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Dortmunder Nordstadt: Neulich in der „No-Go Area“

Vor einigen Monaten erregte die Polizeigewerkschaft mit der Äußerung öffentliche Aufmerksamkeit, bestimmte Straßenzüge im Ruhrgebiet, beispielsweise in Duisburg-Marxloh oder der Dortmunder Nordstadt, seien rechtsfreie Räume, die von kriminellen Banden beherrscht. Ist das wirklich die „Werbung“, die gebraucht wird? Ein Besuch in der Dortmunder Nordstadt.

 

Dortmund-Mallinckrodtstraße

Die soziale Spaltung des Ruhrgebiets ist nicht neu, sie wurde ihm mit der Aufteilung in einen industriellen Norden, die Emscherzone, in der die verdichteten Arbeitersiedlungen sich neben den Fabriktoren befanden, und das reiche Ruhrtal im Süden mit seinen Villenkolonien in die Wiege gelegt. Und die A40 wird auch „Sozialäquator“ genannt. Zwar kann man problemlos vom Norden in den Süden fahren und umgekehrt – nur: Die Leute tun es viel zu selten und bekommen deshalb auch zu wenig mit, was auf der anderen Seite los ist.

 

Die Dortmunder Nordstadt war in ihren Anfangstagen durch einen ebenerdigen Bahndamm von der Innenstadt abgeschnitten; man musste eine Bahnschranke am Burgtor überqueren. Dadurch führte die Nordstadt von Geburt an ihr eigenes Leben, das durch Industrie (Hafen, Hoesch-Stahl, Bierbrauereien) und eine starke sozialistische Arbeiterbewegung geprägt war. Die Nordstadt gehörte zu den „roten“ Stadtteilen, in der es den größten Widerstand gegen die Nazis gab. Dennoch wurde sie besonders stark im Zweiten Weltkrieg bombardiert – weil die Stahlwerke getroffen werden sollten.

 

Auch als Vergnügungsviertel hat die Nordstadt eine lange Tradition. Der Fredenbaum war früher ein Vergnügungspark, der darin eröffnete Lunapark eine Art Wiener Prater im Kleinformat. Bordelle haben eine lange Geschichte, ebenso die weit über die Stadtgrenzen bekannten Steinplatz, den man irgendwann in „Freiherr-von-Stein-Platz“ umbenannte, um einfach seine Vergangenheit abzuschütteln. Und schon immer stand die Nordstadt unter besonderer Beobachtung der Polizei. Die Nordstadt ist auch schon lange multikulturell – vor hundert Jahren wanderten viele Polen in das Ruhrgebiet ein, und als in der Nachkriegszeit das Wirtschaftswunder blühte, zogen viele Gastarbeiter zum Arbeiten hin.

 

Wie auch im Duisburger Norden war man leider nicht zimperlich, einfach Wohnungen für die Industrie abzureißen. So wurde zum Beispiel die im Krieg stark zerstörte Werkssiedlung Unionvorstadt nur sehr schleppend wiederaufgebaut und musste schließlich der Erweiterung des Kanalhafens weichen. Die Kahlschlagsanierungen führten auch zum Bau von Hochhäusern, die sich wie die „Weißen Riesen“ in Duisburg zu Problemimmobilien entwickelten. Verheerend wirkte sich der Verkauf von Werkswohnungen an Immobilienhaie aus anderen Städten wie München oder Frankfurt aus. Die waren nämlich nicht daran interessiert, die Wohnungen für die bisherige Mieterschaft in Stand zu halten. Stattdessen ließen sie – was teilweise wie in anderen Städten zu Häuserkämpfen führte – Wohnungen verwahrlosen, indem selbst notwendige Instandsetzungsmaßnahmen nicht durchgeführt wurden, und wurden andere Wohnungen, teilweise nachdem man die alten Mieter vertrieben hatte, aufwändig saniert. Denn auch das fällt auf, wenn man einmal am Borsigplatz, am Nordmarkt, an der Mallinckrodtstraße, an der Münsterstraße hochschaut: In der Nordstadt sind einige wunderschöne Jugendstilbauten erhalten geblieben.

 

Dortmund Borsigplatz

Schwer getroffen wurde die Nordstadt Anfang der 1990er durch die feindliche Übernahme von Hoesch-Stahl durch den Krupp-Konzern, die ebenso wie die Schließung des Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen in der Ära Gerhard Cromme stattfand und letztlich zur Schließung der Westfalenhütte und damit verbunden einem großen Aderlass an Arbeitsplätzen führte. Ein Problem ist die große Verkehrsbelastung an den Hauptverkehrsstraßen. Heute steht die Dortmunder Nordstadt unter Quartiersmanagement, um mit Hilfe von Fördermittel und Projekten die weitere Entwicklung positiv zu beeinflussen.

 

Nun habe ich in Kurzfassung die Geschichte der Nordstadt zusammengefasst – einer fast schon eigenen Mittelstadt mit ungefähr 50.000 Einwohnern, die lange Zeit vielen Menschen Arbeit gegeben und viel Stahl und andere Güter produziert hat. Die aber häufig genug von Stadtplanern, die nicht in ihr lebten, als Manövriermasse behandelt und gegenüber dem bürgerlichen Süden benachteiligt wurde. Alt ist das böse Sprichwort: „Im Norden wohnen die Horden.“

 

Das ist nicht nur ungerecht, sondern mit dieser Einstellung entgeht einem auch der besondere Reiz der Nordstadt. Stattdessen sollte doch lieber das Motto der Bierbrauer Habich gelten, die die Borussia-Brauerei betrieben: „Im Norden geht die Sonne auf!“ Denn auch wenn die Rahmenbedingungen schwierig sind, lebt der Stadtteil und bahnt sich seinen eigenen Weg. Davon, sich ihr eigenes Umfeld zu organisieren, lassen sich die Menschen schließlich nicht abhalten. Einige Studenten wohnen dort – in dieser Phase des Lebens ist man manchmal noch aufgeschlossener und will zum Wohnen nicht einfach nur „seine Ruhe haben“.

 

Oder man kann doch einfach mal einen Ausflug in die Nordstadt machen! Ich besuche sie gerne wegen ihrer Gastronomie. Besonders die Münsterstraße ist eine Hauptschlagader, eine Hochburg der orientalischen Küche, mit einigen interessanten Geschäften dazwischen. Mein Favorit neben den ebenfalls empfehlenswerten ist das marokkanische Restaurant „Marakkesch“ mit seinem Köstlichkeiten zu äußerst fairen Preisen, dem sehr netten Service und der stilvollen Inneneinrichtung – wo gibt’s schon marrokanische Kacheln? Für mich ist es ja immer eine Empfehlung, viele Landsleute drinnen speisen zu sehen – dann weiß ich, es ist kein szeniges Schickimicki-Lokal und kein Touristen-Nepp, sondern authentisch und frisch. Schön ist an Markttagen auch ein Besuch auf dem Nordmarkt. Zum einen ist der große parkähnliche Platz wirklich sehr schön angelegt; zum anderen ist es wirklich ein Highlight, bei den vielen türkischen Händlern Obst und Gemüse einzukaufen und die Basarstimmung zu genießen. Auch türkische Bäckereien und Läden mit einer schönen Auswahl an Trockenfrüchten und Nüssen gibt es in der Nordstadt.

 

Unbedingt ansehen sollte man sich den schmucken Borsigplatz – allein schon, weil dort Borussia Dortmund gegründet wurde! Wenn man schon mal dort ist, lohnt ein Besuch im Hoesch-Museum auf dem Gelände der ehemaligen Westfalenhütte – ein wichtiges Stück deutsche Industriegeschichte Und auch ein Spaziergang im heutzutage verwunschen wirkenden Fredenbaumpark lohnt sich – Dortmund hat nicht nur den Westfalenpark.

 

In vielen wachsenden Großstädten werden Arbeiterquartiere und multikulturelle Viertel „gentrifiziert“: Zuerst ziehen die Künstler, Studenten und Intellektuellen wegen der günstigen Mieten hin. Durch das alternative Flair wird das Viertel für Makler interessant, die kühl rechnen, wie sie die „Aufwertung“ zu Geld machen können, indem sie das Viertel für die vielen Wohnungssuchenden attraktiv machen. Irgendwann ziehen dann die verwöhnten „Bobos“ (=“Bourgeois Bohemiens“) hin, die „Bionade-Schickeria“, die häufig gut verdient und die bisherigen Bewohner verdrängt. Bekannte Beispiele für solch eine Entwicklung sind Hamburg-St. Pauli, Berlin-Neukölln oder Düsseldorf-Flingern, die früher durchaus teilweise mit der Dortmunder Nordstadt vergleichbar waren. Von solch einem Trend ist die Nordstadt weit entfernt, was vor allem daran liegt, dass im Ruhrgebiet die Bevölkerung eher schrumpft. Deshalb kommt es hier selten vor, dass schwierige Viertel plötzlich hip werden. Dadurch ist die Nordstadt ständig vom Abstieg bedroht; andererseits ist und bleibt sie mit ihrem herben Charme ein „ehrliches“ Viertel und wird ihre Lebendigkeit nicht durch „Öko-Spießertum“ eingeschläfert.

 

Die Rede von den „No-Go Areas“ ist sicherlich übertrieben. Dahinter steckt die Polizeigewerkschaft; die vertritt die Interessen ihrer Mitglieder, die mehr Personal wollen, und interessiert sich herzlich wenig für das Image von Dortmund. Und dann ist da noch der „Tatort“ aus Dortmund, den ich ja als Stadtwerbung genau wie den Schimanski in Duisburg für ein sehr zweischneidiges Schwert halte…

Den ganzen Artikel können Sie in der neuen Bachtalo 1/2016 lesen

 

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