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Sensationell! „ein erstklassiges Stück dieser Form des Journalismus“

Spiegel-Titel 4.6.2012

Karla Kolumna – die Fans von Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg wissen das selbstverständlich – ist Reporterin bei der „Neustädter Zeitung“. Eine im besten Sinne des Wortes „rasende Reporterin“. Die gebürtige Berlinerin ist ledig – kein Wunder bei diesem Job – und spricht extrem schnell. Immer auf der Suche nach der sensationellen Story, immer zu erreichen über ihre Facebook-Seite. Mit der Wahrheit nimmt sie es zugunsten einer Schlagzeile nicht immer ganz so genau; aber sei´s drum: sie sprüht vor Ideen. Heiße Storys, reißerische Überschriften; ihr Lieblingswort ist das Adjektiv „sensationell“. Sie ruft es pro Hörspiel mehrere Male enthusiasmiert aus.

Georg Mascolo ist Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Allein vom Niveau her überhaupt kein Vergleich. „Der Spiegel“ ist etwas ganz Anderes als die „Neustädter Zeitung“, und Georg Mascolo ist nicht Karla Kolumna. Das, was Frau Kolumna macht, die Blocksberg- und Blümchen-Fans mögen es mir verzeihen – ist Sensationsjournalismus. Mascolo dagegen setzt auf investigativen Journalismus. „Liebe Leserin, lieber Leser“, so beginnt er das Editorial der heutigen „Spiegel“-Ausgabe, „die Investigation gehört von jeher zum SPIEGEL“. Das ist erstens nicht zu bestreiten und zweitens, um daran von vornherein nicht den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen, eines der erlesensten Stücke deutscher (Presse-) Geschichte.

„Was Sie in dieser Woche als Titelgeschichte lesen können“, fährt Mascolo fort, „ist ein erstklassiges Stück dieser Form des Journalismus.“ Darüber allerdings ließe sich streiten, fällt das Resultat  „monatelanger Recherchen“ doch recht dürftig aus. Sie „belegen, dass aus Deutschland gelieferte Unterseeboote von der israelischen Marine als Abschussrampen für Atomwaffen genutzt werden“. Sensationell! Ei, wer hätte das gedacht?! Die Kollegen von der Tagesschau wohl eher nicht, ebenso wenig wie die von n-tv oder die von der WAZ-Gruppe. Sie alle – und noch viel mehr – sehen sich jedenfalls gezwungen, des „Spiegels“ sensationelle Enthüllung ganz vorn bzw. ganz oben zu melden.
Sogar die Konkurrenz vom Focus kommt nicht daran vorbei, diese journalistische Meisterleistung der ungeliebten Konkurrenz unter Verweis auf dieselbige melden zu müssen. Punktsieg Mascolo! „Der Spiegel“ kann verkünden: „Israel bestückt U-Boote aus Deutschland mit Atomwaffen“, so die Überschrift. Und im Text: „Die Bundesrepublik hilft Israel beim Ausbau seiner Atomwaffenstreitkräfte. Das haben Recherchen des SPIEGEL ergeben.“ Sensationell! Ja sicher, es ist doch nicht gesagt, dass U-Boote immer nuklear bestückt werden müssen. Was Sie schon allein daran sehen, dass es schon U-Boote gegeben hatte, als die Atombombe noch gar nicht erfunden war. Na also!

Schon der Führer hatte seine U-Boote, was Sie spätestens wissen, seit Wolfgang Petersen „Das Boot“ mit Jürgen Prochnow, Herbert Grönemeyer, Martin Semmelrogge, Uwe Ochsenknecht und Konsorten hat über die Leinwand schippern lassen. Aber die Bombe hatte er nicht, der Herr Hitler – aus welchen Gründen auch immer. Und den Krieg hatte er auch noch verloren. Egal. Hier geht es allein darum: man kann auch lecker U-Boot fahren, wenn man keine Atomwaffen an Bord hat. Natürlich nicht rein aus Jux und Tollerei, sondern – richtig: um Schiffe zu versenken. Schöner Zeitvertreib, eigentlich. Solange es bei Fregatten, Kreuzern, Schlachtschiffen und ähnlichem bleibt.

Da hatte man damals im Krieg mitunter etwas das Maß verloren; aber z.B. 1982, im Falkland-Krieg zwischen England und Argentinien, keine zivilen Opfer und so, rein sportlich gesehen eine ganz saubere Sache, da konnten die U-Boote mal so richtig zeigen, was in ihnen steckt. Exocet-Raketen zum Beispiel, aber auch die gehören nicht hier her. Hier geht es allein darum, sich darüber zu empören, dass Israel hingeht und wunderschöne deutsche U-Boote – möglicherweise ohne uns zu fragen – mit Atomraketen bestückt. Tatsächlich Atomwaffen auf deutsche U-Boote! Wo wir doch bislang eigentlich eher an Pfeil und Bogen dachten!

Aber weil man Pfeile so schlecht von unter Wasser aus abfeuern kann (geht aber auch!), faule Eier und Tomaten gar überhaupt nicht in Frage kommen, dürften Karla Kolumna, Georg Mascolo und Kollegen vermutlich an so etwas wie Exocet-Raketen gedacht haben. Allerhöchstens. Wahrscheinlich, weil die Israelis auch einmal Schiffeversenken spielen wollen. Vielleicht zur Durchsetzung des Ölembargos gegen den Iran? Egal, das spielt ja auch überhaupt gar keine Rolle. Solcherlei Fragen gehören auch nicht zum Aufgabengebiet eines Georg Mascolo und seiner Karla Kolumnas, die unter hohem persönlichen Einsatz Rechercheergebnisse zu präsentieren haben, die irgendwie als „sensationell“ verkauft werden können.

Da stört es dann auch nicht, dass sich auch ohne diese sensationelle Enthüllung jeder zweite von der Straße hätte denken können, dass Israel nicht deshalb einen Riesenbatzen Geld an die deutsche Rüstungsschmiede HKM überweist, um beim Schiffeversenken ein besseres Blatt in der Hand zu halten. Jeder, der auch nur hin und wieder die Zeitung liest oder die Tagesschau guckt, weiß, dass Israel dem Iran für den Fall seiner nuklearen Bewaffnung einen Militärschlag gegen seine Atomanlagen androht. Und es ist ebenfalls allerorten darauf hingewiesen worden, dass die iranischen Atomanlagen allesamt massiv verbunkert sind.

Wenn also Israels militärische Abschreckung gegen den Iran, der immerhin ständig mit der Vernichtung des Judenstaates droht, auch nur einigermaßen glaubwürdig erscheinen soll, dann müssen nicht nur bunkerbrechende Sprengköpfe vorhanden sein, sondern auch die dafür geeigneten Trägersysteme. Man muss kein Militärexperte sein, um zu ahnen, dass nur Atomsprengköpfe die erforderlichen bunkerbrechenden Eigenschaften aufweisen. Und jeder auch nur entfernt mit der Materie Vertraute wusste selbstverständlich, dass Israel die nicht ganz billigen deutschen U-Boote allein deshalb kauft, um dem iranischen Mullah-Regime glaubwürdiges Abschreckungspotential entgegenstellen zu können.

Damit der Begriff „Abschreckungspotential“ nicht den Vorwurf einer Verharmlosung begünstigt, sei auf diesen – ebenfalls bestens bekannten – Umstand hingewiesen: der Iran soll nicht allein von einem atomaren Angriff „abgeschreckt“ werden, sondern schon davon, überhaupt Nuklearfähigkeit zu erlangen. Für diesen Fall zieht die israelische Regierung öffentlich einen „Erstschlag“ in Erwägung. Dagegen wiederum fühlte sich der deutsche Literaturnobelpreisträger Grass berufen, mit einem „Gedicht“ zu Felde zu ziehen, in dem er Israel unterstellt hatte, „das von einem Maulhelden unterjochte und zum organisierten Jubel gelenkte iranische Volk auslöschen“ zu wollen.

Vor knapp zwei Monaten veröffentlichte Grass das, „was gesagt werden muss“. Viele hatten dazu Stellung bezogen; ich fand die Unterstellung, Israel wolle das „iranische Volk auslöschen“ schlicht nicht diskussionsfähig. Ich diskutiere nicht über jeden antisemitischen Scheiß. Nur jetzt muss man sich doch an dieses deutsche Spektakel von Anfang Februar erinnern; denn jetzt enthüllt „Der Spiegel“ mit großem Tamtam etwas, was zwar objektiv kaum Nachrichtenwert hat, dafür aber – nicht nur – denen, die mit „Grass-hat-Recht“-Plakaten und –Transparenten auf den Ostermärschen angetreten sind, die lang ersehnte Genugtuung verschafft.

Eine investigative Titelgeschichte – „ein erstklassiges Stück dieser Form des Journalismus“. Israel nutzt „aus Deutschland gelieferte Unterseeboote“ – sensationell! – „als Abschussrampen für Atomwaffen“ („Der Spiegel“). Was für eine Frechheit! Vermutlich um ein „von einem Maulhelden unterjochtes und zum organisierten Jubel gelenktes“ – also genau genommen: völlig normales, nämlich wie-wir-dereinst-tickendes – „Volk auszulöschen“ (Günter Grass). Eine investigative Titelgeschichte, die eindrucksvoll „belegt“, dass U-Boote irgendwie Teufelszeug sind, und darauf spekuliert, dass diese Story an tiefsitzende Gefühle appelliert, die nicht zu wecken wären, wenn man über irgendwelche anderen Empfängerländer der gleichen Erzeugnisse „monatelang recherchiert“ hätte.

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