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„Sogenannte“ Bildungspaket-Entscheidung mit rekordverdächtigem Tempo Kinder-Lobby: Bitte die Klappe halten!

Hartz4-Plattform unterstützt den Weg in die 2. Instanz beim Landessozialgericht

„Die unerwartete Rekordverdächtigkeit der Sozialgerichts-Entscheidung in Sachen Bildungspaket liegt nicht nur in ihrem außergewöhnlich schnellen Beschluss – 16 Tage nach Einreichung beim Gericht: „abgelehnt“, wie erwartet,“ bemerkt Hartz4-Plattform Sprecherin Brigitte Vallenthin. „Ebenso rekordverdächtig erscheint uns das Umschiffen der zahlreichen Begründungen für Verfassungswidrigkeit – und ein auffälliger richterlicher Gebrauch des Wörtchens „sogenannte“ – immerhin 10x auf gerade mal 2 ½ Seiten Beschlusstext. Ich fürchte, wir müssen das im Sinne des gängigen Sprachgebrauchs als abfällig wertende Formulierung verstehen,“ so Brigitte Vallenthin.  „Ein Spiegel unguter gesellschaftlicher Stimmung der latenten Missachtung von Kindern – die zwar stets für Sonntagsreden herhalten müssen, wenn’s ernst wird aber bitte die Klappe halten sollen.“

Die Hartz4-Plattform sieht eine besonders tiefe Geringschätzung der betroffenen Familien, wenn der ablehnende Beschluss des Sozialgerichts u.a. folgendermaßen begründet wird:

– „Es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, verbandspolitischen Positionen, die sich im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens nicht (…) haben durchsetzen können, durch Richterspruch zum Durchbruch zu verhelfen.“

Auf diese Weise will das Gericht offenbar eine Erörterung der vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) sowie des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) auf Anfrage der Bundesregierung vorgelegten Sachverständigen-Stellungnahmen zu Verfassungswidrigkeit und insbesondere Diskriminierung durch das Bildungspaket umgehen. Dabei würde sich das Sozialgericht doch in bester Gesellschaft mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) befinden und im Sinne einer guten Praxis  der Gerichtsbarkeit handeln, wenn es die Stellungnahmen der sachverständigen Experten ernst nähme und nicht als „verbandspolitische Positionen“ lapidar abtäte.

Geradezu gesellschaftsspaltend erscheint der Versuch, ein „Lohnabstandsgebot“ von Azubis zu Hartz IV-Kindern in den Raum zu stellen, wenn der Richter schreibt:

– „In diesem Zusammenhang erlaubt sich das Gericht (…) darauf aufmerksam zu machen, dass der geforderte monatliche Regelsatz von wenigstens 500,00 EUR einer monatlichen Vergütung entspricht, die in verschiedenen Handwerkszweigen, wie im Bereich der Elektroinstallation, an Auszubildende gezahlt wird, die sich im ersten Ausbildungsjahr befinden.“

Wenn das Gericht schon – wie im Beschluss geschehen – die Erörterung der Höhe eines verfassungsgemäßen Regelsatzes damit zurück weist, dass das BVerfG-Urteil gerade eine Höhe nicht festgeschrieben habe, so sollte es sich nach Ansicht der Hartz4-Plattform auch selber daran halten. Das hier angedeutete „Lohnabstandsgebot“ zwischen Azubis und Kindern ist einfach nur zynisch. Zynisch auch im doppelten Sinne, weil dieser Azubi-Lohn unter Hartz IV-Bedingungen ja erfahrungsgemäß der ganzen Familie als Einkommen angerechnet und von den Familienleistungen abgezogen wird.

Und dann beschreibt das Sozialgericht zwar genau die Kernfrage des Eilverfahrens, nämlich die, ob der Gesetzgeber die Vorgaben des BVerfG mit der Aufspaltung in Regelsatz und Bildungspaket im neuen Gesetz tatsächlich in wasserdichter Verfassungskonformität umgesetzt habe:

– „Ob die Kosten für sogenannte Bildungsteilhabe dem monatlichen Regelsatz zugeordnet oder erst auf Antrag der Erziehungsberechtigten übernommen werden, ist im Kern eine politische Entscheidung (…). Gleiches gilt für die Frage, ob es verfassungsrechtlich geboten (…) erscheint, die Leistungen für sogenannte Bildungsteilhabe nicht als Geldleistungen, sondern als – wiederum antragsgebundene – Sachleistungen auszugestalten.“

Leider verweigert das Gericht eine Antwort auf seine eigene Fragestellung.

Obendrein unterlässt es die Berücksichtigung wesentlicher – an das BVerfG zu stellender – Fragen, inwieweit die aktuelle gesetzliche Regelung über das Urteil vom 09. Februar 2011 hinaus noch in weiteren Punkten gegen die Verfassung verstößt – beispielsweise infolge der durch die Antragstellung sowie Bewilligung durch die Arbeitsverwaltung zwangsläufig entstehenden Ungleichbehandlung der Kinder mit und ohne Antrag sowie mit und ohne Bewilligung.

Auf einen weiteren zentralen Punkt des Eilantrages geht das Gericht nur mit erkennbarem Unwissen ein. Es erklärt nämlich:

– „Insbesondere vermag das Gericht das Vorbringen der Antragstellerinnen die Vorgehensweise des Gesetzgebers lasse nur den Schluss zu, zum Ziel zu haben, eine ganze Bevölkerungsgruppe zu diskriminieren und zu stigmatisieren, auch nicht ansatzweise nachzuvollziehen.“

Das kann nach Einschätzung der Hartz4-Plattform nur daher resultieren, dass das Gericht von seiner Lebenswelt auf die der Hartz IV-Betroffenen schließt – und vergleichbare Erfahrungen in der privilegierten, geschützten Welt von Staatsbeamten tatsächlich „nicht ansatzweise nachvollzogen“ werden können.

„Besonderen gesellschaftlichen Zündstoff sehen wir in der Entmündigung der Eltern – durch Guido Westerwelles Einladung zu „spätrömischer Dekadenz“ und Philipp Mißfelders Nutzen für die „Tabak- und Alkoholindustrie“ angefeuert. Dabei hat selbst die Bundesregierung am 20. Oktober 2009 in der Hartz IV-Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht die böswillige Unwahrheit dieser Vorurteile eingeräumt, indem sie zugab, ihr sei bewusst, dass die Eltern in Hartz IV-Familien ihre eigenen Regelleistungen zugunsten der Notwendigkeiten für ihre Kinder umschichten. Deshalb wird die Beschwerde, die die Eilklägerin bei der 2. Instanz des Landessozialgerichts unverzüglich einreichen wird auch zusätzlich den Antrag enthalten, das Protokoll der BVerfGs-Verhandlung als Beweismittel beizuziehen,“ erklärt Brigitte Vallenthin.

Wiesbaden, 06. September 2011

Brigitte Vallenthin
Presse
Hartz4-Plattform
keine Armut! – kein Hunger! – kein Verlust von Menschenwürde!
Bürgerinitiative für die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens
sowie die Information und Unterstützung von Hartz IV-Betroffenen

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Weitersagen! Kürzlich erschienen: „Ich bin dann mal Hartz IV“ von Brigitte
Vallenthin, Vorwort von Helga Spindler, 128 Seiten, 9,80 €, ISBN
978-3-89965-433-2: www.hartz4-plattform.de

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