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Der Brutkasten (3+4)

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Der Brutkasten (3)

3.1. / Es sieht aus, als ob ich mich besonders mit Sprache beschäftige, meinen bisherigen Bekundungen nach. So etwas vollführen Schimpansen nicht. Sie kommunizieren zwar mit allerlei Zeichen, aber nicht mit sprachlichen. Sich zu beschäftigen, ist unter Schimpansen als auch unter Menschen wichtig, Verweigerungen werden disqualifiziert. Rasch kann man in Verruf geraten, speziell Menschen prägten z.B. die Vokabel ‚faul‘, um jemanden zu beschreiben, der eine Verweigerungshaltung offenbart. Doch sich lediglich zu beschäftigen, reicht sozial nicht aus. Es bedarf weiterer Kriterien.

3.2./ Soziale Nützlichkeitserwägungen hinsichtlich ihrer jeweiligen Gruppen gibt es bereits unter Schimpansen. Futterplätze haben ergiebig zu sein, Kriegsschauplätze werden nach strategischen Vorteilen für die eigene Gemeinschaft beurteilt. Möglichst nützlich zu sein, ist ebenso in die Natur eingebettet, wie speziell mein Streben nach Autonomie. Mir allerdings wird nicht selten Argwohn entgegengebracht, ob als Graurücken unter Schimpansen oder als sprachlich Interessierter unter Menschen. Ich könnte für eine Gruppe eventuell gefährlich werden.

„Hallo“, vernahm ich unerwartet, „hallo?“ Ich blickte auf eine Maske, die Augen frei ließ. „Wir mussten sie in ein künstliches Koma versetzen.“ Offensichtlich lag ich auf dem Rücken. Plötzlich stach ein gebündelter Lichtstrahl in meine Augen, erst in meine linke, dann in meine rechte Pupille. Es sei nur ein Test, hörte ich, es tue gar nicht weh. Ein Test? Dachte ich. „Ihnen war während des Unwetters eventuell ein Balken gegen den Kopf geprallt: Verdacht auf innere Blutungen im Gehirn.“ Deshalb? Antwortete ich vermutlich, aber mir wurde schwarz vor Augen.

3.3./ Mir kam es vor, als öffnete sich eine Tür. Der Raum war viel ausgedehnter. Hier könnte ich sogar fliegen, vermutete ich, solange nichts dagegen spräche, auch ohne Hilfsmittel. Aber ich beschäftigte mich zuvor mit anderem, mit sozialen Kriterien, und mit einer möglichen Angst, falls gegen sie verstoßen wird. Ich stockte und begann zu schmunzeln: Als fliegender Graurücken-Schimpanse wäre ich in der empirischen Welt eine Sensation!

3.4./ Natürlich wusste ich, dass die Vorstellungskraft vieler Menschen arg beschränkt ist, als würden die Ergebnisse der Fähigkeit durch einen Filter gepresst. Und es gibt andere Menschen, die sich darauf spezialisiert haben, diese Behinderung auszunutzen. Je verrückter und verstiegener eine Show wäre, um so größer könnte ein Ertrag werden. Ich hätte, wollte ich nicht in einem reißerschen Showgeschäft landen, von einem fliegenden Graurücken-Schimpansen abzusehen.

3.5./ Doch woher war mir die Behinderung nicht weniger Menschen bekannt? Im Kontext jener Bemerkung über ein Unwetter, meinte ich mich dunkel an Formulierungen zu erinnern, so etwas sei unvorstellbar gewesen. Hausdächer wurden weggeblasen, Bäume knickten einfach um … Und in diesem Zusammenhang traf mich ein Balken?

3.6./ Ich spürte einen bohrenden Kopfschmerz, der vom linken Auge nach hinten zog …

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Der Brutkasten (4)

4.1./ Sprache, dachte ich, als der Schmerz nachlass, oder war es umgekehrt? Ich war nicht in der Situation, darüber zu entscheiden. Aber Sprache, setzte ich fort, könnte ein Hebel für die Vorstellungskraft sein, sobald es sich um konkrete und singuläre Worte handelte, um Worte, die Singuläres und Konkretes bezeichnen. ‚Brutkasten‘ ließe sich z.B. als ein solches Wort ausgeben, das freilich unspezifisch wäre. Allgemein ist ‚Brutkasten‘ nicht, im Gegensatz zu ,Brutkästen‘, aber eventuell abstrakt: logisch möglich wäre die Hypostase einer Brutkastenheit, einer metaphysischen Idee, aber dies ginge wohl zu weit. So etwas gäbe Sprache nicht her. Beim Wort ‚Brutkasten‘ wird bereits von etwas abgesehen: ohne Erläuterung ist es unspezifisch. Dies bezeichnet allerdings nicht einen unspezifischen Gegenstand. Unspezifische Gegenstände kommen empirisch nicht vor, zumindest meiner Erfahrung nach. Aber ich wollte auf etwas anders raus: ‚Brutkasten‘ kann zu Vorstellungen animieren …, diese könnten eventuell völlig unpassend sein, metaphysisch als auch empirisch.

4.2./ Was aber, weil ich gerade Empirie und Metaphysik erwähnte, wäre eine logische Möglichkeit? Eine ziemlich wilde Phantasie, die lediglich dadurch gezügelt wird, dass logische Widersprüche vermieden werden? Eine solche Phantasie ist naturwissenschaftlich zur Hypothesenbildung als auch literarisch interessant. Belanglos wäre sie hingegen für Langweiler, für Angestorbene.

Bitte bleiben sie bei uns“, hörte ich über mir. Erneut war ein maskiertes Gesicht zu sehen. Ich, sagte ich, bei Ihnen? „Ja, bei mir.“ Warum? Fragte ich zurück. „Uns fehlen noch Infomationen.“ Worüber? Ergänzte ich. „Was war passiert?“ Ich verstand den Zusammenhang nicht. Ich dachte, geht es nicht um mein Leben? Was soll die Fragerei? Einige Sekunden wartete ich auf eine Antwort, dann sackte ich weg.

4.3./ Bin ich jetzt tot? Wenn denken nicht zum Leben gehört, bei Wievielzellern auch immer, wäre jeder logische Schluss verfehlt. Aber kausal: setzt denken nicht Leben voraus? Ich könnte gar nicht tot sein, falls ich denke und nicht ein Denken simuliere. Sogar wenn ich lediglich simulieren würde, wäre ein Etwas vorausgesetzt, das … Also lebe ich? Vielleicht? Vielleicht gibt es andere Zustände als Leben und Tod. Sind Menschen nicht dafür bekannt, voreilig zu urteilen? Die gesamte kurze Menschheitsgeschichte lang. Logisch möglich wäre ein dritter Zustand, in der Phantasie, und es bräuchte niemand anwesend sein, der phantasiert? Das Phantastische wäre ein Zustand, aus dem sich erst Leben und Tod entwickeln? So etwas wie eine fluide Raumzeit?

4.4./ Keine Ahnung. Die Physik ist noch nicht soweit, um Antworten liefern zu können. Ich bin es auch nicht. Es war mir, als raunte ich: „Könnte es nicht etwas anderes geben als Leben und Tod?“ Und wartete auf ein maskiertes Gesicht. Aber zunächst kam nichts. Also wiederholte ich meine Frage und strengte mich an, artikulativ besonders deutlich zu werden. „Da sind sie ja wieder“. Die Maske war erneut zu erkennen. „Hatte ich Ihnen Angst gemacht? Das war nicht meine Absicht.“ Die sichtbaren Augen verrieten ein Lächeln.

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Part 5: https://xtranews.de/2022/05/30/der-brutkasten-5-id14213419.html

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