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Volksabstimmung über „Stuttgart 21“ – Was für eine Freude

volksabstimmung-stuttgart-21-ergebnisDie Volksabstimmung in Baden-Württemberg gegen den Neubau dieses Stuttgarter Bahnhofs hat gestern ein klares Ergebnis gebracht: 41% stimmten mit „Ja“, also gegen das Projekt „Stuttgart 21“ (S21). 59% votierten jedoch mit Nein, also für den Weiterbau des Tiefbahnhofs. Etwas verwirrend: Ja für die Gegner, Nein für die Befürworter von S21, was jedoch die S21-Gegner zu vertreten haben. So unklar dieses Ja-Nein-Abstimmungsproblem, so klar das Ergebnis des Urnengangs. Die Parkschützer, Baumschützer und wie auch immer diese Wutbürger sich genannt haben mögen – sie holten sich mit knapp 60% Nein-Stimmen eine krachende Niederlage ab. Und das bei einer Wahlbeteiligung von 48,8 Prozent! Super.

48,8 Prozent Wahlbeteiligung. Das ist nicht „mäßig“, wie es in einem Bericht bei Spiegel Online heißt. Das ist eine „Rekord-Wahlbeteiligung“, wie Simone Kaiser in einem Kommentar – ebenfalls für Spiegel Online– schreibt. „Zum Vergleich: Beim Volksentscheid für das Rauchverbot in Bayern lag die Wahlbeteiligung bei 37,7 Prozent, bei der Abstimmung über die Schulreform in Hamburg bei rund 39 Prozent. Bei der Landtagswahl 2006 gingen in Baden-Württemberg nur rund 53 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne.“ Nein, ganz ohne Frage „haben die Gegner des Projekts eine herbe Niederlage eingesteckt“, was Arno Luik auf Stern Online mit der Bemerkung kommentiert: „Der Filz siegt“.

Gut möglich; ich meine: dass der Filz gesiegt hat. Arno Luik wird dies besser beurteilen können als ich, und: er untermauert seine These so anschaulich mit Beschreibungen aus dem Ländle, so dass ich nicht den geringsten Grund hätte, an seiner Einschätzung irgendwelche Zweifel anzumelden. Und selbst wenn man nicht eine Spur von Ahnung über die Verhältnisse im Schwabenland hat: alle Plausibilität spricht für Luiks Behauptung, dass dort „der Filz gesiegt“ hat. Na logisch. Das ist kein Grund zur Freude. Dennoch habe ich mich vor Freude kaum noch einkriegen können!

Ich selbst war und bin übrigens ein Gegner dieses irrwitzig überteuerten Bahnprojekts S21. Die spinnen doch wohl! Bei 4,5 Milliarden Euro sind sie mittlerweile mit ihrer Kostenkalkulation. Offiziell. Inoffiziell ist aus dem Filz ein Spektakel darüber zu vernehmen, wer die darüber hinaus gehenden Kosten zu tragen haben werde. Ein Spektakel, gegen das öffentliche Anti-S21-Feiern und anderes Parkschützer-Tohuwabohu wie das Hintergrundrauschen spielender Kinder wirken. Filz ja, aber ein Filz, in dessen Gebälk (hä?) es verdammt laut knirschen kann, wenn es um ein paar Hundert Millionen Euro mehr oder weniger geht. Kapitalismus garniert mit föderal-demokratischem Tamtam, Modell Deutschland à laCarte, Stamokap nach schwäbischer Hausfrauenart – ein Spektakel!

Ein bestens bekannter, auf die Dauer wahrlich nervender Sound! Wie hoch mögen wohl inzwischen die Kosten wirklich sein, über die sich all die wichtigen Herren fetzen wie die Kesselflicker? Ich darf gar nicht drüber nachdenken! Die spinnen doch wohl, die Schwaben, diese baden-württembergischen, die scheinbar wirklich alles können außer Hochdeutsch. Stefan Laurin hat doch wirklich völlig Recht, wenn er bei denRuhrbaronen erklärt, „warum wir in NRW sauer sein müssten: Während hier die Bahnhöfe verrotten oder auf Hartz IV Niveau wie in Essen und Dortmund saniert werden, bekommt Stuttgart einen Luxus-Bahnhof.“ Unglaublich, im Grunde eine Unverschämtheit.

„Das Geld fließt massiv in den Osten und den Süden des Landes“, fährt Laurin fort. „Der Rhein-Ruhr-Express wurde schon wieder auf die lange Bank geschoben“, worüber sich der Protest hierzulande in einigermaßen überschaubaren Grenzen hält. Und im Ländle „machen die da eine Action“, worüber ich mich schon im Sommer des letzten Jahres wunderte, „als wenn dort Hochdeutsch als Pflichtsprache eingeführt werden sollte“. Wenn sie einen hypermodernen Bahnhof mit allem Schnick und Schnack bekommen sollen! Aber das wissen Sie ja. Die spinnen echt. In diesem Fall diejenigen, die vor lauter neurotischer Schwäbischerhausfrauenmentalität sich in eine unangenehme Masse zu allem entschlossener Wutbürger verwandeln.

Die einen ergötzen sich an der Gigantonomie, für die ihnen in derBoomtown der deutschen Wachstumsmetropole Nr. 1 kein Cent zu viel zu sein scheint. Die anderen fühlen sich als die Avantgarde all Jener, die den Sinn des Lebens in Haushaltsdisziplin meinen gefunden zu haben, denen Verzicht und Askese die reine Freude ist, die es als Fortschritt empfinden, wenn alles so bleibt, wie es ist. Die Protestbewegung gegen "Stuttgart 21“, wenn ich zum Schluss selbst zitieren darf, „steht für den Fortschritt, weil sie nicht mehr, wie die Alten vorgeschrieben hatten, die CDU wählen. Aber sie bewahren die Tradition, weil sie im Grunde denselben Scheiß labern wie die besagten Alten. Nur eben auf eine etwas fortschrittlichere Art und Weise.

Für den Rückschritt `entschlossen zum Konflikt´. Rettet die Bäume! Vorwärts zur Langsamkeit! Kampf den Reaktionären! Für eine rückschrittliche Politik!“ Sie hatten Zweifel, ob sie das für den Erfolg des Referendums nötige Quorum schaffen könnten. Aber sie hatten das sichere Gefühl, für die große Mehrheit der Bevölkerung zu sprechen. Seit gestern wissen wir: beide Annahmen waren falsch. Viele sind trotz kalten Wetters ins Wahllokal gegangen, und die übergroße Mehrheit hat Nein zu den Baumschützern gesagt. Ein beeindruckendes Votum für den „Filz“. Nein, ich sympathisiere mit den sog. Bahnhofsbefürwortern genauso wenig wie mit dem Stuttgarter Luxusprojekt selbst. Und meine Skepsis gegenüber Volksabstimmungen ist nicht vollends gewichen.

Doch wenn eine „Bewegung“, die öffentliche Gelöbnisse zum Schutz eines alten Bahnhofs abhält, so eine deutliche Abfuhr vom Volk erhält, werde ich versöhnlicher. Sehen Sie sich dieses – um es zurückhaltend zu formulieren – perverse Treiben doch nur einmal an! Hier. Mir machen solche Leute Angst. Die Wutbürger, ihre Wut gilt nicht allein irgendeiner Baustelle. Ihre Wut geht im Grunde gegen alles, wofür es sich lohnt, in diesem Lande einzustehen. Diese Leute sind im Grunde eine Gefahr für die Demokratie. Ihre Siege wären unsere Niederlagen. Aber sie haben nicht gesiegt; sie haben in der von ihnen geforderten Volksabstimmung krachend verloren. Ein Grund zur Freude! Was für eine Freude.

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