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Ja, das war Mist – Der Duisburger Kunstskandal

Also, dieser Duisburger Kunstskandal… – ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Das geht schon damit los, dass ich wirklich ein Kunstbanause bin. Ich will damit überhaupt nicht kokettieren; allein: es ist leider so. Ich habe von Kunst keine Ahnung. Jedenfalls nicht von bildender Kunst. Die Musik – da gibt es Bereiche, in denen es etwas besser aussieht. Die hohe Kunst des Fußballspiels – ja, davon, bilde ich mir ein, verstehe ich etwas. Sie merken vielleicht: ich fühle mich etwas mehr von der Massenkultur angesprochen als von den schönen Künsten. Es ist mir jedoch ein Bedürfnis zu erwähnen, dass es auch bei mir eine Grenze nach unten gibt. Zum Beispiel die Loveparade, mit der konnte ich von Anfang an nicht warm werden, schon aus rein kulturellen Gründen. Wäre ich damals schon so klug wie heute gewesen und hätte einfach nichts gesagt! So aber musste ich mich nicht wundern: der Vorwurf der autoaggressiven Miese-peterei konnte nicht ausbleiben. „Auto-“, weil wir doch alle Duisburger oder zumindest „Ruhries“ sind, „-aggressiv“, weil – das war damals klar: wer gegen die Loveparade ist, frisst auch kleine Kinder.

 

Es ist dann, wir wir alle wissen, anders gekommen. Es waren nicht die (Handvoll) Gegner, es war die Loveparade selbst, die junge Leben gekostet hatte. Das Massensterben kam eigentlich nicht überraschend. Ich hatte darauf aufmerksam gemacht, dass das, was man sich da vorgenommen hatte, im Grunde nur auf das Sterben junger Menschen hinauslaufen konnte. „Miesepeterei“ war noch einer der abgewogenen Vorwürfe, die es zur Antwort gab. Wenn überhaupt geantwortet wurde. Duisburg war nämlich im Rausch in den Tagen und Wochen vor der Loveparade und absolut nicht gewillt, sich mit der Miesmacherei irgendeiner Spaßbremse zu befassen. Duisburg war, wenn man so will, noch nicht reif für irgendeine Kritik an der Loveparade. Zumal, und dies gilt prinzipiell, niemandem damit gedient ist, wenn man Duisburg provoziert oder gar schockiert. Solche Dinge passen einfach nicht in die Stadt, was, wie man bitter erfahren musste, dann leider nicht nur für ungebetene Miesepeter, sondern auch für die herbeigesehnte Loveparade selbst gegolten hatte.

 

Es ist völlig klar, dass bei dieser Thematik andere Bewertungen möglich sind. Aber es ist, wie es ist. Es ist passiert, das mit der Loveparade. Da kann man jetzt auch nichts mehr machen. Vergangenheit. Die Vergan-genheit liegt tot vor uns; allerdings: auch wenn diese Sache jetzt vier Jahre zurückliegt, ist sie für die Duisburger auch heute noch sehr präsent. Sie dürfen mir das glauben; ich bin nämlich selbst Duisburger. Aber jetzt mal etwas ganz Anderes: der Duisburger Kunstskandal. Kennen Sie zum Beispiel Gregor Schneider? Falls nicht, das sollten Sie aber auf jeden Fall! Denn Gregor Schneider ist Künstler und ein ganz schön renommierter noch dazu. Er hat schon so einige Preise bekommen und immer wieder öffentliche Kontroversen ausgelöst. Toll! Ein lustiges Kerlchen ist er, der Gregor Schneider. Allein schon seine Vorlieben. Na klar, wie jeder Künstler, oder sagen wir mal: wie jeder Mensch, hat natürlich auch Schneiders Gregor so seine, sagen wir mal: Arbeitsschwerpunkte. Gregor hat es besonders gern, wenn Menschen völlig hilflos sind oder – noch besser: gleich ganz sterben.

 

Zum Beispiel 2008, die 14 Meter hohe schwarze Außenskulptur „END“. Sie hatte er in seiner Heimatstadt Mönchengladbach aufgebaut. Also: aufbauen lassen. Eine geile Kiste. Die Besucher hatten zuvor abzu-wägen, „ob steile Leitern, enge und/oder völlig verdunkelte Räume ein körperliches oder psychisches Hindernis“ für sie darstellen. Und dann zu unterschreiben, dass sie genau dies gemacht hatten. Und schon ging´s ab – ins „END“: völlige Dunkelheit sorgte für einen Verlust des Raum- und Ortsgefühles. Einfach nur geil! Gregor Schneider, ein junger Mann, hat freilich noch so einiges vor. Der lebensbejahende Künstler „möchte eine Person zeigen, welche eines natürlichen Todes stirbt oder gerade eines natürlichen Todes gestorben ist.“ Autorisiertes Zitat von Gregor Schneider: „Dabei ist mein Ziel, die Schönheit des Todes zu zeigen.“ Feine Sache. Aus diesem ganzen Thema – Tod und so – müssen nämlich endlich mal die Tabus raus. Da hat er doch Recht, der Mann! Ein „öffentlicher Sterberaum“, das wär´s, findet Schneider. Das ist natürlich Geschmackssache. Kunst eben.

 

Vielleicht wissen Sie schon, warum ich Ihnen von Herrn Schneider erzählt habe. Wenn nicht, erfahren Sie es jetzt. Die Sache ist nämlich die, dass der preisgekrönte Künstler in Duisburg – oder sagen wir mal: mit Duisburg seinen von ihm begehrten öffentlichen Sterberaum gefunden hatte. In der Vergangenheit zwar, aber besser als in die nackte Hand gerotzt. Duisburg, Karl-Lerch-Tunnel, 24. Juli 2010. 21 Tote, Hunderte Traumatisierte und Verletzte. Die Vergangenheit liegt tot vor uns, das ist wahr. Andererseits: die Triennale, 50 Jahre Lehmbruck-Museum. Schneider hatte die Idee, lange tunnelartige Röhren im Lehmbruck-Museum zu installieren – oder sagen wir mal: installieren zu lassen. Durch die Rauminstallation mit dem hübschen Namen „totlast“ sollten die Besucher da nur einzeln und in stark gebückter Haltung hindurchgehen können. Diese „totlast“, um es nicht zu vergessen zu erwähnen, hatte und hat absolut keinerlei Bezug zur Loveparade. Die Kunstliebhaber sollten einzig und allein einmal die Chance erhalten, die körperliche Erfahrung von laby-rinthischer Enge zu machen.

 

Gregor Schneider ist – ich kann es gar nicht häufig genug erwähnen – ein Künstler von und mit internationaler Reputation. Und die Zauberformel „internationale Reputation“ – ich hatte es zu Beginn dieses Artikel nicht ausdrücklich angesprochen – reicht aus, um Duisburg in einen Rausch zu versetzen. Nur dadurch ist zu erklären, dass die Stadt Duisburg und das Lehmbruck-Museum mit Schneiders Gregor im Grunde handels-einig waren, was die in keinerlei Zusammenhang mit der Loveparade stehende „totlast“-Rauminstallation betrifft – bis zum Beginn des Duisburger Kunstskandals. Sören Link, seines Zeichens der Oberbürgermeister der und Vorsitzender des Lehmbruck-Kuratoriums, hat ihn am Wochenende dadurch ausgelöst, dass er – auf eigene Faust, wie es heißt – das besagte Projekt aus dem Programm geworfen hatte. Plötzlich und unerwartet wurde der Tod zur Last, nichts mehr mit „totlast“, der OB hat gesprochen! Und das, obwohl das ambitionierte Kunstwerk schon in allen Programmheftchen steht! Und dann auch noch, ehrlich gesagt, gar nicht mal gut.  Nicht gut gesprochen.

 

Das ging schon damit los, dass OB Link zunächst einmal sein Volk hat wissen lassen, dass er sehr schlecht bis gar nicht geschlafen habe. Das mag ja sein oder auch nicht sein, ist für meinen Geschmack jedoch eindeutig eine Idee zu viel. A touch too much – „…ist mir diese Entscheidung wirklich nicht leicht gefallen“, das wäre gegangen. Aber so ein tendenziell selbstmitleidiges „Ich-konnte-nicht-schlafen“, das kann man nicht bringen! Schon gar nicht, wenn darauf der paternalistisch anmutende Befund folgt, dass diese „Stadt noch nicht reif“ für Schneiders „totlast“ sei. Das passt nicht so recht zusammen, spricht aber dafür, dass es sich bei seiner Absage tatsächlich um eine Solo-Aktion gehandelt haben könnte. Übrigens auch für die Story von der schlaflosen Nacht, die uns aber – nochmal – nicht zu interessieren hat. Dass dieses aus der sozial-demokratischen Kümmerer-Kulturkiste stammende „Ich-kann-Euch-das-nicht-zumuten“ in der Kulturpolitik einer Halbmillionenstadt nichts verloren hat, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Links Aktion selbst ist freilich eine Fehlentscheidung.

 

Klare Sache: wie auch immer man die Angelegenheit semantisch dreht und wendet, ob nun „Zensur“ oder „Absage“, ob nun „Rechtsbruch“ oder extrem schlechter Stil – Sören Link hat einen Bock geschossen. Mir wäre es lieber, er könnte sich zukünftig hinstellen und durchgeben, dass die Freiheit der Kunst bei ihm niemals und unter keinen Umständen zur Debatte stünde. Schade, das sieht jetzt schlecht aus. Sehr schade. Ich kenne Sören Link persönlich. Ich weiß, dass er in dieser Rolle hätte brillieren können. Jetzt hat er einen Fehler gemacht. Vor gut zwei Wochen – anlässlich seines zweijährigen Amtsjubiläums – ist ihm noch attestiert worden, bislang ohne einen nennenswerten Fehler durchs Amt gegangen zu sein. Zwei Jahre und eine Woche fehlerfrei – muss man erst einmal nachmachen! Jetzt dreschen sie alle auf ihn ein. Auch das gehört zum „Geschäft“. Link lässt mitteilen, im Urlaub zu sein… – nun gut, eine Formel aus dem Vor-Internet-Zeitalter. Aber was soll er auch sagen? Was mich betrifft: dieser Duisburger Kunstskandal… – ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.

 

Udo Vohl, SPD-Genosse und demnächst Vorsitzender des städtischen Kulturausschusses, „respektiert“ die Entscheidung, fügt aber an, das Thema hätte im Lehmbruck-Kuratorium besprochen werden sollen. Dr. Söke Dinkla, die Direktorin des Lehmbruck-Museums, hat „Verständnis“ für die Entscheidung des Ober-bürgermeisters. Wegen der „offenen Wunde der Stadt Duisburg“ sei es für Schneiders Werk „offensichtlich noch zu früh“. Andererseits: „eine große Enttäuschung“, „ein großer Verlust“… – was Museumsdirektoren halt so sagen. Gestern Abend musste Kulturdezernent Thomas Krützberg ran – in der WDR-Lokalzeit im Fernsehen. „Wir sehen das differenzierter“, hat er gesagt und über ein „Spannungsverhältnis“ gesprochen. Dann CDU-Ratsherr Frank Heidenreich, der ebenfalls zu bemängeln hatte, dass das Thema nicht im Kuratorium zur Sprache gekommen war. Da ist er nämlich Mitglied, der Heidenreich, und da hätte er für den Oberbürgermeister gestimmt, auf Schneiders „Skulptur“ zu verzichten. Hätte, hätte, Fahrradkette. Jetzt ist er da, der Skandal. Zu Recht, wie mir scheint. Denn der Verdacht konnte entstehen, die Freiheit der Kunst sei einem Spannungsverhältnis zum Opfer gefallen. Wie gesagt: ich habe von bildender Kunst keine Ahnung.

 

Ich verstehe aber etwas von der einschlägigen verfassungsrechtlichen Diskussion zur Kunstfreiheit („vorbehaltlos, nicht schrankenlos“). Es führte zu weit, sie hier auch nur ansatzweise wiederzugeben. Aus persönlicher politischer Erfahrung – auch diese führte hier zu weit – kann ich nur mahnen, immer für die Freiheit der Kunst zu entscheiden. Schon die städtische Formel vom „Spannungsverhältnis“ sollte schnell dorthin getan werden, wohin sie gehört: in den Papierkorb. Hätte, hätte, Fahrradkette: eine kleine Anmerkung dazu, wie ich in dieser Angelegenheit verfahren hätte, sei mir gestattet. Ich hätte mich von Anfang an geweigert, mit dem international renommierten Künstler zu sprechen; es sei denn, er hätte mich ausdrücklich um Erläuterung gebeten. Dann hätte ich ihm gesagt: „Pass mal auf, Schneiderlein! Ich habe einfach keinen Bock darauf, Deine perverse, in humanitäre Plattitüden schlecht verhüllte, Scheiße hier in unserer Stadt zu erleben. Ganz abgesehen von den Gefühlen der Angehörigen der Verstorbenen, der Verletzten und Traumatisierten sowie der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt: geh dorthin, wo man Dich wegen Deiner kranken Fantasien schätzt. Hier nicht, mein Lieber. Hier wächst für Dich kein Pfeffer!“

 

Nun ja, ich bin halt ein Kulturbanause. In diesem Fall aber hätte allein der Versuch, diese Angelegenheit mit dem Künstler, vor allem aber mit dem Kuratorium der Lehmbruck-Stiftung in aller Offenheit freimütig zu diskutieren, zumindest das Schlimmste verhindert. Die Kultur hat es nicht leicht in Duisburg, die Kulturpolitik noch schwerer. Wenn es ansatzweise gelingen könnte, das kulturelle Selbstbewusstsein dieser gebeutelten Stadt zumindest wieder so weit zu stabilisieren, dass nicht stets sofort eine Massenhysterie ausbricht, wenn jemand mit der Zauberformel „internationale Reputation“ klimpert, wäre eine Menge erreicht. Klar: so etwas ist nicht über Nacht zu schaffen. Wir müssen daran arbeiten. Wir alle – an einem eigenständigen adäquaten Duisburger Selbstbewusstsein. Im übrigen hatte Sören Link freilich völlig Recht mit der Einschätzung, dass eine „Aufführung“ von Schneiders Werk hier einen Riesen-Bohei gegeben hätte. Nur, und nochmal: so etwas darf, wenn es um die Kunstfreiheit geht, keine Rolle spielen. Link hat einen Fehler gemacht und aller Voraussicht nach werden weitere folgen. Na und?! In einiger Zeit wird er sagen: „Ja, das war Mist. Ich habe aber daraus gelernt. Die Freiheit der Kunst steht bei mir niemals und unter keinen Umständen zur Debatte!“

 

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