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Respekt! Wie würde das alles bloß werden?

Wie würde das alles bloß werden, wenn sie nicht mehr da wäre?! Wenn sie, was ja nun seit zwei Wochen klar war, einfach nicht mehr käme? Wenn meine gute, alte Sandkastenfreundin, die WAZ, morgens wieder mutterseelenallein bei mir im Hausflur läge, weil meine neue – nun ja, 12 Jahre! – lachsfarbene Stichwortgeberin nicht mehr unter uns weilt? Wie oft hatte ich mir diese Fragen gestellt? Es war klar, dass es nicht schön werden würde, dieses Leben ohne die Financial Times Deutschland (FTD). Er würde schlimm werden, dieser Morgen am Montag, den 10.Dezember 2012. Doch dass es so dicke kommen würde, darauf war ich nicht gefasst!

Gestern Morgen in der Herrgottsfrühe, die Synapsen in meinem schläfrigen Hirn noch nicht alle so richtig an Ort und Stelle, dennoch schon in vollem Bewusstsein, nur in die einsame WAZ aus dem kalten Flur in mein warmes Bettchen holen zu können. Dann die Überraschung! Da lag noch eine. Wer mochte das wohl sein? Die FTD konnte es nicht sein; sie war ja tot. Ein neugieriger Blick auf den Boden. Der Schock! Liegt da doch tatsächlich das Handelsblatt. Mir kochte der Blut! Das durfte doch wohl echt nicht wahr sein. Immer wieder hatte ich mich gefragt, wie das alles bloß werden sollte – jetzt, wo es die FTD nicht mehr gibt. Ich hatte keinen Brief bekommen, keine eMail, nichts… – dafür jetzt das Handelsblatt.

„Leute!“, schrie ich durch den Hausflur. Das machte ja nichts: die Mädels waren schon aus dem Haus, und die Oma hört nicht mehr so gut. „Leute! Ihr könnt mir nicht, wenn ich mir ein ganz bestimmtes Auto bestelle, einfach mal so einen Opel vor die Haustüre stellen. Sowieso schon einmal nicht, und erst recht nicht, ohne mich zu fragen.“ Ich war ganz schön sauer, das kann ich Ihnen sagen! Das mit dem Opel bitte ich mir nachzusehen. Es war ja noch früh am Morgen; da konnte ich das ja noch nicht wissen. Das mit Opel. Das heißt: Wissen können konnte ich es schon. Ich hatte es auch gewusst. Schließlich hatten es ja alle gewusst. Aber erstens noch nicht so früh am morgen, und zweitens nicht so.

„Endlich ist die Wahrheit raus. Der Schock ist nicht die Nachricht, sondern die Art und Weise, wie sie überbracht wurde. Das ist menschenverachtend“, hat Andreas Graf Praschma gesagt. Der Graf war früher einmal Pressesprecher von Opel in Bochum, und so oder so ähnlich wie der Andreas Praschma haben das gestern irgendwie alle gesagt. Das ist ja auch wahr. Wenn der Thomas Sedran die ganze Sache vernünftig erklärt hätte und nicht schon nach zwölf Minuten, wie heute die WAZ auf der ersten Seite schreibt, einen „unerwartet plötzlichen Abgang“ gehabt hätte, … – aber so?! Da legt man mal den Arm um die Schulter und sagt: „Tja, Schicht um Schacht, nichts geht mehr, rien ne va plus. Echt Scheiße, näh?“

Aber so?! Wie gesagt: menschenverachtend! Man kann so etwas auch anders sagen, ganz anders. Nicht einfach „Absatzkrise in Europa“ und pipapo, sondern zum Beispiel so wie ich. Oder, noch besser: so wie Gabor Steingart. Doch, den kennen Sie bestimmt! Aus den Talkshows im Fernsehen. Früher war der beim Spiegel; heute ist er der Chef des Handelsblatts. Und genau von diesem Handelsblatt, das gestern Morgen in meinem Hausflur lag, hatte mich der Steingart angeguckt – mit genau diesem Foto. Er hatte nämlich ein Sondereditorial geschrieben, das er auf der ersten Seite über den Steinbrück-Aufmacher platziert hatte. „Liebe Leserinnen und Leser“, na klar, der Sedran wird wohl auch „liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ gesagt haben…

Aber dann! Dann zeigen sich die wahren Unterschiede. Stilfragen sind einfach nicht zu überschätzen. „Die Financial Times Deutschland wurde am Freitag eingestellt“, knüpft Steingart einfühlsam an den Umstand an, der mich ohnehin gerade bedrückt. Und dann: „Das bedaure ich.“ Was ist eigentlich das Gegenteil von „menschenverachtend“? „Menschenbeschleimend“? Nein, „respektvoll“, das weiß ja jeder. Hast Du keinen Respekt, Alder?! Steingart hat, selbstverständlich: „Diese Zeitung hat der publizistischen Vielfalt in Deutschland gutgetan. Ihren Machern wie ihren Lesern gilt unser Respekt.“ Sein Respekt sieht dann so aus, dass er in Aussicht stellt, „den führenden Kommentatoren der Financial Times Deutschland eine neue geistige Heimat auf unseren Meinungsseiten“ zu bieten.

Ganz konkret kündigt Steingart an, dass zwei ehemalige FTD-Chefredakteure künftig für sein Blatt schreiben. Das ist respektvoll, aber auch ziemlich klug. Denn viele FTD-Leser haben sich, worauf Thomas Knüwer aufmerksam macht, „vielleicht bewusst für die `FTD´ entschieden, weil ihnen der Stil, der Inhalt oder die Aufmachung des `Handelsblatts´ nicht gefielen.“ Wäre immerhin möglich. „Und nun bekommen sie exakt dieses Blatt geliefert. Ob sie sich darüber freuen?“ Ehrlich gesagt: eigentlich nicht so sehr. Wenn aber tatsächlich führende FTD- Kommentatoren, wie Steingart ja… – „Wir haben bei den Betreffenden mal nachgefragt“, posten die FTD-Leute auf Facebook und auf ihrer Website.

Die Antwort: „Christoph Keese, heute Cheflobbyist von Axel Springer, weiß von seinem Glück noch gar nichts. Und FTD-Gründungschefredakteur Andrew Gowers hat auch nicht wirklich vor, im Handelsblatt fortan als regelmäßiger Autor aufzutreten. Hier sein Statement im O-Ton: `I am writing one piece for HB about a subject I feel strongly about – Britain and Europe – as commissioned by Torsten Riecke (Anmerkung der Ex-Redaktion: Torsten Riecke ist Kommentarchef des Handelsblatt). I just sent Steingart a note complaining about his tasteless, poorly-judged and misleading remarks and saying I will never write a column for his shit, declining newspaper!´”

Nun können wir nicht so gut englisch, lesen aber im Medien-Portal Meedia , was Mr. Gowers in etwa gemeint haben könnte: „Dass Gowers, der die FTD mit aufgebaut hat, gleichzeitig mit der Einstellung der Zeitung vor den PR-Karren des Wettbewerbers Handelsblatt gespannt werden soll, ist dem Briten spürbar unangenehm.“ Ja, das hat Stil! „Spürbar unangenehm“ – so sagt man das. So ist der Brite; alles Andere wäre irgendwie auch tasteless. Also, wenn man bspw. hinginge und das Handelsblatt eine Scheißzeitung nennen würde. Der FTD-Verlag Gruner + Jahr hat sich übrigens immer noch nicht bei mir gemeldet, um mir einen Vorschlag zu machen, was nun mit meinem Geld werden soll, dass ich im Voraus für das FTD-Abo überwiesen hatte.

Dafür hat Gruner + Jahr schon einmal die Abonnentendatei an das Handelsblatt verkauft. Was irgendwie verständlich ist, lautet das Motto der von Steingart geführten Tageszeitung doch „Substanz entscheidet“. Und da ist so eine Abodatei besser als… – ich darf noch einmal aus Gabor Steingarts „Sondereditorial“ zitieren: „Das Handelsblatt hat sich im Wettbewerb der Ideen und Meinungen verändert. Heute halten Sie eine moderne, lebhafte Wirtschafts- und Finanzzeitung in den Händen,…“ die jetzt ein paar Euro fünfzig dafür hingeblättert hat, sich an die ehemaligen Leser der FTD heranzupirschen. Respekt! Sehr respektvoll, ob dies aber auch ziemlich klug gewesen ist, muss sich erst noch zeigen.

„Ein Sprecher des Datenschutzbeauftragten kündigte“ nämlich, wie das Hamburger Abendblatt berichtet, `am Montag auf Anfrage an, den Vorgang „datenschutzrechtlich zu überprüfen´.“ Nicht, dass die auch noch Gruner + Jahr an die Hemmelbeine kriegen. Ich meine, die haben ja weißgott genug in die FTD hineingebuttert. Wie sieht das denn juristisch eigentlich aus? Angenommen, Opel würden seine Kundendatei demnächst einfach so, ohne zu fragen, an Ford verkaufen. Nur mal so als ein Beispiel. Ja: Ford – ist doch egal. Es ist doch nur ein Beispiel! Herrgott nochmal, Opel, Ford,… – mir geht es doch jetzt nur um den Verkauf einer Kundendatei.

Von mir aus VW, die machen ganz bestimmt nicht pleite. Wo die überall bauen, das glauben Sie gar nicht! Hier, VW betreibt in 18 Ländern Europas und in neun Ländern Amerikas, Asiens und Afrikas 99 Fertigungsstätten. Also VW. Wenn die demnächst die Kundendatei genauso von Opel übernähmen wie damals den López. Dürften die das überhaupt? Okay. Zugegeben: das führt jetzt alles zu weit. Kommen wir zurück zur Eingangsfrage: Wie würde das alles bloß werden, wenn sie nicht mehr da wäre?! Wenn sie einfach nicht mehr da wäre, die Autoindustrie…

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