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Hass lebt…

Etti Ruhöfer

Es war ein Arbeitstag wie jeder andere, doch ich fühle mich erschöpfter als sonst, habe keine Lust mit Ruth ins Kino zu gehen, wie es eigentlich geplant war. Weshalb sich zwingen – unter die Leute mischen, wo es doch im Heimkino gemütlicher ist und heute ein interessanter Film läuft?

Auf dem Weg in die Küche schleudere ich die Schuhe von den Füßen, schlüpfe in die Pantoffeln aus Lammfell, setze Teewasser auf. Ruth ist sauer, als ich ihr am Telefon sage, dass ich nicht mitkomme. Der Wasserkessel ruft mich an den Herd zurück, kurz darauf zieht Teeduft durch die Wohnung, verbreitet Behaglichkeit. Als ich die Kerze mit den schönen Ornamenten anzünde, ist es so richtig heimelig. Ich werfe mich in die Kissen, horche auf das dumpfe heftige Pochen in meinem Körper, und warte, bis es ruhiger geworden ist.

Ein Druck auf die Fernbedienung – statt des angekündigten Films – Transparente auf dem Bildschirm -Transparente mit Parolen wie: „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“. – Eine Sondersendung über ein Treffen der Neonazis, die seit langem wieder auferstanden zu sein scheinen?

Hakenkreuze, überall Hakenkreuze! In Bussen und Bahnen hat man sie sogar in die Polster geschnitten. Die Füllung dringt nach außen. Der Anblick erinnert mich an Fotos, die lange nach dem Krieg veröffentlicht wurden, Fotos von Juden, die nackt waren. Man hatte ihnen Hakenkreuze in die Haut geritzt, das Fleisch quoll hervor.

Mich fröstelt, Bilder, die mir wieder ins Gedächtnis kommen, vermischen sich mit denen auf dem Bildschirm. Gruppen von Männern, die „Juden raus“ und „Juda verrecke!“ schrieen und aus weit aufgerissenen Mäulern „Die Fahne hoch“ und „Deutschland Deutschland über alles“ grölten.

Sie sind wieder da! Versuchen, sich genau so überheblich zu behaupten wie damals. Wälzen sich vorwärts durch die Straßen, unheildrohend wie eine Woge, bereit, alles zu überrollen. Die Szene im Fernsehen ist spannungsgeladen – knistert wie in meinem Glas der Kandis, auf den ich den heißen Tee gieße. Keine Spur von Gemütlichkeit. Unbehagen kriecht in mir hoch. Ich blicke in Gesichter, in denen Gewalttätigkeit und eine beängstigende Entschlossenheit zu erkennen sind – meist kindliche Gesichter voller Hass.

Hass! – Ich war acht, als ich ihn zum ersten Mal spürte – acht Jahre, spielte auf der Straße, als ein dunkler Wagen vor einem Haus hielt. Schnell hatte sich eine Gruppe von Leuten gebildet, durch die wir Kinder uns in die erste Reihe drängten. – Die Wagentür öffnete sich, schwarze Stiefel wurden sichtbar. Zwei Männer stiegen aus. Als sie sich aufrichteten, verschwand ein Teil der Stiefelschäfte unter ihren langen schwarzen Mänteln. Ihre schwarzen Hüte waren tief nach vorn gezogen und bedeckten die Hälfte ihrer Gesichter. Sie gingen ins Haus. Als sie zurück kamen, war das Ehepaar aus der ersten Etage in ihrer Begleitung, nette alte Leute, für die ich gern einkaufte, weil es zur Belohnung selbstgebackene Zimtplätzchen gab. Nun schauten sie noch nicht einmal zu mir hin. Mit gesenktem Blick stiegen sie in den Wagen ein.

Raus mit euch! Ihr Juden habt hier nichts zu suchen!“ schrie einer aus der Menge.

Ich hatte nicht begriffen, weshalb er das sagte, er war doch der Nachbar der alten Leute. Als der Wagen davongefahren war fragte ich jemanden, was der Nachbar wohl gemeint habe. Ein Achselzucken war die Antwort.

Vielleicht wäre dieses Erlebnis bei meiner kindlichen Naivität wieder in Vergessenheit geraten. Aber das, was für mich noch keinen Sinn ergab, setzte sich fort. Den ganzen nächsten Tag wurden Schaufenster eingeworfen, Geschäfte geplündert. Eine Welle von Hass rollte durch die Straßen. Sonst friedliebende Leute, aufgestachelt von Hetzparolen, die fortwährend rundum und aus dem Rundfunk auf sie einwirkten, beteiligten sich plötzlich an den Aktionen. Brutal gingen SA-Männer vor – Männer in braunen Uniformen, die mir vertraut waren. Sie gehörten zu meinem jungen Leben. Wenn sie durch die Straßen marschierten, vergaßen wir Kinder unsere Bälle, Springseile und Puppen, liefen hinterher und versuchten, mit unseren kurzen Beinchen Schritt zu halten. Diese Männer warfen nun mit fanatischem Eifer Steine, verprügelten Leute und riefen „Judenpack“.

Von dem Tag an, als das schwarze Auto in unserer Straße gehalten hatte, war meine heile Kinderwelt durcheinander geraten. Alles war anders. Überall Unordnung. Häuser, Mauern und Eingänge mit Hetzparolen beschmiert, Schaufenstern mit Brettern zugenagelt. Die braunen Männer marschierten plötzlich entschlossener. Ihre Stiefel hallten lauter durch die Straßen. Ich lief nun nicht mehr hinter ihnen her. Ich hatte Angst…

Im Fernsehen wechselt die Szene. Auf dem Bildschirm plötzlich lodernde Flammen, die für Sekunden das schwache Kerzenlicht im fast dunklen Zimmer verdrängen. Noch einmal wird von dem schon einige Zeit zurückliegenden Brandanschlag auf ein Wohnhaus türkischer Familien in einer nordischen Kleinstadt berichtet. Sie zeigen die rußgeschwärzten Mauern, zwischen denen eine Frau und zwei Kinder sterben mussten.

Das Werk von Rechtextremisten“ kommentiert der Sprecher in einem Rückblick auf die in letzter Zeit verübten Anschläge auf Ausländer. Dann weiß ich, was der Grund für diesen Rückblick ist. – Ein neuer Brandanschlag. Dieses Mal ganz in unserer Nähe. Hass ist jetzt überall, geht es mir durch den Kopf; nicht nur in den Menschenüberladenden Großstädten. Wie ein Virus scheint er um sich zu greifen.

Auch jetzt bleibt ein leeres mahnendes Gemäuer zurück. Verrußte kalte Wände, darüber die Reste des Dachstuhls, die wie ausgestreckte Arme in den Himmel ragen – anklagend – nach Hilfe schreiend, so, wie die fünf türkischen Bewohner, die in den Flammen ihr Leben lassen mussten – ermordet – aus Lust an der Gewalt. Verzweifelt ruft ein Türke in ein Mikrophon:

Hass ist Scheiße!“

Blumen schmücken jetzt die Fensterhöhlen in den schwarzen hohen Mauern, die alles das umgaben, was das Leben der Getöteten ausmachte. Nachbarn und Passenten haben sie hingestellt, in Gedenken derer, die einfach nur wie sie Mensch sein wollten…

Die Flamme im Stövchen ist ausgebrannt, der Tee kalt…

Hass entzweit, Hass vernichtet, Hass kreuzigt“

Schrieb ich in mein Tagebuch

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