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Nicht unnötig provozieren – Selbstzensur

Es ist nicht die deutsche, sondern die schweizer Tagesschau; aber schöner kann man es einfach nicht sagen: „Immer mehr Tote wegen Schmähvideo – Macher sollen vor Gericht“. Hierzulande ist der geschätzte Kollege Ulrich Horn überzeugt davon, dass „das umstrittene Mohammed-Video etliche Menschen das Leben kostete“. Mit diesem Unterton pflegen viele deutschen Medien den Eindruck zu erwecken, dass immer mehr Menschen angeblich an einem Video sterben, und dass folgerichtig – wie beim tschechischen Schnaps – die „Macher“ sich „vor Gericht“ verantworten sollen. Was das Strafmaß betrifft, gibt es freilich kulturelle Unterschiede und nationale Besonderheiten zu beachten. Mal wird das martialische, aber für den Delinquenten recht schonende Enthaupten gefordert, andernorts der mitunter ziemlich unangenehm verlaufende Tod durch den Strang. In islamischen Ländern ist es nun einmal so, dass für die Beleidigung des Propheten wenig Verständnis aufgebracht wird.

Hierzulande ist man diesbezüglich ein wenig liberaler. In jedem Fall in Bezug auf das Strafmaß; denn „vor Gericht“ gestellt gehören sie – wie gesagt – auch nach Ansicht nicht weniger, ansonsten demokratisch wie rechtsstaatlich einigermaßen zuverlässiger Beobachter schon. Diejenigen, die in dieser ohnehin schon „zugespitzten Situation“ meinen, zu allem Überfluss auch noch „unnötig provozieren“ zu müssen. Heute ist wieder Freitag, und Außenminister Westerwelle hat aus nachvollziehbaren Erwägungen in fast allen arabischen Ländern die deutschen Botschaften schließen, zumindest aber auf Minimalbetrieb herunterfahren lassen. Verbunden mit dem nachdrücklichen Appell an die Landsleute, nun aber wirklich damit aufzuhören, Öl ins Feuer zu gießen.„Muss man die islamistischen Extremisten denn herausfordern? Sie geradezu anstacheln? Ihnen einen Vorwand liefern?“ fragt die FTD-Auslandsredakteurin Silke Mertins. Allerdings: rhetorisch.

Denn Mertins lässt in ihrer Printkolumne (leider nicht online) „Bloß nicht provozieren“ keinen Zweifel daran, dass nicht etwa irgendein in Kalifornien gedrehtes Video oder eine französische Satirezeitschrift oder demnächst die deutsche Titanic für die Erstürmung der deutschen Botschaft in Khartum oder für die Toten von Bengasi verantwortlich zu machen sind, sondern diejenigen Dschihadisten, die sich keineswegs damit zufrieden geben, in der islamischen Welt ihre Glaubensbrüder zu terrorisieren und zu massakrieren. „Wir können nicht verhindern, dass Islamisten in immer mehr arabischen Ländern die Macht übernehmen, auch wenn wir uns die Demokratie in der Region anders vorgestellt haben“, so das resignative Fazit Mertins´. „Aber wir können und müssen verhindern, dass Islamisten in Europa politische Entscheidungen beeinflussen.“

Wir ahnen, dass es für diesen flehentlichen Appell inzwischen schon ein wenig spät, wenn nicht gar zu spät ist. Ganz abgesehen davon, dass die Machtverhältnisse in arabischen Ländern politische Entscheidungen in Europa ohnehin beeinflussen: glaubt denn irgendjemand tatsächlich, dass die massiven Einschüchterungen das politische Leben in Deutschland und Europa unbeeinflusst gelassen hätten. Nicht erst der 11. September 2001, sondern lange zuvor die „Fatwa“, der weltweit „geltende“ Mordaufruf gegen Salman Rushdie von 1989, haben zu einem Ausmaß an Selbstzensur in den westlichen Medien geführt, das bis dahin als unvorstellbar gegolten hatte. Diejenigen, die – gewiss zu Recht – die Macher des Mohammed-Films als Rassisten oder christliche Fundamentalisten bezeichnen, und die – vielleicht auch zu Recht – das Video ein Machwerk nennen, seien gefragt, ob denn auch Rushdie ein Rassist und seine „satanischen Verse“ ebenfalls ein Machwerk waren.

Die Reaktionen vor knapp einem Vierteljahrhundert waren übrigens – auch hier in Duisburg – ganz ähnlich wie heute. Man müsse verstehen, wie tief die Gefühle eines gläubigen Muslims verletzt würden, wenn sich abfällig über den Propheten geäußert werde. Salman Rushdie lebt noch heute; etliche Verleger und Übersetzer seines Werks fielen Mordanschlägen zum Opfer. Wir hatten verstanden. Ist Ihnen in den letzten Tagen eigentlich aufgefallen, dass obwohl die gewaltsamen Proteste in der islamischen Welt seit Tagen das alles beherrschende politische Thema Nr. 1 sind, es in unseren Zeitungen wenige bis gar keine Karikaturen gibt, die diesen Aufruhr zum Thema haben?! Oder finden Sie dies umständehalber völlig normal. Als ich vor fünf Jahren damit begonnen hatte, im Internet Artikel zu veröffentlichen, brachte ich gleich in den ersten Wochen Kolumnen über Zwangsheiraten, Jungfrauen und Ehrenmorde. Im Bekanntenkreis wurde ich gefragt, ob ich denn keine Angst hätte.

Dies dürfte vermutlich meinem Selbstbetrug, ich sei gefeit gegen Selbstzensur, in die Hände gespielt haben. Nein, ich hatte tatsächlich keine Angst vor gewaltsamen Übergriffen; denn ich wusste ja, was ich geschrieben hatte und was nicht. Eher hatte ich mich darauf eingestellt, dass mir Vorwürfe gemacht werden könnten, ich schürte Vorurteile gegen muslimische Einwanderer. Ich war auf den Rechtspopulismus-Vorwurf von links vorbereitet. Doch nochmal: ich wusste ja, was ich geschrieben hatte und was nicht. Spielchen. Die ich vermutlich nicht zuletzt auch deshalb gespielt haben dürfte, um mich selbst vom Verdacht der Selbstzensur freisprechen zu können. Jeder weiß, dass dies Unfug ist. Jeder, der sich zum islamischen Fundamentalismus äußert, wird sich genauestens überlegen, was er schreibt, uns was er besser ungesagt lässt. Nennen Sie es Feigheit, ich nenne es Vorsicht; es ist letztlich eine Auslegungssache.

Gestern Abend sagte Rolf-Dieter Krause, der Leiter des ARD-Studios in Brüssel, anlässlich des Besuchs der Chinesen zu diesem Thema: „Und dann ist da noch diese merkwürdige Debatte, ob man über Religionsgründer lachen darf. Ja, man darf, hier bei uns. Die besten Witze über die Kirche kommen von Katholiken, die besten über das Judentum von Juden. Wenn Muslime über Mohammed nicht schmunzeln wollen, ist das ihr gutes Recht. Aber bei uns ist das anders. Wer nach Europa kommt, wer unsere Internetangebote aufsucht, wer eine europäische Zeitschrift aufschlägt, der muss wissen, dass da unsere Maßstäbe gelten.“ Eine klare Ansage, die übrigens keinerlei Heldenmut erfordert. Vor allem auch deshalb nicht, weil die überwältigende Mehrheit der Muslime hierzulande dies nicht nur weiß, sondern auch großen Wert darauf legt, dass diese „unsere Maßstäbe“ so bestehen bleiben, wie sie sind. Wir fielen auch ihnen in den Rücken, wenn wir diese Maßstäbe in Frage stellen ließen. Es gilt die Diskriminierung von Muslimen abzubauen. Sie gleichsam unter „Naturschutz“ zu stellen, wird dieser Aufgabe nicht gerecht.

 

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