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Darlegungen eines durchweg vernünftigen Duisburgers zum Loveparade-Desaster

Vernünftiger Duisburger
Will unbekannt bleiben:
der durchweg vernünftige Duisburger

 

Schlimm, was hier auf der Loveparade passiert ist! Ich darf gar nicht dran denken. Die ganze Sache lässt mir überhaupt keine Ruhe. Als Duisburger schämt man sich fast für dieses Unglück. Irre, was? Dabei kann Unsereins ja nun am wenigsten für diese Tragödie.
Zum Beispiel letzte Woche; da waren wir für ein paar Tage in Urlaub. Die Leute fragen einen natürlich, wo man herkommt. Ich habe dann Moers gesagt. Okay, Mülheim wäre auch gegangen. Hauptsache, man kennt die Stadt ein wenig. Nur: die Leute, die man im Urlaub so kennen lernt, kennen die Städte ja nicht.
Also fragen sie: „Wo liegt das denn?“ – „Moers ist in der Nähe von Düsseldorf“, habe ich darauf geantwortet. Im Falle von Mülheim hätte ich Essen als Nachbarstadt angegeben. Aber was, wenn sie Essen auch nicht gekannt hätten? Oder noch schlimmer: wenn sie Essen gekannt hätten.
In beiden Fällen wäre ruckzuck rausgekommen, dass ich zumindest in der Nähe von Duisburg wohne. Sowieso schon unangenehm genug; dann die große Diskussion. Irgendwann hätte ich mich verplappert, und wie hätte ich dann dagestanden?! Ich hatte wirklich keine Lust, auch noch im Urlaub meinen Kopf für diese Knallköpfe hinzuhalten!

Na ja klar; aber nun übertreiben Sie mal nicht! Wieso bringen Sie jetzt diese Schärfe in unsere gemütliche Plauderei. Ich meine: man kann sich ja über diese Dinge auch ganz vernünftig unterhalten. Ja sicher, das sagte ich ja schon: mir geht die ganze Sache auch ganz schön an die Nieren. Aber Strafprozess – wie kommen Sie denn jetzt darauf?
Ja stimmt, da hat Innenminister Jäger auch von gesprochen. So etwas kann man selbstverständlich nicht ausschließen. Dieser Psychologe von Lovapent soll ja jetzt zugegeben haben … – schlimme Sache: in dessen Haut möchte ich nicht stecken.
Nun beruhigen Sie sich mal: Rache hilft jetzt auch nicht weiter. Niemandem!
Sie haben recht: bei der Stadt ist auch nicht alles 100%ig gelaufen. Hatte ich doch auch schon gesagt, oder nicht? Wie auch immer: dieses Drama muss – da sind wir uns, glaube ich, einig – lückenlos aufgeklärt werden. So etwas geht aber nun einmal nicht von heute auf morgen. Das dauert! Immerhin leben wir in einem Rechtsstaat.
Ach, nun hören Sie aber auf! „Verbrecher“ – was soll das denn?! Ich bitte Sie: aus Ihren Worten spricht Hass. Hilft doch nun wirklich nicht weiter. Als wenn nicht so schon alles furchtbar genug wäre! Nein, so etwas sollten Sie nicht sagen. „Verbrecher“ – überlegen Sie mal: da hat doch niemand etwas extra gemacht! Klar: wer Mist gebaut hat, muss zur Verantwortung gezogen werden. Aber wir reden doch hier nicht über Verbrecher. Überlegen Sie doch mal, was Sie da sagen!

Ach so, ach Du lieber Himmel! Das tut mir leid, unendlich leid; das habe ich natürlich nicht gewusst. Mein Gott, wie furchtbar! Mein herzliches Beileid! Entschuldigen kann ich mich natürlich nicht dafür; denn ich bin ja an nichts von alledem schuld. Und die, die vielleicht irgendwie doch irgendeinen Fehler gemacht haben, können es auch nicht, weil das doch ein Schuldeingeständnis wäre. Verstehen Sie?!
Ja, das verstehe ich: das muss sehr hart für Sie sein. Aber bei allem Verständnis, seien wir ehrlich: eine Entschuldigung würde Ihre Tochter auch nicht wieder lebendig machen! Nun regen Sie sich doch nicht auf! Es ist doch so. Glauben Sie etwa, es ginge Ihnen besser, wenn irgend so ein kleiner Sesselpfurzer jetzt sozusagen als Bauernopfer auf dem Altar des strafenden Gottes geopfert würde?!
Nun haben Sie mich aber schon wieder missverstanden. Lassen Sie doch diesen komischen Bischof aus dem Spiel! Mit diesem Typen habe ich nun wirklich nicht das Geringste am Hut! Ein unsägliches Gequatsche, was dieser Typ da von sich gegeben hat. Da bin ich doch ganz auf Ihrer Seite. Aber, unter uns: wen interessiert denn so ein Kokolores? Das ist doch einfach nur belangloses Geschwätz.

Ich kann mir vorstellen, wie sehr das Ihre Frau und Sie verletzt haben muss. Wie kann so ein Würdenträger nur hingehen, und Ihrer Tochter selbst eine Schuld oder Mitschuld an ihrem Tod geben. Glauben Sie mir: auch ich habe dafür nicht das geringste Verständnis.
Andererseits, bitte verstehen Sie mich nicht falsch! Meine Tochter zum Beispiel durfte da nicht hin. Hatte ich ihr verboten – fertig! Herrgott nochmal! Nein, ich gebe Ihrer Tochter nicht die geringste Schuld! Hören Sie mir doch mal mit diesem verrückten Bischof auf!
Überhaupt: „Schuld“. Erst einmal muss die ganze Sache, wie ich schon sagte, lückenlos aufgeklärt werden. Ach so, Sie haben sich also einen Anwalt genommen. Das ist natürlich Ihr gutes Recht. Mal sehen, ob man diesem Lopavent–Psychologen etwas nachweisen kann. Die Stadt – ja sicher, wie oft soll ich das noch sagen?! Da ist auch nicht alles 100%ig gelaufen.
Was sagen Sie? Zig Andere haben sich auch einen Anwalt genommen? Aber so viele Tote gab es doch gar nicht! – Ach so, ja richtig. Sorry: all die Verletzten. Ja, die muss man ja auch mitzählen.
Wie bitte?! Viele haben sich denselben Anwalt genommen wie Sie? Ja, warum das denn? Spart man bestimmt Geld, oder? So ein Anwalt kann ja ganz schön kosten, klar. Ja, wen denn?

Gerhart Baum. Den Namen hab ich schon einmal gehört. Baum, Baum, Baum. Ach ja, der frühere Innenminister unter Helmut Schmidt. Der von der FDP. Linksliberaler Flügel, ich erinnere mich. Ein echter Mann des Rechtsstaates. Ein ganz Großer. Respekt!
Was sagen Sie? Seine Anwaltskanzlei hatte damals auch die Opfer der Eisenbahn-Katastrophe vertreten und kennt sich überhaupt in diesen Angelegenheiten bestens aus?
Na, sehen Sie mal! Dann hat der ja richtig Ahnung. Und in Sachen Rechtsstaat, da ist der FDP-Baum wirklich ein Vorbild. Muss ich zugeben. Gerade deshalb weiß der aber auch: Schuld muss erst einmal bewiesen werden. Ich sagte ja schon: die ganze Geschichte muss erst einmal aufgeklärt werden. Das alles kann ganz schön dauern.
Wissen Sie eigentlich, wie das mit den ausländischen Opfern läuft? Darum kümmern sich bestimmt die Rechtsabteilungen der Botschaften. Stimmt ja auch! Trotzdem: die müssen auch mal lernen, wie das in einem Rechtsstaat zugeht. Das läuft hier nämlich nicht so wie bei denen. Ich sage das, weil ja eine Chinesin auch dabei war.
Ich meine, da sind wir uns doch wohl einig: in einem Rechtsstaat gibt es gewisse Spielregeln. Hier erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage – oder auch nicht. Wenn ja, spricht das unabhängige Gericht ein Urteil. So geht das. Wir leben hier schließlich nicht mehr im Mittelalter. Das muss auch das Ausland respektieren. Jawohl. Und der Baum auch.

Wie bitte?! Wenn da nichts bei rauskommt, geht der Baum in Revision, meinen Sie? Sehen Sie mal! Auch das kann er ja machen. So läuft so etwas nun einmal bei uns. Bundesgerichtshof, Bundesverfassungsgericht. Aber irgendwann wird auch der Baum ein Gerichtsurteil respektieren müssen. Auch hier, ich meine: sonst war Baum doch auch immer auf Seiten der Verbrecher. Aber wenn es um diesen Lopavent–Psychologen oder diesen untergeordneten Abteilungsleiter geht, soll auf einmal CSU gespielt werden?!
Sorry, das ist mir jetzt so rausgerutscht! Ich verstehe Sie doch nur zu gut. Nur, wie ich schon sagte; durch Rache wird Ihre Tochter auch nicht wieder lebendig. Wenn Sie mich fragen, war die ganze Geschichte eine ganz unglückliche Verkettung von individuellen Schwächen. Da nützt es doch gar nichts, wenn da irgendein x-beliebiges kleines Licht rausgegriffen und abgestraft wird.
Kann man in einem Rechtssaat wahrscheinlich sowieso nicht machen. Dann wird man einsehen müssen: das ganze Ereignis, die Verkettung unglücklicher Umstände war schicksalhaft. Ja, so lautet der juristische Fachbegriff: „schicksalhaft“. Wenn Sie so wollen: eine Strafe Gottes. Wie auch immer: da macht Unsereins gar nichts dran. So etwas passiert nun mal. Schicksalhaft.

Für Ihre Tochter – hatte ich das eigentlich schon gesagt? – tut mir das alles echt leid!

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