischen Architekten Zvi Hecker aus, weil man diesen für origineller bzw. besser passend hielt – man muss sich dies heute einmal vorstellen! Natürlich wurden auch zur damaligen Zeit Fehler begangen und wurde vor allem, insbesondere für den U-Bahn-Bau, Geld in Dimensionen ausgegeben, welche angesichts der angespannten Finanzlage heute undenkbar wären.

 

Und doch übt es eine unglaubliche Faszination aus, als Leser Zeuge des Selbstbewusstsein und Sendungsbewusstsein einiger der damaligen Stadtgestalter zu werden. In dieser Zeit waren offensichtlich Menschen zu Werke, die für ein schönes Duisburg brannten und eine klare Vorstellung davon hatten, wie dieses auszusehen habe! Und wie dies nicht durch eine Überplanung auf dem Reißbrett, sondern unter Berücksichtigung der Geschichte der Stadt verwirklicht werden sollte. Das durch die Schwerindustrie geprägte Stadtbild wurde gerade als Chance begriffen, das eigene Unverwechselbare herauszuarbeiten. Ein besonderes Highlight ist der emotionale Schlussappell des Architekten Peter A. Poelzig, die Stadt mitzugestalten, anstatt sie den Investoren als Nachfolger der Stahlbarone zu überlassen, die diese sie für ihre Zwecke vereinnahmen wollen. Also: Lesen, Selbstbewusstsein tanken, Anregungen sammeln – Pflichtlektüre für jeden, der sich tiefer gehend mit Duisburg 2027 beschäftigt, der sich am Kleinmut und der Lethargie der letzten Jahre stört und sich dafür interessiert oder sogar engagieren möchte, dass aus dem einmaligen Charakter von Duisburg mehr als ein Bündel von Fördergeldanträgen und Grundstückstransaktionen entsteht.

 

 

 

 

Jörg Bogumil/Rolf G. Heinze/Franz Lehner/Klaus Peter Strohmeier: Viel erreicht – wenig gewonnen

Ein realistischer Blick auf das Ruhrgebiet (2012)

Nach der überraschenden Wahl des Ruhrgebiets zur Kulturhauptstadt 2010 und dem rauschenden Festivaljahr, welches ohnehin in Duisburg durch die Tragödie der Love Parade getrübt war, holte die nach wie vor unter hoher Arbeitslosigkeit und kommunaler Verschuldung leidenden Ruhrgebietskommunen allzu schnell der Alltag wieder ein. Die Hoffnung, dass die Auszeichnung und die damit verbundenen Aktivitäten der Region einen Wachstumsschub verleihen würden, hatten sich zumindest außerhalb des Bannerträgers Essen nur teilweise erfüllt.

 

Es nicht bei einer diffusen „Katerstimmung“ zu belassen, sondern eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation zu machen und Lösungsmöglichkeiten vorzustellen, haben sich vier Professoren der Ruhr-Uni Bochum zur Aufgabe gemacht. Sie beschreiben, inwiefern das Ruhrgebiet, immerhin Deutschlands größte Metropolregion, ihrer Auffassung nach Defizite in der Urbanität aufweist, welches aus ihrer Sicht die Gründe dafür sind, dass der Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre am Ruhrgebiet großenteils vorbeigegangen ist, und warum gerade hier eine so starke Spaltung der Gesellschaft vorliegt (die schon geographisch durch den „Sozialäquator“ A40 vollzogen wird) und sich im Ruhrgebiet mehr als anderswo ein abgehängtes Prekariat ohne berufliche Perspektiven herausgebildet hat.

 

Insgesamt weist das Buch eine relativ starke soziologische und volkswirtschaftswissenschaftliche Prägung auf. Es wird dargestellt, wie Kirchturmdenken und Konkurrenz der Städte eher zu Gleichförmigkeit führen, statt individuelle Besonderheiten herauszuarbeiten. Die Autoren stellen dar, wie sich soziale Benachteiligung in bestimmten Gegenden durch das Umfeld selbst reproduziert und verstärkt. Es wird eine Abkehr vom ausschließlichen Denken in großen Institutionen (hier die ThyssenKrupp, dort der DGB) propagiert, die der Eigeninitiative und der Kreativität ebenso im Wege stehen wie der Entwicklung eines starken Mittelstandes. Die bisherigen „Leuchtturmprojekte“ sollen durch eine ganzheitlichere Entwicklung ersetzt werden und so weiter.

 

Diesem Buch, um es vorab zu sagen, wird nur derjenige etwas abgewinnen können, der mit einem technokratisch geprägten Vokabular umzugehen bereit ist. Wer Begrifflichkeiten wie „Humankapital“ „funktionale Differenzierung“ etc. von vornherein pauschal ablehnt, wird die Gedanken der Verfasser kaum an sich heranlassen wollen. Ich kann dennoch den Versuch empfehlen, einmal „über den eigenen Schatten zu springen“. Denn hier sprechen nicht die Verfechter eines Manchester-Kapitalismus; vielmehr ist es den Verfassern gerade ein Anliegen, dass die lokale Wirtschaft und Gesellschaft so modernisiert werden, dass möglichst alle daran teilhaben und sich einbringen können.

 

 

 

 

Jens Prüss: Düsseldorf vs. Köln – Köln vs. Düsseldorf

Die Rivalität zwischen den beiden rheinländischen Städten Köln und Düsseldorf, von der man als Außenstehender manchmal nicht so genau weiß, inwieweit sie humorvoll oder bitterer Ernst ist, ist Legende – im Fernsehprogramm wurden die Gegensätze der ungleichen Nachbarn einem breiten Publikum offenkundig, wenn „Verbotene Liebe“ mit „Marienhof“ um Zuschauer konkurrierte oder Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder sich wieder mal ein Wortduell lieferten.

 

Der Hintergrund dieser Rivalität füllt nicht nur im sprichwörtlichen Sinne, sondern tatsächlich ein ganzes Buch. Auf äußerst kurzweilige und witzige Art und Weise erklärt der Autor, wie sich diese über die Jahrhunderte hinweg entwickelt hat. So nahm Köln als Handelsstadt das so genannte „Stapelrecht“ für sich in Anspruch und zog damit den Unmut der rheinischen Nachbarn auf sich, die dieses als Wegelagerei empfanden. Die Domstadt Köln wuchs durch Eingemeindungen und pflegte die Urigkeit seiner „Veedel“, war über Jahrhunderte die weitaus größere und bedeutendere Stadt, bis Düsseldorf unter den Bergischen und Wittelsbachern zur Residenzstadt wurde und mit Hofgarten und Königsallee den Charakter einer Gartenstadt erhielt – wodurch sich schon zu früherer Zeit, als man denkt, der heute zum Düsseldorf-Klischee gehörende Snobismus entwickelte und Düsseldorf eher durch Zuzug und bauliche Expansion wuchs. Die preußische Herrschaft und ganz besonders die Wahl Bonns zur Bundeshauptstadt und Düsseldorfs zur Landeshauptstadt empfand Köln als tiefe Kränkung, die es bis heute nicht überwunden hat und durch besonders gemeine Breitseiten gegen Düsseldorf kompensiert…

 

Der Autor bemüht sich um Fairness; aber, um es vorwegzunehmen, er ist Düsseldorfer, und entsprechend schlägt auch sein Herz letztlich für Düsseldorf. Wer damit leben kann, für den ist dieses Buch eine äußerst kurzweilige und lehrreiche Lektüre. Alternativ steht sonst das eher wissenschaftlich-trocken gehaltene Buch der Kölnerin Annette Fimpeler „Düsseldorf Köln – Eine gepflegte Rivalität“ zur Verfügung.

 

Reinhard Matz: Fassade. Köln

 

Köln gehörte zu den deutschen Großstädten, die von den Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg besonders schwer getroffen wurden und wegen des damit verbundenen Wohnungsmangels besonders schnell wiederaufgebaut werden mussten. Oft genug ging dies zu Lasten der architektonischen Qualität; hinzu kamen, quasi als Kehrseite der sympathisch-unbekümmerten kölschen „Et hett noch emmer jot jejange“-Mentalität, viele individualistische Geschmacksverinnerungen von Hauseigentümern, die in konservativeren Städten wie Hamburg, München oder Frankfurt undenkbar gewesen wären und zu einer weiteren „Verschlimmbesserung“ führten.

 

Der Fotograf Reinhard Matz zeigt in diesem Bildband in schonungsloser Nüchternheit quasi die Rückseite von Köln, die schäbigen, düsteren und kleinbürgerlichen Seiten der lebenslustigen Rheinmetropole, die sich in manchen Straßenzügen schon offenbaren, sobald man die Domplatte verlassen hat. Geradezu stadtbildprägend sind die Kacheln, Glasbausteine und Eternitplatten, mit denen die Fassaden gepflastert wurden, ebenso wie die aus dem Ruhrgebiet bestens vertrauten Baulücken und frei stehenden Brandmauern.

 

Am Ende war ich erschrocken und amüsiert zugleich – der Aha-Effekt, den diese gebündelte Galerie der Geschmacksverirrungen auslöst, ist überwältigend. Kurzweilig ist das Buch in jedem Falle – und so wird der selbstkritische oder selbstironische Kölner diese Dokumentation der grauen Variante des „Straßenkarnevals“ hoffentlich ebenso amüsiert in die Hand nehmen wie der schadenfrohe Erzrivale aus Düsseldorf. Nicht?

Die mobile Version verlassen