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Hilfe! Ich bin ein Linker

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Die Frage, ob die Partei Die Linke bei der NRW-Wahl in zwei Wochen die Fünf-Prozent-Hürde überspringen und damit in den Landtag einziehen kann, gilt als offen – spätestens seit das weithin unbekannte Institut OmniQuest am Freitag ein Scheitern mit 4,8 % prognostiziert hat. Am Samstag hatte zwar das renommierte Emnid-Institut mit 6 % wieder das gemessen, was bislang als einigermaßen gesichert galt, nämlich dass die Linken im neuen Landesparlament vertreten sein werden. Doch die Sache wird knapp.

Die politische Bedeutung der Frage, ob die Linkspartei die Fünf-Prozent-Hürde in NRW nehmen oder aber knapp reißen wird, ist dabei kaum zu überschätzen. Ein schnodderiges „Dann ist sie eben draußen“ sollte den Weg zu einigen analytischen Gedanken nicht versperren.
Damit meine ich nicht die naheliegende, allerdings etwas oberflächliche Feststellung, dass im Falle eines Scheiterns der Linken entweder Rot-Grün oder weiterhin Schwarz-Gelb in der Lage sein werden, ihre jeweilige Wunschkoalition zu bilden. Das ist genauso richtig wie die Feststellung, dass jede weitergehende Prognose für diesen Fall reine Kaffeesatzleserei wäre.
Ein solches Scheitern hätte für die Linkspartei weitaus gravierendere Auswirkungen als diejenige, dass man dann in einem – selbst wenn es der des größten Bundeslandes ist – der 16 Landtage eben nicht mit einer kleinen Fraktion vertreten wäre. Unter uns: die Kompetenzen eines Landtages werden in der Tat eher über- als unterschätzt.
Doch gerade weil es sich bei NRW um das größte Bundesland handelt, könnte eine Niederlage der Linken hier den gesamten Prozess der Etablierung in den westlichen Bundesländern gefährden. Die inneren Konflikte in der noch jungen Partei – ohnehin nicht zu vergleichen mit den turbulenten Gründerjahren der Grünen – würden selbstzerstörerische Ausmaße annehmen.

Ich selbst halte – jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt – den Einzug einer Linksfraktion in den Düsseldorfer Landtag für die wahrscheinlichere Variante. Bekanntlich bringt dies die SPD in eine gewisse Verlegenheit, da es kein einziges Umfrageergebnis gibt, das die Bildung einer rot-grünen Koalition unter dieser Bedingung ermöglichte.
Die Einbeziehung der Linken in eine Regierung unter einer Ministerpräsidentin Kraft wird nicht definitiv ausgeschlossen, ohne im gleichen Atemzug darauf hinzuweisen, dass die Linken in NRW weder regierungswillig noch regierungsfähig seien. Es lassen sich hinreichend Belege dafür finden, dass Hannelore Kraft und die NRW-SPD mit dieser Einschätzung nicht ganz Unrecht haben.
Nicht nur seitens der SPD, sondern auch der Grünen, aber auch von parteienabhängigen Beobachtern wird darauf verwiesen, dass es sich bei den Linken in NRW um einen „besonders chaotischen Haufen“ handele, der sich von der Gesamtpartei substanziell unterscheide. Während die Bundespartei und insbesondere die östlichen Landesverbände für einen soliden linken Reformismus stünden, sähe das Bild im Westen ganz anders aus.
Hier wiederum böte die NRW-Linke ein besonders verheerendes Bild, was sich sehr deutlich in ihrem Wahlprogramm zeige, das – so ähnlich drücken sich wohl auch führende Leute im Karl-Liebknecht-Haus aus – einem Dokument der Regierungsunwilligkeit gleich käme.

Da ich selbst leider nicht dazu gekommen bin, dieses Werk gründlich zu studieren, bin ich sehr dankbar, dass die linker Tendenzen nicht allzu verdächtige Rheinische Post sich die Arbeit gemacht hat, die zwölf schlimmsten Passagen dieses Pamphlets den Lesern zu präsentieren. Und hier sind sie:

1) "Die Linke NRW fordert als einzige Partei in NRW einen radikalen Politikwechsel. (…) Unsere linke Alternative ist der demokratische Sozialismus."
„Radikaler Politikwechsel“ – das hat was. Es hat etwas von einer Mischung aus linker Folklore und Bürgerschreck-Radikalismus. Und der Begriff „demokratischer Sozialismus“ steht im Grundsatzprogramm meiner Partei, der SPD. 1959 kam er in Godesberg hinein, und zwar als Kampfbegriff gegen den „undemokratischen Sozialismus“, also den in der DDR.
Aber will die Linke vielleicht insgeheim doch den DDR-Kommunismus? Jetzt kommt nämlich der echte Hammer:

2) Die Linke setzt sich ein für "eine Wende in der Energiepolitik hin zu dezentralen Strukturen und eine Überführung der Energiekonzerne – in NRW RWE und E.ON – in öffentliche Hand und in demokratische Kontrolle."
Huch, demnächst verstaatlichen die auch noch meinen Kleinwagen. Haben die denn gar nichts gelernt? Fairerweise muss man zugeben: von „Verstaatlichung“ ist hier gar nicht die Rede. Und auch hier nicht, auf ihrer Webseite. Es bleibt alles ein wenig unklar; aber bestechen die Wahlthesen oder gar die Wahlplakate der Konkurrenz durch ihre Deutlichkeit?
Gestatten Sie, dass ich kurz meine Meinung zur Sache darlege. Die vier großen Energieriesen in Deutschland, in NRW also die genannten zwei, verfügen sowohl über ein Monopol bei den Netzen als auch bei den Kraftwerken. Sie nutzen dies für überhöhte Preise und politisch unerwünschte Einflussnahme. Netze und Kraftwerke gehören so schnell wie möglich getrennt. Die Netze sind zu verstaatlichen, also in Bundeseigentum zu überführen. Bei den Entschädigungszahlungen ist der gebotene Modernisierungsbedarf zu berücksichtigen.
Auch die Forderung, die gesamte Energieversorgung weitgehend zu dezentralisieren und, weil es sich um kommunale / regionale Daseinsvorsorge handelt, in die „öffentliche Hand“ zu legen, ist unmittelbar nachzuvollziehen. Hier wären etliche Detailprobleme zu erörtern; aber dies gehört ja nicht zwingend in ein Wahlprogramm.

3. "Die Linke fordert: Ein Verbot von Leiharbeit; (…) Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne sachlichen Grund abzuschaffen."
In der Kürze liegt die Würze. Schöner hätte ich es auch nicht formulieren können. Der „sachliche Grund“ für Leiharbeit sind Auftragsspitzen. Dass das Instrument der Leiharbeit inzwischen häufig dazu missbraucht wird, Stammbelegschaften durch weitgehend rechtlose Rand“belegschaften“ zu ersetzen, hat sich inzwischen bis in CDU-Ministerien herumgesprochen. Eine Rückkehr zu einer Sklavenhaltergesellschaft ist mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes nicht so ohne weiteres zu vereinbaren. Daher scheint mir im Rahmen unserer Verfassung keine Alternative zur hier zitierten Forderung der Linken denkbar zu sein.

Und so weiter, und so fort. „Der Schulinvestitionsstau muss endlich behoben“, das BAföG ausgebaut werden und das Studium gebührenfrei sein. Was würde bloß passieren, wenn man sich wagen würde, derart Abgründiges auf einer CDU-Konferenz zum Vortrage zu bringen?
Sie können sich die weiteren, von der RP als skandalös empfundenen, Thesen ja selbst ansehen. Es lassen sich Dinge finden, die einem etwas amüsant vorkommen mögen. "In einer sozialen und solidarischen Gesellschaft sollten Gerichte und Staatsanwaltschaften entbehrlich sein“, träumte auch schon Lenin den Traum vom neuen Menschen. Es könnte alles so schön sein; doch leider ist auch wiederum „richtig, dass die Justiz bei Straftaten aktiv werden muss."
Oder der Verfassungsschutz. Der soll abgeschafft werden. Da fragt man sich natürlich, ob die Linken all die Rechtspopulisten und Rechtsextremisten einfach mal so machen lassen wollen. Nein, das wollen sie nicht, und deshalb bieten sie auch eine – m.E. nicht ganz zu Ende gedachte – Alternative an: „die Verfassung schützen die Bürgerinnen und Bürger am besten selbst."
Gut, hier drängt sich förmlich auf zu polemisieren. Deshalb lasse ich es und frage stattdessen, ob es denn ein Wunder ist, dass eine Partei, die in Teilen (wie soll das eigentlich gehen?) vom Geheimdienst beobachtet wird, diesen nicht gerade sonderlich liebt. Was soll´s – die Grünen, um diesen Vergleich diesmal für zulässig zu erklären, hatten in ihren Anfangsjahren auch die Abschaffung des Verfassungsschutzes gefordert. Und? Haben sie sich jemals mit einem Parteitagsbeschluss in dieser Sache korrigiert? Ich weiß es nicht, glaube aber, sie haben diesen Programmpunkt einfach „einschlafen“ lassen.

Um noch einmal die Parallele zu den Anfängen der Grünen zu strapazieren: auch die Grünen hatten dereinst die Legalisierung von Cannabis-Produkten, also Haschisch und Marihuana, gefordert. Jetzt finden wir im Wahlprogramm der NRW-Linken diesen Satz: „Die Linke fordert `ein „Recht auf Rausch´ als Bestandteil der freien Entfaltung der Persönlichkeit und dem Recht, selbstbestimmt zu leben."
Dies ist freilich ziemlicher Stuss, aber die Forderung nach einer Entkriminalisierung von Haschisch ist es nicht. Es hieße, ein neues Fass aufzumachen, dieses Thema genauer zu erörtern bzw. die Vor- und Nachteile im einzelnen darzulegen. Hier soll der Hinweis genügen, dass der maßvolle Cannabis-Konsum faktisch bereits entkriminalisiert ist, und dass die inhaltliche Forderung nach einer Freigabe von Haschisch von einigen Polizeipräsidenten erhoben, von vielen geteilt wird.
Wie immer man dazu stehen mag: ein Beleg für die Regierungsunfähigkeit einer verantwortungslosen Chaotentruppe lässt sich auch aus diesem Punkt nicht ableiten. Genau dies ist aber in den letzten Wochen passiert. Die Zeitungen präsentierten in – je nach Art des Druckerzeugnisses – relativ großen Buchstaben Überschriften wie „NRW-Linke wollen Haschisch freigeben“, um damit die Assoziation loszutreten: da kann man mal sehen. Sie tun immer so vernünftig, sind aber in Wirklichkeit brandgefährlich.
Dabei handelt es sich bei der Legalisierung von Cannabis-Produkten um eine vernünftige Forderung, auch wenn die Begründung mit der Freiheit der Person und ihrem Selbstbestimmungsrecht auf die subjektive Interessiertheit einer handvoll Kifferbirnen schließen lässt. Und selbst wenn Sie in diesem Punkt mit der Linkspartei nicht übereinstimmen sollten, werden Sie mir doch nicht erzählen wollen, dass Sie hier einen Beleg für die Notwendigkeit gefunden hätten, diese Partei aus dem demokratischen Willensbildungsprozess auszuschließen.

Summa summarum: das Wahlprogramm des NRW-Landesverbandes der Partei Die Linke ist m.E. ganz okay. Ich würde nicht unbedingt empfehlen, es im Original zu lesen, weil ich sicher bin: selbst wenn man es täte, man würde es nicht unbedingt den Enkelkindern als Literaturtipp mit auf den Lebensweg geben. Nichts deutet darauf hin, dass es sich um ein epochales Werk handeln könnte. Es deutet ebenfalls nichts darauf hin, dass diese Partei hier ihre Fratze sichtbar gemacht hätte.
Es gibt nichtsdestotrotz eine große Zahl, eine viel zu große Zahl an Hinweisen, dass in NRW die Zeit für Rot-Rot-Grün noch nicht reif ist. Das in diesem Begründungszusammenhang häufig genannte, weil möglicherweise hier und da bewusst provozierend formulierte Wahlprogramm gehört gewiss nicht dazu.

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