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Von der Loveparade zu den Morddrohungen: wenn sich das Gruppendenken dreht

Warum um alles in der Welt ist Adolf Sauerland, wie es sich gehört hätte, nicht gleich nach der Katastrophe auf der Karl-Lehr-Straße zurückgetreten? Warum hat er sich und uns diese verheerende Pressekonferenz am Sonntag zugemutet? Warum hat er bis heute, Tage nach den schrecklichen Ereignissen, immer noch nicht die Kraft aufbringen können, das zu tun, was in einer solchen Situation das Selbstverständlichste ist? Warum unterlässt er es, obgleich in Folge dessen die Situation für alle immer unerträglicher wird?

In einem WAZ-Artikel, der über die Morddrohungen gegen Adolf Sauerland berichtet, lesen wir Folgendes: „Nach WAZ-Informationen hatte der Duisburger Oberbürgermeister bereits am Sonntag nach dem Unglück seinen Rücktritt erwogen, sei aber von Duisburg CDU-Chef Thomas Mahlberg überredet worden, im Amt zu bleiben.“
Aha, der Herr Mahlberg. Natürlich! Nun ließe sich freilich einwenden, Herr Sauerland sei ein erwachsener Mensch, also selbst für sein Tun und Lassen verantwortlich. Allerdings, am Sonntag, einen Tag nach dem Drama im Duisburger Kessel – wer könnte nicht verstehen, dass Sauerland in diesem Schockzustand jemanden gebraucht hat, mit dem er über schwierige Entscheidungen in schwieriger Situation hätte sprechen wollen.
Die Regel Nummer Eins, in der Depression keine bedeutenden Entscheidungen zu treffen, war objektiv außer Kraft gesetzt. Eine Entscheidung stand an, guter Rat war teuer. Sehr teuer, denn er kam von Mahlberg. Ausgerechnet von Mahlberg! Einem Windhund, dem jeder halbwegs gesunde Mensch nicht einmal fünf Euro anvertrauen würde, hatte Sauerland nun sein Schicksal anvertraut.
Ob bei diesem Beratungsgespräch unter Freunden auch die Kleinigkeit thematisiert wurde, dass Herr Mahlberg demnächst im Vorstand der Duisburger Wirtschaftsbetriebe sitzt und Herr Sauerland im Knast? Gut, ließe sich einwenden, dies wäre ja ziemlich unerheblich – wäre die Situation der beiden Freunde nicht doch irgendwie miteinander verflochten.
Inzwischen ist über das Schreiben vom 09.02.2009 des damaligen Kurzzeit-MdBs Mahlberg an den damaligen Landesinnenminister Wolf in vielen Medien berichtet worden, weshalb Herr Mahlberg es auch nicht für nötig zu erachten scheint*, es aus der Internet-Seite des CDU-Kreisverbands herauszunehmen.
Mahlberg an Wolf:

„Am vergangenen Wochenende lies die Duisburger Polizei nunmehr erklären, eklatante Sicherheitsmängel stünden einer Durchführung der Love Parade in Duisburg im Jahre 2010 entgegen. Während der Veranstalter der Love Parade noch nicht einmal eine Strecke angemeldet hat und die Gespräche zwischen Stadt und Veranstalter geführt werden, sagt Herr Cebin, wenn man die Presseberichterstattung richtig interpretiert, die Love Parade für Duisburg ab. Eine Negativberichterstattung in der gesamten Republik ist die Folge. Ich frage Sie, Herr Dr. Wolf, was treibt den Duisburger Polizeipräsidenten zu einer derartigen Handlung? Warum spricht er nicht mit den Verantwortlichen der Stadt Duisburg, sondern fügt der Stadt Duisburg einen weiteren Imageschaden zu?“

Dies liegt nun anderthalb Jahre zurück. Inzwischen ist die Pensionierung des Polizeipräsidenten Cebin Loveparade-bedingt etwas vorverlegt worden, sind städtische Mitarbeiter(innen) etwas beiseite gelegt worden – alles in bester Absicht, „einen weiteren Imageschaden“ für die Stadt Duisburg zu vermeiden.
Und so nahm das Unheil seinen Lauf. Gewiss: Sauerland hat für diese Katastrophe gerade zu stehen. Aber Leute wie Mahlberg hatten mitgemacht. Und, das ist das eigentlich Skandalöse: eben nicht nur Leute wie Mahlberg. Im Grunde haben auf die ein oder andere Art und Weise ganz schön viele – sagen wir es ruhig: fast alle – Leute mitgemacht, wenn es darum ging, in Duisburg Stimmung für diesen „Mega-Event“ zu machen.
Die Begeisterung zog sich quer durch die Politik, quer durch die Medien und – logisch – quer durch die Szene der „Popkultur“. Selbst in Kreisen, die nun wirklich mit Sauerland, Mahlberg und Konsorten nicht das Geringste zu tun hatten und haben, wurde jeglicher Einwand gegen die Loveparade weggewischt. Nach dem Motto: das mag ja alles sein; aber so eine Stadt wie Duisburg braucht nun einmal so eine Loveparade!
Heute ist dies ein Gemeinplatz, warum ich mir aus Gründen des Taktgefühls erlaube, auf jegliche Belege zu verzichten. Heute ist es sogar ein Gemeinplatz zu sagen, dass die Katastrophe absehbar war. „Die absehbare Katastrophe“ lautet der Titel des Beitrags, den Annika Joeres gestern bei den Ruhrbaronen veröffentlicht hatte.
In dem hier erörterten Zusammenhang ist auch der Kommentar von „Eva“ (Nr. 3) sehr aufschlussreich. „Eva“ wirft den Begriff “group think” (Gruppendenken) in die Debatte:

„Dieses Phänomen nennt man in der Sozialpsychologie ,group think`. Eine Gruppe von hoch qualifizierten Leuten fällt eine Entscheidung, die von den meisten Außenstehenden auf den ersten Blick als schwachsinnig erkannt wird. Von außen gesehen ist kaum nachvollziehbar, warum so viele qualifizierte Leute sich derart offensichtlich gemeinsam irren. Der Grund ist, dass innerhalb der Gruppe zuvor ein großer Druck entstanden war, sich einer bestimmten Meinung anzuschließen. Die Gruppenmitglieder beugen sich dann diesem Konformitätsdruck, obwohl sie einzeln vermutlich zu einer anderen Entscheidung gelangt wären.“

Genau wie alle anderen haben aber auch „schwachsinnige“ Entscheidungen ihre Folgen. Negative Folgen naheliegenderweise. Der Konformitätsdruck platzt, jedenfalls der bisherige. Es ist Schluss mit dem “group think”, jedenfalls mit dem bisherigen Gruppendenken.
Diejenigen, welche himmelhoch gejauchzt haben, rufen jetzt nach der Kreuzigung. Der Westentaschen-Messias vom Burgplatz erhält Morddrohungen. Sauerland muss sich und seine Familie verstecken.
Zusammen mit den zwanzig Menschen, die auf der Karl-Lehr-Straße zerquetscht wurden, ist noch viel, viel mehr auf der Strecke geblieben. Nur so wird der immense Druck, der immer noch im Duisburger Kessel ist, erklärlich. Nochmal und immer wieder: Sauerland sollte sofort seinen Beitrag dazu leisten, dass aus der ganzen Sache etwas Luft rauskommt! So einer wie Mahlberg wird ihm wohl nicht dazu raten.

 

 

* unmittelbar nach Veröffentlichung dieser Kolumne hat die CDU Duisburg die besagte Seite gelöscht. Ein Screenshot liegt der xtranews-Redaktion vor. Stefan Meiners hat den Wortlaut des Textes bei xtranews reingestellt.

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