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Aus für die FTD – Überlegungen zur Zukunft der Zeitung

Als gestern die Meldung vom Aus herauskam, war sie keine Überraschung mehr. Sie war „nur“ die definitive Bestätigung dessen, was sich während der gesamten Woche abzeichnete. Die Financial Times Deutschland (FTD) wird eingestellt. Am Freitag, den 7. Dezember, wird die letzte Print-Ausgabe erscheinen, auchftd.de wird dann eingestellt. Grund dafür sind die enormen Verluste, die die FTD ihrem Eigentümer, dem Verlagshaus Gruner & Jahr, seit ihrem Beginn vor knapp dreizehn Jahren eingefahren hatte und heute noch einfährt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn ausgerechnet eine Wirtschaftszeitung von vornherein ein Musterbeispiel an Unwirtschaftlichkeit abgibt.

So musste denn auch Steffen Klusmann, der FTD-Chefredakteur, jetzt in einem Schreiben in eigener Sache an die lieben Leserinnen und Leser einräumen: „Wir haben von Unternehmen oder Politikern oft harte Schnitte gefordert, wenn wir sie in einer Sackgasse wähnten – etwa weil ein politischer Plan im Praxistest durchfiel oder weil ein Geschäftsmodell nicht umsetzbar schien. Dieses Schicksal ist nun der FTD widerfahren.“Ulrich Horn gelangt auf seinem Blog zu dem Fazit: „Die FTD erwies sich als unternehmerische Fehlleistung. Die Zeitung blieb in den roten Zahlen. Jahr für Jahr verschlang sie Millionen, ohne Aussicht auf Besserung. Ein Zuschuss-Betrieb. Schlechter kann man ein Wirtschaftsblatt kaum positionieren.“

Damit wäre zum Aus der FTD im Grunde Alles gesagt. Der Markt entscheidet, was bleibt und was verschwinden muss. So einfach ist das, logisch ist das – jeder muss das einsehen. Und wenn es sich darüber hinaus noch um ein Wirtschaftsblatt handelt, das den Namen Financial Times trägt, sollte endgültig klar sein, dass an dieser Stelle Emotionen nun wirklich fehl am Platze sind. Doch es gibt sie, diese Emotionen, wie bspw. die Briefe entsetzter Leser an die Redaktion zeigen. Sie reichen vom „Dank für die hervorragende journalistische Arbeit“ und gipfeln in dem verzweifelten Ausruf – „frei nach Loriot: Ein Leben ohne FTD… ist möglich, aber sinnlos.“ Denn die FTD ist/war – ihrem Namen zum Trotz – weit mehr als „nur“ eine Wirtschaftszeitung.

 

Die FTD ist – ganz abgesehen von ihren Berichten über Unternehmen und Börsen – innerhalb kurzer Zeit zur wichtigsten deutschen Tageszeitung avanciert und, wie ich finde, auch zur mit Abstand besten. Auch und gerade was ihre Darstellung und Kommentierung von Politik und Zeitgeschehen betrifft. Aber ich gebe zu: ich bin befangen. Ich hatte die FTD im Grunde während der ganzen Zeit ihres Bestehens im Abo. Sie war und ist noch mein Leib- und Magenblatt; denn, um mit Wolfgang Münchau jemanden zu zitieren, der noch deutlich befangener ist als ich, „sie brachte einen neuen Stil in eine allzu angepasste Presselandschaft … Vor allem aber hatte sie Humor. Die deutsche Medienlandschaft ist ohne die `FTD´ deutlich ärmer.“

Dass Münchau, dessen Kind die FTD ist, zu diesem Resultat kommt, vermag kaum zu überraschen. Aber auch Andere „hoffen sehr, dass es gelingt, das Qualitätsprodukt FTD in die Zukunft zu retten“. Sie schrieben dies vor drei Tagen und, wie wir mittlerweile wissen, vergebens. Sie – das sind Udo Bullmann und Norbert Glante, die im Namen aller SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament der FTD attestieren: „Ihr Verschwinden würde unserer Demokratie schaden…; denn sie hat gegen den Strom eines salonfähig gewordenen Anti-Euro-Populismus angeschrieben“. Dies von SPD-Politikern zu hören ist schon insofern besonders bemerkenswert, hat doch die FTD mit ihren Wahlempfehlungen wiederholt die Union und die Grünen, auch mal die FDP, nie aber die SPD bedacht.

„Chaotisch, frech, pluralistisch“ sei die FTD – „und wahnsinnig kreativ“, meint die taz und geht so weit zu behaupten, dass sie „damit im Grunde der taz verdammt ähnlich“ wäre. Wie auch immer, jedenfalls erinnert die taz an ein Paradebeispiel für den der FTD eigenen, vielleicht sogar typischen Humor: „Als der Außenminister mal wieder nicht von seinem Job als Parteichef zurücktreten wollte, druckte die FTD eine mehrzeilige Überschrift à la Neues Deutschland auf Seite 1: `Einmütiger Zuspruch der Delegierten der Freien Demokratischen Partei Deutschlands für den Bundesvorsitzenden Dr. Guido Westerwelle´.“ Stimmt. Diese Nummer hatte ich schon fast vergessen. Einmalig. Ich musste etwas länger hinsehen, ich brauche nämlich schon mal meine Zeit…

 

Zwei Wochen noch, dann ist endgültig Schluss. Gewiss, niemals geht man so ganz. Es mag sein, „dass Wirtschaftsjournalismus inspired by FTD aus der deutschen Medienlandschaft nicht verschwindet“, so eine von Steffen Klusmann formulierte „Hoffnung“. Doch mit der FTD ist es ein für alle Mal vorbei. „Mit der `Frankfurter Rundschau´ und nun wohl der `Financial Times Deutschland´ hat es gleich zwei Titel erwischt“, stellt Klemens Kindermann im Deutschlandradio fest, um dann auf die Ursache zu sprechen zu kommen: „Beide getrauten sich nicht, für ihren Journalismus im Netz den angemessenen Lohn zu fordern. Doch genau das ist der Weg aus der Zeitungskrise: der bezahlte Inhalt im Internet.“ So so, man „getraute sich nicht“, meint Kindermann.

Da könnte er Recht mit haben, der Klemens Kindermann. Nur, das mit diesem Sich-nicht-trauen sagt sich nicht so leicht, wenn man nicht gerade beim Deutschlandfunk als Abteilungsleiter Wirtschaft und Gesellschaft beschäftigt ist und seinen angemessenen Lohn mit beamtenähnlicher Sicherheit aus dem großen GEZ-Topf erhält. Für alle anderen Journalisten sind die Zeiten spürbar rauer geworden, und es bedarf keinerlei Prophetie zu sagen, dass sie noch rauer werden. Und selbstredend ist mit dem Internet das entscheidende Stichwort zutreffend genannt. Das Aus für die FTD – an und für sich schon bitter genug – ist letztlich „nur“ ein böses Omen. Es könnte sich als Auftakt zu einem dramatischen Zeitungs- und Zeitschriftensterben erweisen.

Giovanni di Lorenzo, mit dem man nicht unbedingt stets und ständig übereinstimmen muss, schreibt in der aktuellen Ausgabe der Zeit: „Es geht nicht um einzelne Titel. Es geht um die Frage, ob die auf Papier gedruckten Zeitungen und Zeitschriften eine Zukunft haben und mit ihnen eine Form des Journalismus, der sich auch die `Zeit´untrennbar verbunden fühlt. Recht hat er, der di Lorenzo, und falls Journalisten mir die Ehre erweisen sollten, diese Zeilen zu lesen, sei ihnen gesagt: der Zeit-Redakteur schiebt die Schuld nicht auf ein paar Blogger, die wie ich ihre freie unabhängige Meinung ins Netz stellen. di Lorenzo spricht, auch in dieser Hinsicht völlig zu Recht, von einer „Selbstdemontage“, die die „Branche“ betreibe.

 

di Lorenzo wörtlich: „Keine Branche betreibt so viel Selbstdemontage“. Spätestens jetzt sei es an der Zeit, dass sich alle Beteiligten ehrlich machen. „Der Gegensatz von Print und Online ist weitgehend aufgehoben“, was offenbar wichtig ist hervorzuheben; denn – ich zitiere noch einmal Münchau, „die eigentliche Tragödie liegt in der Unfähigkeit des gesamten Sektors, das Internet für sich zu kolonialisieren. Überall auf der Welt fremdelten Zeitungen mit dem World Wide Web. Viele tun es heute noch. Sie begriffen das Internet nur als eine Art Vertriebskanal. Irgendwie wurde zwar auch die Zeitung ins Internet gestellt. Aber…“, fährt Münchau fort, dort sei sie eine Zeitung geblieben – sprich: dem neuen „Vertriebsweg“ nicht adäquat, unter dessen Möglichkeiten bleibend, also unverkäuflich. Im Ergebnis hat es keine Zeitung, besser: kein journalistisches Produkt geschafft, im Internet Geld zu verdienen.

Andererseits: die Zeiten sind zwar, wie gesagt, deutlich rauer geworden. Redaktionen wurden zusammengelegt, dicht gemacht, das Zeilenhonorar gekürzt usw. usf.; doch das große Zeitungssterben ist ausgeblieben. Münchau: „Die meisten Zeitungen haben entgegen aller pessimistischen Voraussagen aus der Frühphase des Internets bislang überlebt. Epochale Änderungen brauchen ihre Zeit. Aber wenn der Einbruch kommt, dann kommt er oft mit voller Wucht. So wie in diesem grauen Zeitungsherbst. Es ist der Anfang vom Ende für das bedruckte Papier.“ Davor die Augen verschließen zu wollen, ließe sich allenfalls mit einer psychologisch zu begründenden Abwehrreaktion erklären. Dies betrifft keineswegs nur die Macher, sondern auch die „Kunden“ der Zeitungen. Auch mich.

Viele werden wissen, dass ich im Online-Angebot der Presse ziemlich intensiv unterwegs bin. Und doch, es mag auch eine Frage des Alters sein: ich habe mich an die echte Zeitung, also die aus Zeitungspapier, gewohnt. Ich möchte sie nicht missen. Vor einem Vierteljahrhundert hatte ich einem Freund schon – mit denkbar unangenehmem Gefühl und besorgter Miene – die Frage gestellt: „Meinst Du, dass wir in einem Vierteljahrhundert nur noch auf dem Computer-Monitor `Zeitung lesen´ werden?“ Ich schließe an dieser Stelle mit einer Regel, die Münchau für diesen Zusammenhang formuliert hat, die man sich aber auch ganz allgemein hinter die Ohren schreiben sollte: „Man macht bei langfristigen Trends oft den Fehler, ihre Geschwindigkeit zu überschätzen, aber die Gesamtkraft des Trends zu unterschätzen.“

Werner Jurga, 24.11.2012

 

 

 

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