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Interview mit Dr. Hubert Klüpfel, Geschäftsführer TraffGo HT – Teil2 –

Ich halte es nicht generell für fahrlässig, dass man damit rechnet, dass es zu Gedränge und zu Wartezeiten kommen kann.“

Offiziell wurden ja 1,4 Millionen Besucher erwartet. Theoretisch kann ich dann doch als Besucher davon ausgehen, dass diese Stadt mit ihrer Polizei und ihrem angeblich erfahrenen Veranstalter diese Menge Menschen im Griff haben. Allerdings nicht wie geschehen, also dass dieses „im Griff haben“ = sie kontrollieren meint in Form von Einzäunungen, Entzerrungen, Eindämmungen, Verzögerungen, irrsinnig langen Wegführungen etc. Sodass man allein zwischen drei und vier Stunden benötigte, um erst mal an den Schleusen vor den Tunneln anzukommen!

Erwähnen muss man auch, dass es im gesamten Stadtgebiet immer wieder Verengungen durch Zäune gab, was verdammt nach Verdichtungen aussieht. Und um vermutlich letztendlich Zeit zu schinden, da schließlich von Beginn an allen klar gewesen sein muss, dass nicht alle Leute auf das „Partygelände“ kommen dürfen.

Auch wurden den „Besuchern“ Unterhaltungsprogramme im Stadtgebiet versprochen, die dann beinahe gänzlich fehlten. Noch nicht mal etwas zu trinken konnte man sich kaufen, wie man hörte (außer an kleinen Privatkiosken). Dass es später massenweise dehydrierte Menschen in den Tunneln gab, war also kein Wunder.

Wie finden Sie diese Zustände? Was war Ihnen im Vorfeld bekannt?

Dr. Hubert Klüpfel: Ich greife mal Ihre Fragen der Reihe nach auf:

1. Offiziell wurden 1,4 Millionen Besucher erwartet?

2. Stauungen und Wartezeiten waren von vorne herein eingeplant. Halten Sie das für fahrlässig?

3. Es wurde zu sehr auf „Kontrolle“ und zu wenig auf „Information, Führung, Management“ gesetzt. Ist das richtig?

4. Wussten Sie vorher, dass es nichts zu trinken zu kaufen geben würde?

1 Die Zahl von 1,4 Millionen spielte in der Erstellung unserer Analyse zu keinem Zeitpunkt eine Rolle. Uns wurde die Zahl von 485.000 für die insgesamt erwartete Anzahl an Besuchern genannt.

2 Ich halte es nicht generell für fahrlässig, dass man damit rechnet, dass es zu Gedränge und zu Wartezeiten kommen kann. Wenn man nicht damit rechnen würde, wäre das fahrlässig.

Meiner Kenntnis nach sah die Planung vor, dass für diesen Fall Alternativen geboten werden (das ergibt sich meiner Einschätzung nach aus dem im Internet zugänglichen Quellen).

3 Die Frage kann ich nicht seriös beantworten, weil mir hierzu die Kenntnisse fehlen.

4 Es tut mir leid, aber zu Bewirtungsfragen wurden wir nicht in die Planung einbezogen.

Wie ist Lopavent auf Sie bzw. auf TraffGo HT, einem Unternehmen, welches auf die Analyse von Personenströmen und Evakuierungen spezialisiert ist, aufmerksam geworden?

Dr. Hubert Klüpfel: Durch Herrn Dr. Jaspers von Ökotec.


Hatten Sie Ihre Simulationsanalyse eigentlich dem Krisenstab im Juni vorgestellt? Waren Vertreter der Feuerwehr dabei anwesend?

Dr. Hubert Klüpfel: Wir haben unsere Analyse im Juli vorgestellt. Das Treffen fand im Rathaus statt. Dabei waren u.a. Vertreter der Stadt, der Feuerwehr und des Veranstalters anwesend. Krisenstab wurde diese Runde, so weit ich weiß, nicht genannt.


Es war die erste echte Groß- bzw. Riesenveranstaltung von TraffGo HT in Sachen Evakuierung unter eingezäunten Bedingungen bei einbetonierten Zu- und Abgangswegen ohne Flucht- und Rettungswege, richtig?

Dr.Hubert Klüpfel: Ich kann mit Ihrer „Frage“ nicht allzu viel anfangen. Es ist m.E. eher eine suggestive Behauptung, denn eine Frage.


Nimmt man den katholischen Weltjugendtag als Beispiel für eine Großveranstaltung, für die Sie ein Entfluchtungskonzept erstellt hatten, so fand dieser sicher unter anderen Bedingungen statt.

Dr. Hubert Klüpfel: Ja, räumlich und von der psychologischen Einstellung der Besucher her fand der Weltjugendtag unter anderen Bedingungen statt als die Loveparade.


Warum wurden Sie nicht von der Stadt Duisburg beauftragt, beispielsweise vom Bau- oder Ordnungsamt, der Unteren Bauaufsicht, vom Amt für Sicherheit und Recht oder vom Zivilschutzamt (welches der Feuerwehr angeschlossen ist)? Warum so kurzfristig, erst vier Tage vorher?

Hatte Lopavent (vertreten durch Herrn Rainer Schaller) Schwierigkeiten einen Gutachter zu finden bzw. war dies erst erforderlich, nachdem sich vielleicht erst das Problem mit den zu schmalen, nicht ausreichend vorhandenen Flucht- und Rettungswegen auftat?

Dr. Hubert Klüpfel: Die nach SBauVO NRW geforderte Breite von 500 Meter war nicht vorhanden. Wenn Sie es gewesen wäre, z.B. indem zur Autobahn hin breitere Fluchtwege geschaffen worden wären, dann hätte es vermutlich keine Entfluchtungsanalyse gegeben. Zu den Gründen, warum dieses Problem erst so spät erörtert wurde, kann ich Ihnen nichts sagen, da ich sie nicht kenne. Wir wurden allerdings nicht erst vier Tage, sondern mehrere Wochen vorher mit der Analyse beauftragt.


In einem auf Ihrer Homepage verlinkten SHZ-Artikel heißt es, dass sich TraffGo HT der Loveparade (also der Veranstaltungsfirma Lopavent mit ihrem Geschäftsführer Rainer Schaller) bereits 2009 empfohlen hatte. Ihr Kollege in Flensburg, Herr Meyer-König sagt, dass Ihr Unternehmen der Firma Lopavent ein ganzes Jahr lang seinen Simulationsdienst angeboten hätte (http://www.shz.de/artikel/article//der-evakuierungsexperte-aus-flensburg.html?cHash=8412621257&no_cache=1&sword_list[0]=traffgo , im 2. Absatz). Was dem widerspricht, was Sie sagen, dass nämlich der externe Brandschutzbeauftragte der Firma Ökotec, Herr Dr. Jaspers, TraffGo HT Sie, also Lopavent erst kurz zuvor empfohlen hätte. Was stimmt denn nun?

Dr. Hubert Klüpfel: Der Satz in Klammern ist falsch. Die Aussage, die sie Herrn Meyer-König unterstellen, ist falsch. Das heißt, er hat das so nicht gesagt. Herr Meyer-König sagte, dass wir uns der Loveparade als Event angeboten hatten.

Wir hatten zu diesem Thema Kontakt mit der Duisburg Marketing Gesellschaft. Darüber hinaus gab es weitere Kontakte zu Personen, die mit der Loveparade zu tun hatten. Diese habe ich davon zu überzeugen versucht, dass der Einsatz von Simulationen bei der Planung der Loveparade helfen kann und dass sie diese Information an den Veranstalter weiter geben.

Richtig bezüglich der Beauftragung ist: Herr Dr. Jaspers hat uns im Juni 2010 angerufen und uns um ein Angebot gebeten.

Unterstellt habe ich damit gar nichts, ich habe das auf Ihrer Homepage gefunden, gelesen und wiedergegeben. Zumindest hatte Herr Meyer-König bereits im Vorjahr Lopavent dies angeboten. Sehr unwahrscheinlich, wenn man danach ein Jahr lang gar nicht mehr kommuniziert hätte.

Dr. Hubert Klüpfel: Dies stimmt leider wieder nicht, eine derartige Aussage ist auf unserer Homepage nicht zu finden. Es ist schade, dass in den Medien derart viele Falschaussagen und Fehlinformationen kursieren. Für uns war dies auch eine neue Erfahrung.

Durch diesen schlussendlichen Auftrag, so Ihr Kollege, sei deutlich geworden, wie lange eine Evakuierung real dauern und wo Staus entstehen könnten. An welchen Stellen gingen Sie also von etwaigen Staus aus?

Dr. Hubert Klüpfel: Stauungen ergaben sich bei der Räumungssimulation (Räumung und Entfluchtung meinen hier das gleiche) vor den Notausgängen. Das ist nicht ungewöhnlich. Sie können aber die Details in unserem Gutachten zur Entfluchtungsanalyse nachlesen, die inzwischen frei im Internet verfügbar ist (z.B. auf den Seiten von Wikileaks).

Das Veranstaltungsgelände umfasst keineswegs nur das Partygelände, also das ehemalige Güterbahnhofsgelände (2009 in „Duisburger Freiheit“ umbenannt), sondern den gesamten Bereich bis hin zum Eingang der auf beiden Tunnelseiten vorhandenen insgesamt 32 Einlassvereinzelungsschleusen (also inklusive der beiden Tunnelzugänge, den Tunneln selber, den Bereich vor der s.g. Rampe, der Rampe an sich inkl. dem s.g. Rampenkopf, was den Bereich vor dem eigentlichen Eingang zum Partygelände meint).

Sie sagen, Sie kennen das Problem der exakten Definition und dass diese immer wieder missverständlich gebraucht wurde und nach wie vor wird. Von welcher Veranstaltungsgeländegröße gingen Sie aus?

Dr. Hubert Klüpfel: 112.000 qm. Die Entfluchtungsanalyse wurde für das Güterbahnhofsgelände durchgeführt, das heißt ohne den Tunnel Karl-Lehr-Straße. In den Screenshots der Auswertung können Sie dies schön sehen. Das ist eine vereinfachende Annahme, die dazu dient, zu bewerten, ob das von der SBauVO NRW (implizit) geforderte Sicherheitsniveau eingehalten wird. Es handelt sich hier um die Forderungen bezüglich der Flucht- und Rettungswege, insbesondere der Breite der Flucht- und Rettungswege. Darum ging es in der Analyse.

Wenn Sie mit Veranstaltungsgelände das bezeichnen, was in der SBauVO NRW Versammlungsstätte genannt wird, dann stimme ich dem zu. Dann bezieht sich allerdings meine Aussage, dass wir von 112.000 qm ausgegangen sind nur auf einen Teil der Versammlungsstätte (ohne Rampe und ohne Tunnel). Wenn es zur Autobahn hin zusätzliche Flucht- und Rettungswege gegeben hätte (so dass sich insgesamt eine Breite von 500 Meter) ergeben hätte, dann wäre unsere Analyse (und die Simulation der Evakuierung – oder genauer: Räumung) meiner Einschätzung nach nicht gefordert worden und auch für eine Genehmigung nicht erforderlich gewesen. Sie wäre also in diesem Fall nicht durchgeführt worden.

Welchen Bereich deckt diese Fläche ab, nur den Teil des Partygeländes oder auch einen Teil der Rampe ?

Dr. Hubert Klüpfel: Die Personen befinden sich in diesem Szenario auf dem „Partygelände“ (ohne die Rampe).

Sie kennen das Problem der exakten Definition des Begriffes Veranstaltungsgelände und dass dieser immer wieder missverständlich gebraucht wurde, nach wie vor falsch gebraucht wird?

Dr. Hubert Klüpfel: Ja.

War das Ihrer Meinung nach ein Versehen oder Absicht diesen Begriff quasi offen zu lassen bzw. nicht exakt zu definieren? Steht evtl. eine Methode dahinter?

Dr. Hubert Klüpfel: Ich gehe davon aus, dass es aus Unachtsamkeit geschehen ist, bzw. dass jeder davon überzeugt war, dass seine eigene Auffassung von allen Beteiligten geteilt wird und dass es hier keinen Klärungsbedarf gibt.

Können Ihrer Meinung nach weiterhin Großveranstaltungen dieser oder anderer Art stattfinden und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Dr. Hubert Klüpfel: Es können weiterhin Großveranstaltungen stattfinden. Grundlage sind die einschlägigen Gesetze und Verordnungen. Diese legen im Wesentlichen fest, welches Risiko-Niveau ich bereit bin zu akzeptieren. Im Detail hängt das natürlich zum einen davon ab, was Sie unter Großveranstaltungen verstehen. Zum anderen stellt sich die Frage, ob es neuer oder geänderter Gesetze und Verordnungen bedarf.

Sind diese Ihrer Meinung nach ausreichend? Wie wichtig sind die Aspekte Fürsorge- und Sorgfaltspflicht bei Personenstromanalysen?

Dr. Hubert Klüpfel: Die Aspekte Fürsorge- und Sorgfaltspflicht sind bei Personenstromanalysen sehr wichtig, da hiervon die gesamte Branche betroffen ist. Transparenz und Offenheit sind hierbei nach unserer Meinung das A und O. Deshalb treiben wir auch die Entwicklung einer entsprechenden Richtlinie (RIMEA) offensiv voran.

Bezüglich Ihrer Frage nach geänderten Gesetzen und Verordnungen sind wir uns selbst noch nicht einig, was der beste Weg zwischen Überregulierung und ausreichenden Gesetzen ist. Die Ergebnisse der staatsanwaltlichen Untersuchung werden diesen Punkt sicherlich beleuchten.

Worin sehen Sie die Hauptprobleme, die Ursachen für dieses furchtbare Unglück? Könnte einer der Gründe darin liegen, dass die Loveparade in den letzten drei Jahren an stets wechselnden Orten stattgefunden hat, geplant von immer wieder anderen, vor allem in Sachen Großveranstaltungen unerfahrenen Personen. Ist Ihnen bekannt oder glauben Sie, dass sich die Duisburger Planer mit den Planern in Dortmund und Essen ausgetauscht haben?

Dr. Hubert Klüpfel: Soweit wir es bisher beurteilen können, hat eine unglückliche Verkettung von Umständen zu dem tragischen Unglück geführt. Ich bin kein Jurist und kann schwer beurteilen, wer letztendlich aus juristischer Sicht die Schuld trägt. Waren es diejenigen, die gedrängelt haben? Die, welche die Treppe nicht ausreichend gesichert haben? Diejenigen, die den Zugang gesperrt haben? Diejenigen, die den Alblauf gesperrt haben? Die, die ihn genehmigt haben… Sie sehen, es ist eine unglaubliche Verkettung von Einflussgrößen und die Konzentration auf einen einzigen Schuldigen, wie sie die Medien betreiben, ist vermutlich zu einfach.

Der Wechsel des Ortes bringt sicher zusätzliche Herausforderungen mit sich. Das Gelände, auf dem die Loveparade in Essen stattfand, steht heute nicht mehr zur Verfügung. Dort befindet sich das Einkaufszentrum Limbecker Platz. Ich gehe davon aus, dass es einen intensiven Austausch zwischen den verschiedenen Städten gab.

Was die „Unerfahrenheit der Veranstalter“ angeht, sehe ich die Sache differenzierter. Die Medien schießen sich gerne auf Herrn Schaller ein und unterstellen ihm Unerfahrenheit. Das mag sogar stimmen, was dabei aber übersehen wird ist, dass nicht Herr Schaller persönlich die Veranstaltung organisiert, sondern dass Lopavent verschiedene , professionelle Veranstalter dazu angeheuert hat. Erfahrung und Wissen war also durchaus vorhanden.


Auf dem Party-, also dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände, befanden sich keine 250.000 Personen. Es heißt, dort hielten sich zu keinem Zeitpunkt mehr als circa maximal 150.000 Gäste auf, höchst wahrscheinlich sogar deutlich weniger. Der Rest der Menschen musste sich auf der Rampe, sowie in, vor und nach den Tunneln aufhalten, da es für sie nämlich kein Fortkommen gab. Es ging weder vor, noch zurück. Hätte demnach ein Entfluchtungskonzept nicht auch dort zwingend notwendig gewesen sein müssen?

Dr. Hubert Klüpfel: Wie schon gesagt, ich halte Personenzahlen jenseits der 250.000 für spekulativ und unbegründet. Ein Entfluchtungskonzept ist in der Sonderbau Verordnung (SBauVO) nicht gefordert. Diese fordert eine Brandschutzordnung und ein Sicherheitskonzept.

Wie nennt man denn dann das Konzept, welches für den Notfall entwickelt wird? Ein Notfall-Evakuierungs- oder Rettungskonzept?

Dr. Hubert Klüpfel: Wie gesagt, Brandschutzordnung, Brandschutzkonzept und Sicherheitskonzept beschreibt dabei, was in den festgelegten Notfallszenarien zu tun ist.

Ist es richtig, dass dieses sich eigentlich nur mit einem fiktiven Brandfall beschäftigt, Panik oder gar eine Massenpanik nicht einkalkuliert?

Dr. Hubert Klüpfel: Wenn Sie „fiktiv“ mit „gedacht“ übersetzen, dann handelt es sich tatsächlich um einen „gedachten“ Fall. Da Sie im Vorhinein nie wissen, was alles passieren kann und auch nicht die Zeit, bzw. das Geld dazu haben, sich auf alle möglicherweise auftretenden Szenarien vorzubereiten, versuchen Sie „fiktiv“ die wahrscheinlichsten und wichtigsten Szenarien zu finden und sich darauf vorzubereiten.

Panik oder Massenpanik würde ich eher als tödliches Gedränge bezeichnen und ich würde sagen, es berücksichtigt insofern, dass durch die Auslegung und die Gestaltung der Flucht- und Rettungswege ein solches Gedränge vermieden werden soll.


3. und letzter Teil folgt in wenigen Tagen…

Teil 1 können Sie hier lesen…

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