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Anti-egalitäre Tendenzen des ‘Geistigen’ in der Kultur

Corinth totentanz 1

Corinth totentanz 1 (Photo credit: Wikipedia)

Ohne eine Konzentration auf relativ konkrete Tendenzen und Sachverhalte wird es mir nicht möglich sein, die Entwicklung von (deutschen) Kulturbegriffen seit der ‘Weimarer Klassik’ zu behandeln. Der Titel beschreibt, worum es mir zentral geht. Die besondere Betonung des Geistigen, die Pufendorf noch fremd war, auch wenn ihm die Vernunft zur Abgrenzung von der Natur diente, hat eine geschichtliche Grundlage.

Französische Begriffe ‘civilisation’ sind mit der Aufklärung, der Revolution und der Erklärung der Bürger- und Menschenrecht in direkter Weise verbunden. Elias beschreibt, wie diese Begriffe innerhalb der höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts ausgeprägt wurden, um politische Reformen zu erwirken (vgl. Über den Prozeß der Zivilisation, Bd.1, S. 43-64, 1976). Er nutzt diese reformerische Ausrichtung, die mit der Zeit radikalere Züge annahm, um die Prozesshaftigkeit von Zivilisation zu betonen, unterschlägt dabei jedoch, dass die Revolution samt der Erklärung das französische Zivilisationsprojekt war, aktiv gestaltet wurde und, wie allgemein bekannt, Egalitätsforderungen als Grundlage hatte! Noch heute wird in der französischen Verfassung auf die damalige Erklärung der Bürger- und Menschrechte Bezug genommen.

In Deutschland ist dieses Ausmaß an begrifflicher Prägung nicht verstanden worden. Bereits Kant führte lediglich Worte ‘zivilisieren’ und ‘zivilisiert’ an, um auf höfische Umgangsformen zu verweisen, in seiner “Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht” (1784) sogar in besonders flapsiger Weise: “Wir sind civilisirt bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit” (vgl. Werke, Bd.9, S.44, WB). Die Reformbewegung in Frankreich hatte zu dieser Zeit längst begonnen.

Dieses Missverhältnis prägte auch weiterhin die deutschen Ablehnungen von Zivilisation zugusten von Kultur, in der das Gewicht nunmehr auf Geistiges gelegt wurde, durch Kant, wie bereits erörtert, auf Moralität, obgleich sie in einem Zusammenhang mit der Aufklärung und der Französischen Revolution steht, durch Herder, wie noch zu erläutern sein wird, in schwärmerischer Weise auf das ‘Genie der Völker’ … Die spezielle, hier zu betrachtende Entwicklung beginnt mit einer Abkehr vom Politischen.

Wird jedoch der Kultur die gesellschaftliche Grundlage und Verantwortung genommen, oder betrachtet sie sich als das Ziel alles menschlichen Strebens, gewinnt sie gar das Moment einer Erlösung, besteht die Gefahr, dass die Wege im Totentanz enden und dabei anti-egalitäre Tendenzen entstehen, auch innerhalb von modernen Demokratien: Duisburg musste im Laufe des Jahres 2012 der zuständigen Bezirksregierung (Düsseldorf) einen genehmigungsfähigen Haushalt vorlegen. Kultur gehört zu den freiwilligen Leistungen von Städten. Die sektoralen Gelder wurden bereits in den vergangenen Jahren mehrfach zusammengestrichen. In Frage stand, ob die Opernehe mit Düsseldorf fortgeführt werden kann, ein Engagement, das fast den gesamten verbliebenen Kulturhaushalt vereinnahmte, unter den neuen Bedingungen nicht nur die Fortführung überregional bekannter Festivals behindert, sondern auch soziale Leistungen der Stadt gefährdet.

In diesem Kontext steht der Beitrag “Hochkultur, Operette und Sozialdarwinismus” vom März diesen Jahres. Hinzugefügt sei, dass das Theater, das derzeit einhunderjähriges Bestehen feiert, zentraler Gegenstand des Standortmarketings war und ist – übrigens unabhängig vom Erfolg.

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Die essayistische Notiz “Anti-egalitäre Tendenzen des ‚Gesitigen‘ in der Kultur” steht im Kontext eines Projektes über Kultur. Der erste Text der Reihe lautet: Der Award, der vorgängige Die Kunst des Ausblendens.

Drei weitere Texte sind bereits veröffentlicht aber noch nicht eingereiht: Musik ist eine Hure, Das Ende einer Ära und Wenn Träume wahr werden, ist der Alptraum nicht weit

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