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Die Zeit ist reif für einen aufgeklärten Populismus

Nichts genießt in linksliberalen Kreisen einen so schlechten Ruf wie der Populismus. Dabei ist der Populismus die einzige Chance, eine politische Mehrheit für eine bessere Gesellschaft zu erreichen. Freilich sollte dieser bessere Werte verkörpern als das trügerische Erfolgsmodell des Rechtspopulismus.

Die jetzige Zeit scheint es nicht gut mit ernsthaften Politikern zu meinen. Die Aufmerksamkeitsspanne der Wählerschaft hat sich verkürzt – wo früher lange Zeitungsartikel gelesen wurden, wird sich heute durch die Social Media geklickt. Wenn komplexe Zusammenhänge erörtert und Details verhandelt werden, gähnt der Zuhörer irgendwann nur noch und wendet sich ab. Stattdessen scheint die große Stunde der Vereinfacher geschlagen zu haben: Donald Trump sagt „Make America great again“, Erdogan verdächtigt politische Gegner als Terroristen und Putschisten, Sebastian Kurz schließt mal eben die Balkanroute, Viktor Orbán verteidigt das christliche Abendland gegen jegliche Aufnahme von Flüchtlingen. Und die politische Linke steht als Statist daneben und schaut ohnmächtig zu.

Von GrüneSHEigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

Nun ist das Verstörende an den oben genannten Beispielen allerdings nicht, dass diese Politiker auf Beliebtheit beim Volk abzielen oder dass sie Kompliziertes auf den Punkt zuspitzen. Im Gegenteil: Ich möchte sogar behaupten, dass diese Eigenschaften dazu notwendig sind, um sich Gehör für wichtige Anliegen zu verschaffen und vom Volk verstanden zu werden und damit sich der Wähler hier gut aufgehoben fühlt. Schlimm sind andere Dinge: Diese Politiker verbreiten Lügen, und sie spalten die Gesellschaft, indem sie Hass gegen bestimmte Feindbilder schüren. Aber gibt es nicht auch einen gutartigen Populismus?

Bleiben wir bei den Feindbildern. Der Rechtspopulismus überhöht seine eigene nationale Identität, um andere zu verachten. Er ist darauf angewiesen, keinesfalls bestehende Probleme zu lösen, sondern sie immer wieder zu benennen oder sogar eigene Probleme zu schaffen – denn sobald die Probleme gelöst sind, hat der Rechtspopulist ja seine Existenzberechtigung verwirkt. Damit kommen wir der Sache näher, wie denn nun ein guter Populist aussehen sollte: Er sollte real existierende Probleme erkennen und sie zupackend lösen. Und er sollte über das, was von Wählern als Problem empfunden wird, offen und konstruktiv kommunizieren, statt um den heißen Brei herum zu labern.

Um Probleme zur Zufriedenheit vieler zu lösen, ist es wichtig, dass jeder die Verbesserung deutlich spürt, dass man sich enthusiastisch an ihr freuen kann. Niemand kann etwa den „Vereinigten Staaten von Europa“, die Herr Schulz einführen wollten, oder dem von den Grünen 2013 geforderten „Veggie Day“ irgend eine konkrete Verbesserung abgewinnen. Ergo: überflüssig wie ein Kropf. Zugleich sollte die Aufmerksamkeit von etwaigen nachteiligen Auswirkungen abgelenkt werden.

Ich will ein aktuelles Beispiel anführen: Um wegen der chronisch erhöhten Stickoxid-Werte in deutschen Großstädten Fahrverbote und eine Strafzahlung an die EU zu vermeiden, hat die deutsche Regierung in einem Brief als mögliche Maßnahme die Einführung eines kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs vorgeschlagen – zunächst testweise in einigen Modellkommunen. So sollen Pendler dazu motiviert werden, ihr Auto stehen zu lassen, um den Schadstoffausstoß zu senken. Wie schon die Homo-Ehe, hat auch hier ein vorsichtig lancierter Testballon der Merkel-Regierung eine beachtliche Eigendynamik in der öffentlichen Diskussion entwickelt. Denn eine solche Lösung würde voraussichtlich zu einer verminderten Luftbelastung führen, Bus- und Bahnfahrer finanziell entlasten und den verbliebenen überzeugten Autofahrern eine freiere Fahrbahn mit weniger Staus bescheren .- eine klassische Win-Win-Situation. Entsprechend euphorische Reaktionen löste der Vorschlag in den sozialen Medien aus.

Nun wäre das neurotische Deutschland nicht das neurotische Deutschland, wenn sich nicht sofort auch die schlecht gelaunten Bedenkenträger zu Wort melden würden. Da wir leider hierzulande keine Unternehmerkultur haben, in der „Unternehmer“ von „unternehmen“ kommt, treten sofort die Wirtschaftsvertreter auf die Bremse. Auch die Verkehrsbetriebe selbst fürchten sofort darum, bei der Finanzierung Abstriche machen zu müssen, anstatt sich einfach mal locker zu machen und die Chance zu sehen. Fast am enttäuschendsten aber fand ich die Reaktion der Grünen, die im nordrhein-westfälischen Wahlkampf die sicherlich auch gute Idee eines einheitlichen NRW-Tickets für 2 € pro Tag ins Spiel gebracht hatten und nun sichtlich missgünstig und miesepetrig zur Kenntnis nahmen, dass ihnen ausgerechnet die GroKo die Show gestohlen und mit einem radikaleren Vorschlag aufgewartet hatte.

Nun kann man natürlich kritisch anmerken, dass sich von einem Tag auf den anderen der Fuhrpark nicht erweitern lässt und die Busse und Bahnen vorübergehend gerammelt voll sein werden. Man kann auch fragen, ob wir uns das denn alles leisten können – nur denke ich, solange für ein größenwahnsinniges Projekt wie Stuttgart 21 das Geld keine Rolle spielt und solange der Bundeshaushalt jährlich zweistellige Milliardenüberschüsse einnimmt, dürfte auch die Finanzierbarkeit des ticketlosen ÖPNV kein Problem darstellen. Diese angebliche wirtschaftliche „Vernunft“, die gegen jede Verbesserung kleinliche Bedenken anmeldet und hinter der sich in Wahrheit Geiz und Unfähigkeit zum Genuss verbergen, ist wirklich eine Pest! Geld, das ein reiches Industrieland zielstrebig in seine Lebensqualität investiert und ja auch letztlich in einen vitalen Wirtschaftskreislauf einschleust, ist in jedem Falle gut angelegt.

Und wenn das Projekt misslingt? Dann sind die Verluste immer noch überschaubar – aber ist denn das ein triftiger Grund, gar nichts mehr zu riskieren? Wenn wir jegliche Form von Veränderung ablehnen, können wir uns ja gleich bei lebendigem Leibe einbalsamieren lassen. Der neue Koalitionsvertrag der GroKo ist trostlos genug – da giert das Herz doch mal nach einer richtig tollen Vision!

Nach diesem Muster sollten wir auch in anderen Politikbereichen endlich Nägel mit Köpfen machen: Der Pflegenotstand wird immer dramatischer, und die Deutschen müssen sich wie kein anderes Volk davor fürchten, mal alt und gebrechlich zu werden? Lasst uns endlich genügend Personal einstellen und dieses anständig bezahlen und es nicht bei dieser lächerlichen Mikromanagement-Lösung aus dem Koalitionsvertrag von 8.000 neuen Kräften für ganz Deutschland belassen! Immer mehr junge Menschen hangeln sich an sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen durchs Leben? Schafft sie endlich ab und lasst unsere überbezahlten und verweichlichten Manager herumjammern, so viel sie wollen! Und warum werden die Ärmsten der Armen, die Hartz-IV-Empfänger mit Sanktionen schikaniert? Schafft endlich die Sanktionen ab, statt die hoffnungslosesten Fälle noch in prekäre Jobs prügeln zu wollen und dafür Obdachlosigkeit, Stromsperren und Überschuldung zu riskieren! Ihr wollt Kinder fördern und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern? Erlasst den Eltern die Kita-Gebühren! Das Glas mag halb leer sein, aber zugleich ist es aus einer anderen Perspektive auch halb voll. Und die deutsche Rotweinflasche ist, nachdem wir jahrelang unter unseren Verhältnissen gelebt haben, noch ganz voll – also lasst uns einen großzügigen Schluck direkt aus der Pulle nehmen!

Die Zeit der halbherzigen Kompromisse, über die man sich als Wähler nicht wirklich freuen kann, sollte endlich vorbei sein. Wofür werdet Ihr eigentlich so hoch bezahlt, liebe Parlamentarier – um uns das Spiel des Lebens zu verderben? Das Frustrierende an der geplanten Neuauflage der Großen Koalition ist ja, dass die Merkel-CDU fast keine eigenen Ideen einbringt und sich stattdessen als bürokratische Genehmigungsbehörde aufplustert, die die vermeintlich größenwahnsinnigen Ideen der SPD mit strengem Blick auf Machbarkeit untersucht und mit Pipi verwässert. Ihr seid unsere Volksvertreter; und statt Euch gegenseitig zu bekriegen oder verbissen irgend welche kruden Ideologien durchzuziehen oder gleich die ganze Welt verbessern zu wollen, solltet Ihr Euch einfach das Ziel setzen, unser Leben angenehmer und leichter zu machen. Macht Euch nicht ins Hemd, dass hinter jeder Tür ein Pferdefuß lauern könnte, wenn Ihr Dinge beherzt anpackt – er lauert nicht, alles wird gut!

Entscheidend ist, dass Ihr diese Änderungen möglihst charmant umsetzt. Um bei dem Beispiel mit dem ÖPNV zu bleiben: Einige Befürworter diskutieren eine dem Rundfunkbeitrag vergleichbare Sonderabgabe. Leute, lasst es einfach bleiben! Jede noch so geringe und noch so sinnvolle neue Abgabe ist extrem unpopulär und ruft massive Proteste hervor. Baut das irgendwie möglichst unauffällig in den Bundeshaushalt ein, und gut is‘! Ach ja, und wo wir schon mal dabei sind: Hört endlich auf mit Eurer Theoretisiererei über Steuererhöhungen! Der Wähler findet es gerecht und hat es sich nach eigener Auffassung redlich verdient, dass er mehr und nicht weniger im Portejuchhee hat.

Und last but not least: Die wandelnde Büroklammer ist out, auch der blutrote Zickenkrieg zwischen Katja Kipping und Sahra Wagenknecht wirkt mittlerweile ziemlich abtörnend. Der moderne Politiker des 21. Jahrhunderts ist gut gelaunt und zugleich ernsthaft, spricht in der einfachen Sprache eines Volkstribuns intellektuelle Gedankengänge aus, ist bescheiden und lässig, aber das mit Charisma und voller Überzeugung. Frankreich hat Emmanuel Macron, Kanada hat Justin Trudeau und die amerikanischen Demokraten Bernie Sanders – wir haben Robert Habeck und Annalena Baerbock!

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