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Kunduz-Affäre: Bundesanwaltschaft erteilt Lizenz zum Töten

Image by Getty Images via Daylife

Die Generalbundesanwältin hatte gesprochen! Gestern. Die Bundesanwaltschaft hat das „Ermittlungsverfahren wegen des Luftangriffs vom 4. September 2009 eingestellt”. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bekam das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Diese Kuh ist vom Eis. Diese ganze dumme Geschichte hätte schließlich beinahe seine vielversprechende Karriere beendet – trotz höchster Beliebtheitswerte. Und dann dieser Luftangriff – zu einem Zeitpunkt übrigens, worauf der Freiherr gern verwiesen hatte, als er überhaupt noch nicht im Amt war. Im Amt des Verteidigungsministers.
Schnee von gestern; die Gefahr ist gebannt. Die Sache wurde deshalb so ungemütlich für den Freiherrn, weil er, als er dann im Amt war, besagten Luftangriff zunächst als „militärisch angemessen“, später aber dann als „militärisch nicht angemessen“ bezeichnet hatte. Doch darauf weisen heute nur noch Komissköppe hin. Uninteressant. Außerdem bekommt Guttenberg auch auf der rechten Flanke Feuerschutz.

Jetzt heißt es: voran kommen, weiter marschieren! Dieser Firlefanz im Bundestag sollte jetzt auch einmal abgeblasen werden; deshalb fordert die Union sofort nach der Entscheidung der Generalbundesanwältin ein Ende des Kundus-Untersuchungsausschusses.
Aber es geht ja nicht allein um den smarten Politiker. Vor allem geht es um die deutschen Soldaten, die nun endlich Rechtssicherheit haben – erfreulicherweise, findet auch der Kölner Stadtanzeiger (ksta). Allerdings gibt das Blatt in seinem Kommentar zu bedenken:
„Tatsache ist und bleibt freilich, dass das Bombardement von Kundus militärisch nicht zwingend war und gegen Regeln der Nato verstieß.
Die Bundeswehr-Führung kann das – um ihrer eigenen Autorität willen – eigentlich nicht auf sich beruhen lassen. Denn was sind Einsatzregeln wert, wenn sie im Zweifel auch ignoriert werden können?“

Da ist jedoch der Deutsche Bundeswehrverband ganz anderer Meinung. Sein stellvertretender Vorsitzender hat vor der Einleitung eines bundeswehrinternen Disziplinarverfahrens gegen Oberst Georg Klein wegen des Luftschlags von Kundus „gewarnt“. Passenderweise ebenfalls im Kölner Stadtanzeiger, wie vorab gemeldet wird. Warnen – immerhin, das macht er, der Herr Soldatensprecher, sogar den Chefankläger beim Militärgericht. Dass der das bloß genauso handhabe wie die Chefanklägerin, die auch für Zivilisten zuständig ist. Ein Bürger in Uniform. Der warnt. Immerhin, das macht nicht jeder. Oberst Klein zum Beispiel nicht immer; trotzdem: wenn der nicht in Ruhe gelassen wird, dann:
"Die Truppe würde das mit Stirnrunzeln zur Kenntnis nehmen", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch-Ausgabe). "Sie hätte dafür kein Verständnis." Es sei "wünschenswert, wenn sich der Wehrdisziplinaranwalt der Bundesanwaltschaft anschließt", auch wenn seine Prüfung anderen Kriterien folge. Schmelzer erklärte weiter, der Bundestags-Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Kundus-Affäre mache nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens in Karlsruhe "keinen Sinn mehr. Ich würde es für richtig halten, wenn man ihn einstellt."

Schließlich ist ja sozusagen von höchster Stelle aus Oberst Kleins Unschuld festgestellt worden. Denn Taliban zu töten ist der Kern der neuen NATO-Strategie. Obama hatte das schon in seiner Berliner Rede, bevor er Präsident wurde, klar gemacht, dass vor dem Abzug aus Afghanistan die Taliban nachhaltig geschwächt werden müssen.
Als am 4. September 2009 die Tanklaster in einer Sandbank feststeckten, lockten die Taliban jedoch etliche Zivilisten mit dem Versprechen, Öl abzapfen zu dürfen, zur Stelle des späteren Luftangriffs, damit sie helfen, die Laster frei zu bekommen. Was war mit denen. Die Bundesanwaltschaft führt aus:
Bei den anderen Getöteten und Verletzten ist davon auszugehen, dass es sich um vom humanitären Konfliktsvölkerrecht geschützte Zivilisten handelte, die nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnahmen. Gleichwohl war der Angriffsbefehl völkerrechtlich zulässig.“

Wie das? Eine Lizenz zum Töten – auch Unschuldiger? – Ach nein, selbstverständlich nicht. Vielmehr haben die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft ergeben, dass Oberst Klein, wie er allerorten genannt wird, beim besten Willen nichts von den anwesenden Zivilisten wissen konnte.
Oberst Klein, der sich der Verpflichtung bewusst war, zivile Opfer soweit irgend möglich zu vermeiden, hat hierbei keine ihm gebotene und praktikable Aufklärung unterlassen. Nach Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen war in der konkreten zeitkritischen militärischen Situation vielmehr eine weitere Aufklärung nicht möglich, so dass er nach den ihm vorliegenden Informationen nicht mit der Anwesenheit geschützter Zivilisten rechnen musste … Der Beschuldigte Klein durfte davon ausgehen, dass keine Zivilisten vor Ort waren.
Tja, wenn das die Ermittlungen so ergeben haben! Ob der Behörde auch der NATO-Bericht vorgelegen hatte, aus dem der „Spiegel“ zitiert hatte? Wir hatten bereits bei der Veröffentlichung im Dezember 2009 darauf hingewiesen.
Detailliert wird darin die Chronologie der Ereignisse dargestellt; bei den angegebenen Uhrzeiten handelt es sich stets um die Ortszeit. Bei dem „Roten Baron“ handelt es sich um den Tarnnamen des Oberst Klein unterstellten Funkoffiziers.

„1.33 Uhr Einer der F-15-Piloten bittet das deutsche Feldlager um weitere Aufklärung des Tatorts. “Red Baron” hingegen gibt an die Piloten den eindeutigen Befehl des deutschen Oberst Georg Klein zum Abwurf von Bomben weiter. Sie sollen direkt auf die Sandbank gezielt werden.
1.36 Uhr Der Pilot fragt per Funk an, ob er eine Schleife in niedriger Höhe über die Tanker fliegen soll, um “die Personen auseinander zu scheuchen”. “Roter Baron” lehnt dies ab.
1.46 Uhr Der Pilot fragt per Funk, ob die Personen um die Tanker eine “unmittelbare Bedrohung” darstellen. Der Zustand des “imminent threat” ist die Voraussetzung für einen Bombenabwurf durch die Nato. Obwohl zu diesem Zeitpunkt weder Nato-Soldaten in der Nähe der Tanker sind und diese fast 15 Kilometer vom deutschen Camp entfernt feststecken, bestätigt “Roter Baron” die Anfrage und legitimiert damit den Angriff.“

Für den juristischen Laien drängen sich nach der Lektüre eines solchen Berichts allzu leicht falsche Schlussfolgerungen auf. Deshalb erklärt die Bundesanwaltschaft die korrekte juristische Sicht der Dinge:
„Rechtlich ist auf Folgendes hinzuweisen: Selbst wenn man mit zivilen Opfern einer Militäraktion rechnen muss, ist ein Bombenabwurf nur völkerrechtlich unzulässig, wenn es sich um einen „unterschiedslosen“ Angriff handelt, bei dem der zu erwartende zivile Schaden in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Erfolg steht. Dies war hier nicht der Fall: Oberst Klein hat sich trotz des besonderen Drucks der Entscheidungssituation für einen örtlich eng begrenzten Einsatz mit der kleinsten zur Verfügung stehenden Bombengröße und -anzahl entschieden.“

Oberst Klein, wie er stets genannt wird, hatte Berichten zufolge den Vorschlag des US-Piloten, es bei einer Bombe zu belassen, sich dann aber seine ursprünglich beabsichtigten fünf Bomben auf drei herunterhandeln lassen. Auch die Anregung, nur die Laster zu bombardieren, wies Klein demzufolge zurück und bestand darauf, die Menschenmenge zwischen den LKWs zu beschießen.
Herrn Klein bleibt ein Strafverfahren erspart. Besteht damit für die deutschen Soldaten, die am Hindukusch ihr Leben riskieren, jetzt endlich die ersehnte Rechtssicherheit?
In gewisser Weise schon. Die Generalbundesanwältin hat der kämpfenden Truppe eine Lizenz zum Töten ausgestellt. Eine sehr weitgehende Lizenz, nämlich eine Lizenz auch zum Töten Unschuldiger. Alles andere wäre eine Verkennung jedweder Kriegswirklichkeit. Es gibt keinen Krieg, der Zivilisten verschont.
Doch Zivilisten dürfen nicht „unterschiedslos“ getötet werden, schreibt die Bundesanwaltschaft. Insofern gibt es keinen Freibrief für Massaker. Dass die Bundesanwaltschaft das Massaker von Kunduz nicht als ein solches zu erkennen vorgibt, lässt sich m.E. nur dadurch erklären, dass sachfremde, nämlich politische, Gesichtspunkte in die Entscheidung mit eingeflossen sind.
Es geht mir nicht um den Freiherrn zu Guttenberg, und dieser Herr Klein ist mir sowieso egal. Und ich kann verstehen, dass Soldaten, die Taliban-Guerillas angreifen sollen, nicht den Staatsanwalt im Nacken sitzen haben möchten. Doch ich befürchte, dass die Lage für die Zivilbevölkerung im Norden Afghanistans nach dieser Verfahrenseinstellung gefährlicher geworden ist. Wir werden sehen.

Wir werden sehen, ob die Bundeswehr die richtigen Schlüsse zieht. Ihr Korpsgeist in Bezug auf Oberst klein verheißt nichts Gutes. Noch so ein – letztlich der Feigheit geschuldetes – jämmerliches Versagen, noch solch ein Massaker, und es heißt: Farbe bekennen! Das gilt dann für die Truppe, ihren Minister und nicht zuletzt auch für die Generalbundesanwältin.

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