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Wenn Träume wahr werden, ist der Alptraum nicht weit

desorientiert

desorientiert (Photo credit: westpark)

Es gibt Versprechen, denen sollte man mit Zurückhaltung begegnen. Mir geisterte bei einem erdtrockenen Rotwein die Formulierung ‘wahrer Traum’ durch den Kopf. An einem Sommerabend, auf dem Balkon. Wenn es die Möglichkeit gäbe, dass Träume wahr werden können, dann müsste es wahre geben. Wahre aber lassen auch falsche zu. Wenn Träume wahr werden könnten, wären sie dann vorher falsch gewesen?

Man könnte einwenden, solche Erwägungen seien wirklich nichts für einen Sommerabend, eher was für frostige Nächte bei Strom- und Heizungsausfall! Ich vermute jedoch, dass man unter solchen Umständen kaum zum Träumen kommen wird, in all dem Gebibber, das der Körper lostreten würde. Ein Traum ist aber erforderlich! Wie kann sonst entschieden werden, ob wahr, falsch – oder gar unentscheidbar?

Begonnen hatte meine verzwickte Situation angesichts einer Werbung: Was für ein Produkt in Bild und Rede stand, war mir rasch entfallen, der Name landete nicht einmal auf der schwarzen Liste, die ich für besonders schlecht beworbene Produkte führe, um sie zu boykottieren! Es blieb nichts als die aufgebauscht klingende, mir jedoch unverständliche Phrase: ‘und Ihre Träume werden wahr’. Eventuell ging es nicht einmal um ein Produkt. Warum auch.

Das vordergründige Problem scheint zu sein, überhaupt einen Traum zu haben, mal ganz abgesehen davon, ob dieser goldig oder bloß wie Falschgold glänzt, wie dieses funkelnde Katzengold im Schiefergestein. Als Kind hatte ich mich mit Freunden gerne auf Halden rumgetrieben. Wir gruben eifrig nach dem Gold, kämpften wie im Wilden Westen um die Schürfrechte verheißungsvoller Lagerstätten und erwarben ein Vermögen, das es mit Fort Knox hätte aufnehmen können. Doch handelte es sich keineswegs um einen Traum, wir gruben und sammelten tatsächlich, und sahen wohl, wenn es Zeit für das Abendbrot wurde, ziemlich verrucht aus.

Dieses Beispiel kann erläutern, dass ein Wort ‘falsch’ in der Umgangssprache keineswegs im Gegensatz zu ‘wahr’ stehen muss. Gold ist entweder echt oder falsch. Für uns war natürlich das Katzengold echt! Keine Frage! Doch kann ein Traum echt oder nicht-echt, also falsch sein? Sind nicht alle Träume echt, echte Träume? Auf die geschehende Traumproduktion hat doch kaum jemand Einfluss, zumindest so lange der Drogengenuss in Grenzen bleibt! Ähnlich verhält es sich, wenn man unter ‘wahr’ wirklich versteht. Jeder Traum ist wirklich, ob durch Drogen beeiflusst oder nicht, sonst hätte er nicht geträumt werden können. So wirklich wie das Internet und seine Datenströme, Freundschaften und Abzocken, Marktplätze und Sperrungen. Oder nicht?

Ich gestattete mir eine kleine Pause. Den Wein wollte ich um keinen Preis schal werden lassen. Er kam aus der Region Bergerac. Die heißen und trockenen Sommer lassen dort soviel Erde in die Frucht, dass es aus dem Glas geradezu staubt! Vielleicht nicht was für alle Tage, für einen Sommerabend auf dem Balkon aber wie geschaffen.

Während ich mir zum Wein mit der lockeren Erdkruste eine Zigarette zu drehen begann, kam in mir die Frage auf, ob ich nicht einen Irrweg eingeschlagen hatte. Es bestand, so war ich mir sicher, keine Möglichkeit, einen Traum wahr werden zu lassen und dieses Nicht-Ereignis auch noch als etwas Besonderes zu begehen, ob nüchtern oder trunken. Vielleicht, dachte ich, müsste ich mich auf Trauminhalte konzentrieren. Ich bließ den Rauch über die Brüstung des Balkons. Mit Inhalten würden meine Schwierigkeiten behoben sein?

Spontan erinnerte ich ein sonderbares Traumgeschehen: Ich sollte zwei Freunden eine Treppe hinauf folgen, doch ich konnte mich kaum vorbewegen, als wären meine Beine aneinandergefesselt. Ich sah hinab, während ich mich am Geländer hochzog und bemerkte, dass meine Hose unterhalb der Knie hing. Ein Steigen war kaum möglich. Einer der beiden kam heruntergeeilt, fragte, wo ich denn bliebe, versicherte mir, sie würden mir Außergewöhnliches zu sehen geben. Ich zog mich weiter hoch, eierte mit den Beinen.

Als ich sie endlich erreicht hatte, sah ich eine in die Wand zweigende dunkle Stiege. Ich nahm an, dass sie uns auf einen stickigen Dachboden bringen würde. Die Freunde gingen unumwunden los und verschwanden hinter der oben von selber zuschlagenden, metallenen Tür. Das Ende der Stiege war absehbar. Ich ruckelte mich auch noch diese schmalen Stufen hinauf, zerrte am Griff, spürte, dass von der anderen Seite gedrückt wurde und tippelte durch den Spalt. Eine mich aufnehmende, den Körper leicht machende Raumweite. Eilig zog ich meine Hose hoch.

Die Traumsequenz war echt gewesen, soweit ich mich erinnere, unverfälscht wie das Katzengold, das ich mit meinen Freunden in der Kindheit ausgebuddelt hatte. Doch die Traumereignisse hatten, rückblickend und von außen betrachtet, nichts Wirkliches. Sie entstammten einer Fantasie, die sich überwiegend bildhaft kundtat. Ich hob das Glas an und bemerkte, dass sich Baumäste und Blätter bewegten, schwammige Schattenspiele auf die Hauswand gegenüber warfen.

Können Trauminhalte real werden? Für mich wäre es nicht erstrebenswert gewesen, das Geeier auf der Treppe als tatsächliches zu interpretieren. Mir reichte es vollkommen aus, Imaginatives zu erinnern. Die Vorstellung, meine Nachbarn hätten mich in unserem Treppenhaus derart gesehen, ließ mir Blutwellen durchs Gesicht schießen. Dabei war das erschwerte Steigen sehr leicht mit einem gehemmten Bewusstwerden vergleichbar. Doch nicht innerhalb der imaginativen Wirklichkeit des Traums. Wenn aber in Träumen Symbolhaftes geschieht, in Abhängigkeit vom Träumer und in mehr oder weniger komplexer Weise, dann wird eine Metamorphose, wie immer man sich eine solche auch esoterisch zurechtlegen mag, unmöglich.

Der Irrweg führt geradewegs in die Weisheiten, Wahrsagungen und religiösen Erbauungen alter Tage. In die christlichen, jüdischen, griechischen, ja weltweit schamanistischen Anschauungen, in denen nach geheimen Wandlungen gerungen wurde. Jene Werbung, die weiszumachen hatte, dass Träume wahr werden können, hat sie schlicht die Zeit verpasst? Gehören die verantwortlichen Marktingexperten vielleicht zu einem medialen Geheimbund, schmieren sich Farbsymbole ins Gesicht und tragen kupferne Glöckchen im Haar?

Und selbst wenn! Werbung hat zu funktionieren! Wahrheit hört sich doch verdammt gut an! Der Traum hat sogar Flügel, nicht wie ein anderes Produkt, das der Fantasie weitaus mehr Freiraum lässt, auch für einen Sturzflug, nein, ein geflügeltes Wort, das durch die gesellschaftliche Verwendung und den einzukalkulierenden Verbrauch allenfalls nach Beiläufigkeit klingt. So beiläufig wie kupferne Glöckchen im Haar, doch bei weitem nicht so plinghaft schön!

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Die essayistische Notiz „Wenn Träume wahr werden …” steht im Kontext eines Projektes über Kultur.  Der Text ist allerdings wie einige weitere Notizen noch nicht eingereiht: Musik ist eine Hure und Das Ende einer Ära.

Der Anfang ist hier zu finden: Der Award.

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