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Das deutsche Wesen und die Schafszucht

Schafszucht Ich weiß: die Ökonomie ist gegenwärtig nicht das Thema, auf das sich die Leser mit Begeisterung stürzen. Sie wissen: noch so eine Finanz- und Wirtschaftkrise wie im letzten Jahr, und wir alle werden Schafe züchten müssen. Von Island lernen heißt Siegen lernen. Und Sie wissen auch, weil ja auch der Präsident und die Kanzlerin ganz offen drüber sprechen: die Gefahr eines neuerlichen dramatischen Einbruchs der Wirtschaft ist keineswegs gebannt. Das Spielkasino ist längst wieder eröffnet, es darf munter spekuliert werden, und auch der Bestand des Euros ist – trotz provisorischer Griechenland-Einigung – alles andere als gesichert.

Man weiß das alles; und doch: das ist nicht der Stoff, aus dem der deutsche Horror ist. Schweinegrippe, Klimakatastrophe, Überwachungsstaat – so etwas läuft hierzulande. In Sachen Wirtschaft zieht allenfalls die Panikmache mit der vermeintlich überbordenden Staatsverschuldung und den armen Kindern und Enkeln, die sie leider bezahlen müssen. Ansonsten gilt: alles paletti.

Was haben die Leute – ich zum Beispiel – nicht getrommelt, was als Folge der Finanzkrise nicht alles passieren könne. Und? Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist 2009 nicht – wie prognostiziert – um sechs Prozent zurückgegangen, sondern nur um fünf. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit hielt sich – nicht zuletzt wegen der Kurzarbeiterregelung – in Grenzen, und jetzt geht es wieder aufwärts.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD prognostiziert für dieses Jahr ein Wachstum von 1,3 %, für 2011 schon 1,9 %, und 2013 könnte das BIP „schon“ wieder den Stand von 2008 erreicht haben. Könnte, vielleicht, nach fünf Jahren, die mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitsproduktivität einhergehen und die sich nicht mit einer Kurzarbeiterregelung überbrücken lassen.

Dass es überhaupt wieder ein bescheidenes Wachstum gibt, liegt daran, dass die Exporte wieder leicht anziehen. Klar, denn die Realeinkommen sind wegen der gestiegenen Arbeitslosigkeit und der massenhaften Kurzarbeit gesunken, und der Staat spart, wo er nur eben kann – Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen.

Die OECD fordert, Deutschland solle seine Binnennachfrage stärken; sie rügt die deutsche Exportstrategie. Dabei ist die OECD nun wahrlich keine Organisation zur Bekämpfung neoliberaler Bestrebungen. Im Gegenteil, und deshalb staunt man in Deutschland, dass die Gralshüter des Kapitalismus auf die Idee kommen, dass ein Aufschwung nicht nur bedeutet, dass die Exporte zunehmen, sondern dass auch daheim die Unternehmen mehr investieren oder der Staat mehr für Bildung ausgibt. Vielleicht könnten auch die privaten Haushalte … okay, das hat die OECD nun nicht gerade vorgeschlagen – nicht übertreiben!

Aber auch so ist der Ärger in Deutschland unüberhörbar, dass „das Ausland“ (wieder einmal) an „unseren“ Exporterfolgen Anstoß nimmt. Jedenfalls, wenn man auf die mehrheitlich veröffentlichte Meinung hört, die die Verbindung zwischen den Monetaristen in Bundesregierung und Bundesbank auf der einen Seite und den der ökonomischen Theorie der schwäbischen Hausfrau verpflichteten Küchentisch-Haushälter auf der anderen Seite herstellt.

Die Mehrheit der Ökonomen dagegen ist sich der Gefahren dieser Wirtschaftspolitik bewusst. Dies zeigt sich bspw. im „Konjunkturschattenrat“ der FTD:

„73 Prozent der befragten Ökonomen, darunter auch Banken-Chefvolkswirte, raten der Politik, in Zukunft Überschüsse wie zuletzt von sechs bis sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu vermeiden. Damit stehen die befragten Volkswirte mit ihrer Meinung im Gegensatz zur Bundesregierung, die weiterhin ihr Ziel verteidigt, vor allem die deutschen Exporte zu stärken. „Die Existenz von größeren und anhaltenden Leistungsbilanzungleichgewichten ist unabhängig von ihrer Entstehung problematisch`, sagte David Milleker, Chefvolkswirt von Union Investment. Sie zeigten zudem, dass auch in der Wirtschaftsstruktur des Überschusslandes eine Schieflage herrsche, etwa eine zu geringe Entwicklung personennaher Dienstleistungen.“

Dennoch hält sich in Deutschland hartnäckig der Glaube, schreibt FTD-Chefökononom Thomas Fricke, „jetzt müssten alle tun, was die tollen Deutschen getan haben. Ein naives Verständnis davon, wie Volkswirtschaften funktionieren. Das deutsche Modell hat nur funktioniert, weil es andere gab, die nicht alles aufs Kürzen setzten und so Geld für deutsche Exporte hatten.“

Doch diese Tatsache kommt gegen die Mutmaßung nicht an, dass „die anderen uns nur nicht gönnen, dass wir Musterschüler sind.“ – „Deutschlands aufgeregtes wirtschaftspolitisches Selbstlob beginnt, späthoneckersche Züge zu tragen … Nur ist unsere Wirtschaft 2009 doppelt so stark eingebrochen wie die französische oder die US-amerikanische. Schlimmeres blieb nur aus, weil die Bundesregierung etliche Milliarden zur Abwehr reingeschossen hat – mit der Kehrseite, dass die Staatsschulden jetzt so hoch sind wie noch nie in Deutschland. Komischer Musterschüler. In Frankreich könnte das Bruttoinlandsprodukt Anfang 2011 wieder Vorkrisenniveau erreichen, bei uns rechnen Optimisten frühestens für 2012 damit.“

Komische Optimisten. Es ist neurotisch, wenn man es doppelt so dicke abkriegt wie die anderen, dennoch aber verbissen an einer Strategie festhält, die einem den ganzen Schlamassel eingebrockt hat. Und wenn man dann auch noch freudestrahlend erklärt, in Kürze sei wieder alles in Ordnung – dann ist die Lage schon ernst. Frau Merkel punktet damit gegenwärtig im NRW-Wahlkampf.

Es gilt als ausgemachte Sache, eben nicht nur an westfälischen Stammtischen und in den Büros ideologiegeblendeter Wirtschaftsinstitute, dass die Weltfinanzkrise von außen auf uns geschwappt sei. Das ist ja auf dem ersten Blick ganz richtig. Aber hat auch schon einmal jemand gefragt, woher das ganze „Spielgeld“ gekommen ist, das diese amerikanischen Immobilien-Schrottpapiere so unheimlich aufgeblasen hatte. Vor allem Deutschland hat damit mit seinen Ersparnisüberschüssen dazu beigetragen, eine globale Blase zu produzieren und damit schließlich die Finanzkrise auszulösen.

Die Bundesrepublik Deutschland war – ich lernte es bereits in der Grundschule – immer eine Exportnation. Und ich bekenne, dass mir diese einseitige Exportstrategie schon seit einem Vierteljahrhundert nicht geheuer ist. Doch was sich im zurückliegenden Jahrzehnt getan hat, hat eine völlig neue Qualität. Vor zehn Jahren noch machten die Exporte etwa 30 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. 2008 waren es fast 50 Prozent. Das ist krank; und dann noch den „Partnern“ zu empfehlen, ebenso zu verfahren, ist verrückt.

Für die etwas Cleveren werden die hohen Leistungsbilanzüberschüsse mit dem demographischen Wandel erklärt. Eine alternde Gesellschaft müsse Geld für später zurücklegen, und zwar am besten als Kapital in den jungen aufstrebenden Schwellenländern investieren – dort, wo es jetzt gebraucht wird, und von wo man uns demnächst die Rendite für die Rente überweisen könne.

Gar kein dummes Argument; nur: „die Deutschen haben gar keine Überschüsse mit den Schwellenländern China, Thailand, Indonesien, Taiwan, den Philippinen, Argentinien, Brasilien oder Russland, sondern (meist leichte) Handelsdefizite. So viel zum gelegentlichen Argument, die Export(überschüss)e seien halt von der großen Nachfrage nach Investitionsgütern aus den Schwellenländern getrieben. Das Desaster liegt eher innerhalb der Euro-Zone.“

Die deutschen Überschüsse im bilateralen Handel mit Polen sind seit 1998 um 209 % angestiegen, mit Frankreich um 232 % und mit Italien gar um 543 %. Oder, um Beispiele aus einer anderen Statistik zu zitieren: die deutschen Exporte nach Spanien haben im gleichen Zeitraum um 117 % zugelegt, nach Griechenland um 125 % und nach Estland sogar um 290 %.

Ich will Sie nicht weiter mit Zahlen belästigen. Und wenn Sie sich sagen sollten: „Na, das ist doch gut für uns!“, möchte ich nur darauf aufmerksam machen, dass uns dieses Leben auf Kosten Anderer bald um die Ohren fliegen wird. Von deren Widerstand können Sie täglich lesen, und die Erosion des deutschen Exportmodells hat (spätestens) mit der Weltwirtschaftskrise begonnen.

Und noch etwas: dieses „Wir“, dieses „Uns“ ist etwas undeutlich. Deutlich wird der Sachverhalt erst, wenn man sich vor Augen hält, wie sich die starke internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erklärt. Sie resultiert eben daraus, dass im letzten Jahrzehnt die Realeinkommen bei allen Konkurrenten um zwanzig oder dreißig Prozent zugelegt haben, während sie hierzulande stagnierten.

„Wir“ sind deshalb so konkurrenzlos überlegen, weil bei uns die Schulen verrotten und die kommunale Infrastruktur zusammenbricht. Der „Standort Deutschland“ ist deshalb so klasse, weil seit zehn Jahren eine Steuersenkung für Unternehmen der anderen folgt. Weil seit mindestens zehn Jahren die Senkung der Binnenkosten das A und O jedweder finanzpolitischen Entscheidung ist.

Jetzt ist es so weit, dass diese aggressive deutsche „Standortpolitik“ alles völlig aus dem Gleichgewicht gehauen hat. Auch an diesem deutschen Wesen kann die Welt nicht genesen; dieser Weg führt in die Katastrophe. Würden ihm die Andere folgen, müssten alle bald lernen, Schafe zu züchten.

Wer sich hierzulande also für bessere Bildung einsetzt oder für gesunde Kommunalfinanzen, sprich: für Musikschulen und kommunale Beratungsstellen, wer für Lohnerhöhungen, Mindestlöhne und menschenwürdige Hartz-IV-Sätze kämpft, steht nicht nur menschlich und sozial auf der richtigen Seite.

Sich für eine höhere Binnennachfrage einzusetzen, ist ein Gebot der ökonomischen Vernunft. Und es macht den Schlaumeiern an der Spitze von Politik und Hochfinanz ihr riskantes Treiben etwas schwerer.

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