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Duisburg Marxloh: Tatsächliche Vorkommnisse oder politisch genutzte Medienhysterie?

„‚Tatort“ in Marxloh

Einige Tage nach den beiden Festnahmen in Marxloh herrscht im Stadtteil weiterhin eine gereizte Stimmung. Gemeint ist damit nicht etwa Gewalt, sondern vielmehr massive Verstimmung aufgrund der Berichterstattungen und wie Teile der Politik diese unhinterfragt übernehmen.
Was genau dort vorgefallen ist, darüber sind sich Boulevardmedien und Akteure im Stadtteil bei Weitem nicht einig.
Aufklärung könnte durch Freigabe der Einsatzvideos durch die Polizei erfolgen. Diese hat sich zur aktuellen Entwicklung der Diskussion aber noch nicht geäußert.
Geäußert hat sich binnen Stunden aber die CDU-Fraktion mit einer Pressemeldung, in der sie die Situation wie folgt beschreibt:

„Am Sonntag und Dienstag ereigneten sich bei Verhaftungen von zwei zur Festnahme ausgeschriebenen jungen Männern in Marxloh Szenen, die die CDU-Fraktion im Rat der Stadt Duisburg aufs Schärfste verurteilt. Als die Polizeibeamten versuchten die jeweils 18-Jährigen festzunehmen, rotteten sich bis zu 200 Angehörige und Unterstützer zusammen, um die Verhaftung zu stören. Dabei wurden Polizeibeamte verletzt. Dutzende Einsatzkräfte waren nötig, um die Situationen unter Kontrolle zu bringen. Nach Angaben der Polizei liegt bei einer „unbestimmten Anzahl der beteiligten Personen“ ein „Clan-Bezug“ vor.“

Diese Beschreibung ist eine Steigerung zur offiziellen Polizeimeldung. Diese spricht von keinen Zusammenrottungen, sondern davon, dass sich Ansammlungen von 30 Personen bei einem Einsatz und bis zu 200 Personen beim anderen Einsatz bildeten. In der Polizeimeldung ist auch keine Rede davon, dass sich die 200 Personen zusammen fanden mit dem gemeinsamen Ziel die Verhaftung zu stören. In der Pressemeldung findet man eher die Sicht der BILD-Zeitung, die einen Tag nach den Vorfällen mit einem Reporter vor Ort war. Zudem wird in der Pressemeldung der Polizei zum Vorfall an der Kaiser-Wilhelm-Straße angegeben, dass nur 2 Personen den Einsatz mehrfach gestört hätten und Platzverweise erhielten (anbei der Link zur Pressemeldung). Eine Person sei, nachdem sie sich weigerte den Platz zu verlassen fest gesetzt worden sei.
Augenscheinlich hatten wir es hier mit einem Routine-Einsatz zu tun, den die Polizei sehr gut bewältigt hat und bei dem es rund 40 Schaulustige gab und 2 Störer der Maßnahme. Von 200 Menschen, die die Polizei störten, bedrängten und teilweise umzingelten, wie es der Düsseldorfer Express berichtete, keine Spur. Zumal 36 Polizeibeamte, die vor Ort agierten, chancenlos gegen 200 Personen gewesen wären.

Weiter wurde in der politischen Pressemeldung erklärt dass „Polizeibeamte dabei verletzt wurden“. Die Pressemeldung der Polizei besagt zum ersten Vorfall:

„Bei dem gestrigen Einsatz verletzten sich zwei Polizisten leicht. Sie waren weiterhin dienstfähig.“

Zum zweiten Vorfall: „Bei dem Einsatz blieben alle Polizisten unverletzt.“

Bereits einen Tag später findet sich der Fraktionsvorsitzende der CDU Duisburg Rainer Enzweiler als Studiogast beiStudio47 ein. Bereits in der Anmoderation wird unreflektiert die Boulevard-Pressemeinung übernommen. Angeblich haben 200 Menschen den Einsatz gestört. Zum Beweis wird im Filmbeitrag ein Bild während des Einsatzes gezeigt, welches einen Überblick über den Platz zeigt. Der Sprecher vermeldet dazu: „Dieses Bild zeigt das Ausmaß. Rund 200 Menschen stören die Polizei bei einem Einsatz in Duisburg-Marxloh“ – Nur was sieht man auf dem Bild? Die Platzmitte komplett leer. Am Rande des Platzes vor einer Pizzeria stehen rund 30 Menschen, am rechten Bildrand weitere 4-5 und im Vordergrund beobachten weitere rund 10 Menschen das Geschehen. Die restlichen Personen auf dem Bild sind Polizeibeamte, die unter anderem den Einsatz filmen. Die private Aufnahme eines Mitarbeiters der Pizzeria, die der Xtranews-Redaktion vorliegt zeigt genau den „Gegenschuss“ zu dem Foto. Bei den Rund 30 Schaulustigen handelt es sich fast ausschließlich um Roma, die ruhig da standen und das Geschehen verfolgten .Dort Anwesende berichteten, dass sie zu Beginn des Einsatzes aufgefordert wurden den Platz, auf dem sie vorher gesessen haben, zu räumen und sich hinter die Polizeiabsperrung zu begeben, was sie dann auch getan haben. Von 200 Menschen also keine Spur. Trotzdem wird dies als Fakt voraus gesetzt und genau darauf basieren die darauf folgenden Forderungen des CDU-Fraktionsvorsitzenden. Er bezeichnet im Telefoninterview das Ganze als traurigen Vorfall und ergänzt, dass alle Befürchtungen, die man in der Vergangenheit geäußert habe, teilweise zutreffend sind. Die Befürchtung sei gewesen, dass Marxloh ein Ghetto werden könnte. Die von der CDU geforderten Maßnahmen, wie Hundertschaften, Staatsanwälte vor Ort und Videoüberwachung seien der richtige Schritt gewesen und man müsse jetzt klare Kante zeigen. Nicht erwähnt wird, dass die Duisburger CDU seit 2012 in einer Art Kooperation mit der SPD sämtliche Maßnahmen in Marxloh mit beschlossen habe und vorher sogar in der politischen Alleinverantwortung unter OB Adolf Sauerland für Marxloh war. Sicher wäre es interessant gewesen, wenn die Partei dann ihre Befürchtungen auch dahingehend artikulierte, dass sie entsprechende Vorlagen der Verwaltung abgelehnt hätte. Stattdessen gab es Einstimmigkeit mit der Partei von Oberbürgermeister Sören Link.
Die Hundertschaft, sowie die Videoüberwachung war Ländersache, die von mehreren Fraktionen im Rat gefordert wurde.

Handelt es sich hier jetzt um ein reines Wahlkampf-Kalkül a lá „Law and Order“ der in Duisburg umzusetzen ist, oder wurde die Situation hier politisch falsch eingeschätzt?

Betrachtet man die Berichterstattung von BILD ergeben sich weitere Fragen. Der Reporter beschreibt Marxloh als echtes Ghetto. Ursache hierfür sei der hohe Migrantenanteil von über 90%. Eine klare Falschaussage. Marxloh hat eine Migrantenq-Quote von rund 50%. Natürlich liegt diese im sogenannten Migranten-Viertel rund um das Pollmannkreuz höher. Dieser Bereich macht aber weit weniger als 1/3 der Gesamtfläche von Marxloh aus.
Weiter passt der Hintergrund der Liveschaltung ins BILD-Studio so gar nicht zu einer eskalierenden Situation. Die gesamte Straße ist ruhig. Ab und zu geht jemand vorbei. Ein Rollerfahrer rauscht durch die Szene. Dann kommt plötzlich der Eierwurf auf den Reporter, der sich lediglich imaginär den Arm abwischt und dann ganz routiniert weiter moderiert. Kein Zusammenzucken, kein Wackeln der Kamera. Entweder haben Kameramann und Reporter Kriegsgebietserfahrungen oder es tun sich weitere Fragen auf.

Auch die SPD hat inzwischen Stellungnahmen abgegeben. Nicht als offizielle Pressemeldung, sondern auf den jeweiligen eigenen Facebook-Plattformen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir findet: „Bei erkennbar nicht rechtstreuen Menschen, die von vornherein die Anwesenheit der Polizei missbilligen, kann und muss man mit einer robusten Strategie herangehen, um die Situation zu deeskalieren und Störer von Opfern zu unterscheiden.“
Gleichzeitig konkretisiert er seine Aussage aber dahingehend:“ Ich finde auch, dass man die verantwortlichen Störer zur Rechenschaft zieht statt pauschal zu kriminalisieren.“ – Özdemir fordert eine erhöhte Polizeipräsenz im Stadtteil, um den Bürgern ein besseres Sicherheitsgefühl zu geben und gleichzeitig auch engmaschig durchgreifen zu können, wenn Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen werden.

In dieselbe Richtung zielen auch die Statements des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters von Hamborn, Claus Krönke (SPD), der nur 50 m vom Ort des Geschehens weit weg wohnt. Auch er fordert eine erhöhte Präsenz der Ordnungskräfte im Stadtdteil, aber nicht in Form einer Hundertschaft, die zu Einsätzen „einfliegt“, sondern in Form einer festen Struktur, die sich somit auch auf Dauer Respekt im Stadtteil verschafft. Weiter müssten alle Maßnahmen im Stadtteil endlich komplett vernetzt und aufeinander abgestimmt werden.

Mahmut Özdemir äußert sich gar nicht zu Zahlen von Störern, Zusammenrottungen und Presseberichten – vielleicht aus gutem Grunde. Oft genug sind Politiker falschen Meldungen aufgesessen, haben Stellung bezogen und standen nach Aufklärung der Situation bloßgestellt dar. Krönke äußert sich als jemand, der vor Ort lebt und die Menschen kennt. Er sieht den Stadtteil durch die reißerische Berichterstattung wieder mal deutschlandweit stigmatisiert. Die gute Arbeit vieler Organisationen sei und wird durch solche Berichterstattungen geschädigt.
Auch er sei froh, dass die beiden jugendlichen Täter endlich hinter Gittern sitzen, wobei er sich eher wundert, dass sie teils monatelang unbehelligt durch den Stadtteil laufen konnten bis es zur Festnahme kam. Ihn wundert es zu Recht, wo die 200 Störer her gekommen sein sollen. Auf den Fotos sieht man eher Roma, die immer bei schönem Wetter an diesem besagten Platz sitzen. Diese würden eher Beifall klatschen, wenn ein Libanese verhaftet werden würde, weil das Verhältnis zwischen den Communities eher durch Diskriminierung geprägt sei, als durch Zusammenarbeit.
Besonders ärgert ihn die Berichterstattung des „Express“, die die BILD Berichterstattung noch einmal toppt. Dort sollen die besagten 200 Störer die Polizei sogar umzingelt haben. Gleichzeitig saugt sich die Zeitung aus den Fingern, dass es sich hier um einen neuen Clan handelt, bei dem aber noch niemand wisse, wo er her kommt und wie er sich nennt. Wenn er die Fotos und Videos so betrachte, dann wisse er genau, wie der Clan heißen müsste, wenn es denn einer wäre. „Da sehe ich ganz klar den Clan aus der Familie „Sputare semi di girasole“ . – Das sei italienisch und bedeutet “Sonnenblumenkerne spucken”. “Die da gefilmt und fotografiert wurden sind Südosteuropäer, die genau durch dieses Verhalten negativ im Stadtteil auffallen, aber nicht, indem sie Polizisten angreifen.”

Krönke hat vor Ort mit vielen Leuten gesprochen, sich Videos angesehen, Fotos analysiert. Für ihn klafft eine große Lücke zwischen der Berichterstattungen und dem, was ihm Leute berichten, die nachweislich nichts mit der Szene zu tun haben und nur zufällig vor Ort waren. Auf seiner Facebook-Seite nimmt er dazu Stellung, dass die Zusammenhänge eher so verwirrend sind, dass er sich eine Aufklärung der wirklichen Lage durch die offiziell gemachten Videos wünsche.

„Die Polizei hat ihren normalen Job gemacht“, so Krönke. „Für mich sieht es bei den ganzen Widersprüchen schon fast so aus, dass die Polizeibeamten hier instrumentalisiert wurden. Zu welchem Zweck auch immer“.

Eines dürfte durch diesen Vorfall klar sein: Der Wahlkampf in Duisburg hat endgültig begonnen.
Wer seine Wahlkampfstrategie alleine auf die Berichterstattungen der Boulevardblättern setzt, kann sicher sein, das der Schuss nach hinten los gehen wird. Es wäre blamabel, wenn sich im Nachhinein die zu Grunde liegende Situation völlig anders darstellt. Dies wieder rum wäre der „Joker“ für die Duisburger SPD, die sich derzeit extrem mit Bewertungen zurückhält. Bestätigt sich die Presseberichterstattung, haben mit der SPD und CDU zwei Parteien ein Erklärungsproblem, denn beide haben in den letzten 8 Jahre alle Entscheidungen die den Stadtteil Marxloh betreffen, gemeinsam getroffen.

Leidtragend sind mal wieder einmal alle Marxloherinnen und Marxloher,  auf deren Rücken sich Andere wieder profilieren wollen. Sei es als Retter des deutschen Rechtsstaates oder als derjenige, der den reißerischsten Bericht zur verfehlten Integrationspolitik 2020 zu verantworten habe und damit deutschlandweit Aufmerksamkeit erzielte.
Was jetzt nötig ist: Eine genau und auch belegbare Aufklärung der tatsächlichen Vorgänge. Sachlich und objektiv.
Krönke beschreibt die Situation auf seiner Facebook-Seite wie folgt:

„Es kommt irgendwann der Zeitpunkt, wo der Mob tobt und die Hexe einfach verbrannt werden muss… egal wie die wirkliche Fakten-Lage ist.“

Genau dieses müsse seiner Meinung nach vermieden werden. Inzwischen seien die sozialen Medien voll mit unreflektierter Hetze, pauschalen Stigmatisierungen seines Stadtteils und lauten Forderungen nach Massenabschiebungen. Der entstandene Schaden sei irreparabel, aber durch eine objektive Betrachtungsweise zu mindern. Xtranews wird über die weiteren Entwicklungen in diesem Fall berichten, sobald erste Fakten vorliegen.

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