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Stuttgart 21: Tag X für die Baumschützer

Stuttgart 21 Ich habe mal gefragt, ob jemand wisse, worum es eigentlich geht. Bei „Stuttgart 21“, diesem Palaver um den Stuttgarter Hauptbahnhof. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Ja klar!“ Pause. „Und?“ erlaubte ich mir nachzuhaken: „Worum geht´s? Ich meine: Wogegen protestieren die Leute eigentlich?“ – „Zu teuer.“
“Wie?“ hake ich noch einmal nach. „Und deswegen ziehen die da eine Show ab, als gäbe es ab morgen kein Müsli mehr? Deswegen machen die da eine Action, als wenn dort Hochdeutsch als Pflichtsprache eingeführt werden sollte?“ – „Ach, was weiß ich …“

Okay, ich weiß es ja auch nicht. Deshalb hatte ich ja auch gefragt. Und, ehrlich gesagt: mir ist Stuttgart im allgemeinen und der dortige Bahnhof im besonderen auch ziemlich schnurze. Ich wusste sogar, wie teuer der neue Bahnhof werden soll – ich hatte ja schön aufgepasst. 4 Milliarden Euro! Inzwischen schon ein Ideechen mehr. Und, wie das halt immer so läuft: bis das Ding mal fertig ist, wahrscheinlich noch einmal ein ganzer Batzen mehr.
Zu teuer? Tja, würde ich schon sagen! Wenn stattdessen mal nur eine läppische Milliarde für den Duisburger Bahnhof locker gemacht würde, wäre das ja schon einmal eine tolle Sache. Aber deshalb machen die da doch nicht so ein Palaver! Was haben sie denn nur? Und vor allem: was heißt „zu teuer“? Wer zahlt das eigentlich alles? Und was stört die so daran? Wie gesagt: mir ist die ganze Sache eigentlich auch ziemlich schnurze.
Nur wenn da die Leute so ein Palaver machen, wie vom wilden Affen gebissen, dann interessiert man sich eben doch. Das ist ja auch der Sinn der Sache. Der Sinn einer jeden Demonstration: öffentlich auf einen Missstand aufmerksam machen. Okay, das hat geklappt. Wir haben verstanden: Ihr sollt einen neuen Bahnhof bekommen. Den wollt Ihr aber nicht. Der ist nämlich zu teuer. Richtig?
Ihr könnt Alles. Außer Rechnen?

Ich habe mir jetzt mal ein wenig im Internet angesehen, was es mit diesem „Stuttgart 21“ auf sich hat. Ganz schön viel Stoff; bis man sich darin eingearbeitet hat, braucht man etwas länger als ein paar Stündchen. Also: „eingearbeitet hätte“; denn was interessiert mich schon der Stuttgarter Hauptbahnhof …
Zu teuer? Bereits vor 15 Jahren ermittelte das verkehrswissenschaftliche Institut an der Universität Stuttgart einen volkswirtschaftlichen Nutzen von 314 Mio. DM pro Jahr, lese ich bei Wikipedia. Dürfte heute auch in Euro ein ganzes Stück höher liegen. Ob die Bahnhofsgegner dies bei ihrem Urteil „zu teuer“ berücksichtigt haben?
Die Grünen sind auch mächtig gegen „Stuttgart 21“. Parteichef Cem Özdemir, der bekanntlich aus dieser Ecke kommt, hat den „Stuttgarter Nachrichten“ heute ein Interview zum Thema gegeben. Das wäre seine Chance gewesen, z.B. Außenstehenden und Ahnungslosen wie mir z.B. ein – nur eins! – Argument dafür zu liefern, warum das „Milliardengrab Stuttgart 21“ nicht nur „noch verhindert werden kann“, sondern auch muss. Er hat die Chance nicht genutzt, der ortskundige Bundesvorsitzende. Warum nicht? Kein Profi?
Nun werden ja die „Stuttgarter Nachrichten“ in erster Linie nicht von Außenstehenden und Ahnungslosen wie mir z.B. gelesen, sondern zu einem beachtlichen Teil – obgleich in Hochdeutsch gedruckt – von echten Stuttgartern. Ob Özdemir bei denen mit seinem „Ich fordere Argumentefreiheit!“ wird punkten können?!

Nun, ich bin kein Grüner. Mitunter bin ich sogar richtig gegen die Grünen. Aber was die Verkehrspolitik betrifft – Auto, Bahn, und so – bin ich fast schon grüner als die Grünen. Und da lese ich – immer noch bei Wikipedia:
“Prognosen gehen von einer Verlagerung von rund 350 Millionen Pkw-Kilometern pro Jahr von der Straße auf die Schiene aus“ – durch „Stuttgart 21“, versteht sich. Da hätte der gute Cem doch mal die Interview-Gelegenheit nutzen können, um zu sagen: „Alles Humbug!“ Kein Profi? – Stattdessen käme es zu „jährlich rund 1,45 Millionen zusätzlichen Zugkilometern“. Okay, die Lärmbelästigung und alles – muss man natürlich auch sehen.

Gestern war richtig Zoff in Stuttgart. Es ging los mit dem Abriss des alten Bahnhofs. Es war also der „Tag X“! Ja! Das steht im „Stern“:

Für die "Baumschützer", wie sich die Gegner des Projekts Stuttgart 21 nennen, weil auch ein nahe gelegener Park den Bauarbeiten anheim fallen soll, ist jetzt "der Tag X."
Na klar, die Bäume. Ich vergaß.
"Der Abrissbeginn wird nicht dazu führen, dass der enorme Widerstand gegen Stuttgart 21 – der immer größere Kreise zieht – in sich zusammenfallen wird. Im Gegenteil, er wird ihn anheizen. Diese Eskalation haben dann aber ausschließlich die Verantwortlichen von Stuttgart 21 zu verantworten", sagt Irmela Neipp-Gereke, Vorsitzende des Stuttgarter Kreisverbandes der Grünen.
Und so sind sie natürlich nicht verantwortlich für die Eskalation, sondern eher so wehrlose Opfer dieser gewalttätigen Bagger. Stuttgarter Protestler erleben den "Tag X", heißt es auf „Welt Online“, und man leidet richtig mit ob des furchtbaren Geschehens:
“Den Massenprotesten zum Trotz wird seit heute der Stuttgarter Hauptbahnhof abgerissen. Die Demonstranten harren bis zum letzten Moment aus. Mit lautem Getöse bohrt sich der Greifer eines Baggers in einen kleinen Dachvorsprung, beißt zu und die ersten Mauersteine des Nordflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofs fallen mit Getöse zu Boden.“
Deutsche Literatur. „Die Welt“ im Arbeiterkampf; das „sozialismus.info“ steht mit Rat und tat zur Seite: „Jetzt gilt es, den Protest noch weiter zu stärken, vermehrt in die Betriebe und Stadtteile reinzuwirken, Gewerkschaften und LINKE unter Druck zu setzen.“
Denn leider fehlt es den kämpfenden Massen noch an sozialistischem Bewusstsein, was auch schon die „Welt“ andeuten musste:
Die Schar der Demonstranten ist bunt und lässt sich keinem politischen Lager zuordnen. Die einen protestieren, weil sie die Bäume im angrenzenden Park retten wollen, die anderen fürchten Verkehrsbehinderungen während der Bauarbeiten oder ein Abrutschen der Hänge.
Viele sind wegen der Kosten für die Tieferlegung des Bahnhofs in Höhe von 4,1 Milliarden Euro sauer auf die Verantwortlichen von Bahn, Bund, Land und Stadt.

Und deswegen kämpfen die „bis zur Eskalation“? Okay, wenn der Schwabe den Verdacht hat, es könnte Geld verplempert werden, dann wird er fuchtig. Schon klar. Da hat er die Mutti im Genick sitzen, die wo isch a Schwäbsche Hausfrau, und dann begehrt er auf.
Aber so doll dann normalerweise auch wieder nicht. Es ist vielmehr ein diffuser Protest gegen die Moderne, worauf der Architekt des Projektes, Christoph Ingenhoven, am 21. Juni in einem Spiegel Interview aufmerksam gemacht hatte.
Die Gegner seines Entwurfs treffen sich, wie der „Spiegel“ erwähnte, zu Montagsdemonstrationen und skandieren seinen Namen, als gelte es, seinen Skalp zu fordern
Man muss nicht für die Stuttgarter Landesregierung sein, nicht für den Bahn-Vorstand, nicht für diejenigen, die an „Stuttgart 21“ verdienen, um sich – auch ohne Expertenwissen – gegen den Aufruhr der „Baumschützer“, der „Welt“ und des sozialismus.info zu positionieren.
Nochmal: mir ist der Stuttgarter Bahnhof absolut schnurze. Ich habe nicht einmal eine Meinung dazu. Aber ich weiß, was ich von einer Koalition aus anti-ökologischen Grünen, reaktionärer Springer-Presse und linken Antisemiten zu halten habe.

Wenn der Architekturprofessor Frei Otto, der damals das Architekturbüro Ingenhoven beraten, sich aber vor etwa einem Jahr von dem Projekt gelöst hatte, im heute erscheinenden „Stern“ massive Sicherheitsbedenken geltend macht, von denen die „Baumschützer“ freilich gestern noch nichts wussten, ist diesen selbstverständlich vorrangig nachzugehen. Egal, was man zu seinen Motiven mutmaßt. Egal, welche massiven Interessen hinter „Stuttgart 21“ stehen. Egal, wie viel Geld bereits in Bewegung gesetzt wurde. Ich bin Duisburger. Mir braucht man so etwas nicht zu sagen.

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